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SCHACH-SPHINX/05496: Patriot von der Sohle bis zum Scheitel (SB)


In den Reihen der Schachmeister herrscht wilde Anarchie. Nach ihrer politischen Einstellung gefragt, erhält man ein Quer-durchs-Beet- Ergebnis. Auch Royalisten finden sich darunter, aber darüber sollte man lieber tolerant hinwegschweigen. Die Geschichte selbst hat ihr Urteil längst gefällt. Eine Begebenheit aus dem politischen Diskurs ist allerdings nicht ohne Charme, und sie ist es allemal wert, daß man über sie einige Takte verliert. Amerikaner waren, sind und werden immer Patrioten sein, ob sie sich nun demokratisch aufrichten oder republikanisch strecken. Als patriotische Demokratie könnte man die amerikanische Verfassung bezeichnen. Zwischen republikanischer und demokratischer Couleur herrscht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie im Grunde überall, selten mehr als Waffenstillstand. Der amerikanische Großmeister Frank James Marshall war bis in die letzte Faser seines Körpers hinein stolzer Demokrat. Einen Hehl machte er daraus nicht. Als er nun 1928 zu einem Turnier nach Berlin fuhr, stand Amerika gerade im Zeichen turbulenten Wahlfiebers. Der Demokrat Al Smith kandidierte gegen den Republikaner Herbert Clark Hoover. Nur aus der Ferne konnte Marshall am Wahlkampf teilnehmen, als Ohrenzeuge der demokratischen Wahlniederlage. Hoover hatte das Rennen um das Präsidentenamt für sich entschieden. Marshall versank in tiefe Melancholie. Nicht anzusprechen war er tagelang. Trost oder Mitleid hätte er in Berliner Schachkreisen wohl ohnehin nicht gefunden. Ganz im Gegenteil nahmen ihn die "Deutschen Schachblätter" in ihrer darauffolgenden Ausgabe ganz gewaltig auf die Hörner und mokierten, "daß eine demokratische Gesinnung unserem aristokratisch-königlichen Spiel nicht förderlich sein kann". Um die politische Diskussion nicht überzustrapazieren, wurde das heutige Rätsel der Sphinx einem ganz anderen Kulturkreis entnommen. Der japanische Meister Nishimura, mit Weiß am Zuge, überraschte seinen vietnamesischen Kontrahenten Nguyen Anh Dung mit einem niederschlagenden Karate-Hieb. Wie gebrauchte er seine Handkante dazu, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05496: Patriot von der Sohle bis zum Scheitel (SB)

Nishimura - Nguyen
Kuala Lumpur 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Kasparows Angriff war nett, aber nicht stichhaltig genug, und so mußte er trotz wilden Aufbegehrens und Opferns nach 1.Dh4-h7+ Kg8-f8 2.Sg5xe6+ f7xe6 3.Te1-f1+ Kf8-e8 4.Dh7-g8+ Lg7-f8 5.Dg8xf8+ Ke8-d7 ans Aufgeben denken. Er hatte all seine Munition verschossen.


Erstveröffentlichung am 26. Juni 2002

05. Juni 2015


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