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SCHACH-SPHINX/05488: Bezirke des Abstrusen (SB)


Es verwundert nicht, daß die Herren Psychoanalytiker mit ihrem Rammbock Freud in den letzten Jahrzehnten Hunderte von Türen ins Sportlager aufgestoßen hatten, und überall dort, wo Menschen im Wettkampf aufeinanderstoßen, Triebkonflikte im Zeichen ödipaler Komplexe witterten. Verschont wurde kaum eine Disziplin, und so war es ein Ding von geradezu prophetischer Voraussagbarkeit, daß der Freud- Biograph Ernest Jones und der frühere Großmeister Reuben Fine auch das Schachspiel für ihr psychoanalytisches Liegesofa entdeckten. Plötzlich spielte man auf dem Brett nicht mehr Schach, sondern war unbewußt damit beschäftigt, ein ominöses Familiendrama auszuleben, in der Figur des gegnerischen Königs "den Vater in einer zulässigen Form zu über- winden". Von einem "analsadistischen Zug", der im Schachspiel latent lauere, war die Rede, von Penissymbolen und "dem Wunsch nach dem Vatermord". Fine sah im Mattsetzen sogar einen Vorgang der Kastration und Vernichtung des Vaters. Kein Bezirk des Abstrusen schien ihnen zu weit entfernt zu sein, um das Schach wie überhaupt alle Äußerungen des menschlichen Verhaltens als Ausdruck eines gestörten Sexualhaushalts zu deuteln. Bedauerlich, daß Gelehrtenverstand und Handwerk auf verschiedenen Wege schreiten. Unter welchem psychischen Schaden wohl der Deutsche Meister von 1929, Carl Ahues, litt, denn seine Seele war bekanntermaßen ambivalent gestrickt. Trotzdem er von Natur aus eher schüchtern und ängstlich war, gewann er viele seiner Partien im Stil geradezu verwegener Opferfreudigkeit. Im heutigen Rätsel der Sphinx siegte er mit den weißen Steinen, nur daß er sich wie die Sagengestalt Ödipus hinterher nicht die Augen ausstach! Kannst du die Kombination finden, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05488: Bezirke des Abstrusen (SB)

Ahues - von Holzhausen
Duisburg 1929

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der die schwarze Stellung aufsprengende Zug war 1.Le3-h6! Seinen König konnte Garry Kasparow mittels der Rochade nicht in Sicherheit bringen, denn darauf wäre vernichtend 1...0-0 2.Lh6xg7 Kg8xg7 3.Df3xf6+! Kg7xf6 4.Sc3-d5+ Kf6-g7 5.Sd5xc7 gefolgt. Also nahm er den dargebotenen Läufer, machte jedoch nach 1...Lg7xh6 2.Df3xf6 0-0 3.Sc3-d5 Dc7-a5+ 4.b2-b4 den verhängnisvollen Fehler 4...Da5-d8? anstelle des wehrhaften Zuges 4...Lh6-g7! Nach dem falschen Damenmanöver konnte Iwantschuk die Partie bequem für sich entscheiden: 5.Sd5-e7+ Dd8xe7 6.Df6xe7 e5xd4 7.Lf1-c4 Sb8-c6 8.De7-c5 Lh6-e3 9.Th1-f1 Sc6-d8 10.Tf1- f3! Kasparow machte noch fast 20 belanglose Züge, ehe er sich Iwantschuk geschlagen gab.


Erstveröffentlichung am 18. Juni 2002

28. Mai 2015


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