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SCHACH-SPHINX/05432: Zeit stiehlt das Herz (SB)


Eher geht die Welt unter, als daß ein Schachspieler sich von seinem Brett entfernt. Dieses schelmische Gerücht entbehrt der Wahrheit im geringsten nicht. Wenn eine Partie erst einmal eröffnet wurde, scheint sich die ganze Welt um diese 64 Felder zu drehen. Alles andere wird zur Nebensache, rangiert bestenfalls noch unter der Rubrik "ich will nicht gestört werden". Heiligtümer sind selten geworden in unserer kalten Betonwelt, und auch die vielen Annehmlichkeiten, die uns der Luxus als unbedingt erforderlich vorgaukelt, täuschen nur peripher darüber hinweg, daß der eigentliche Sinn des Lebens in der menschlichen Annäherung liegt. Gerade weil sich auf diesem allzu menschlichen Terrain kaum Fuß fassen läßt, der Mensch sich selber und dem anderen gegenüber mehr und mehr entfremdet wird durch Interessen, die außerhalb seines Zugriffs sind, treibt das Bedürfnis in dieser arm an Nähe gewordenen Zeit wilde Blüten des Aufbegehrens, sich nicht auch noch das Wenige nehmen zu lassen, was der Moloch des Wandels bisher nicht verschlungen hat. Das Schachspiel ist solch eine unaufwendige, auf jeder Parkbank, auf kleiner Fläche zu realisierenden Begegnung. Kommunikation ist kein Selbstzweck, und nicht immer gehört dazu, einander Phrasen um die Ohren zu schlagen. Eine gemütliche Partie Schach, irgendwann begonnen, wird oft zum Schlüssel lebenslanger Freundschaften. "Die Zeit, sie stiehlt das Herz, geb' ich mich ihren Launen hin." So ein Autor des Behaglichen. Den Gewinn vergab dagegen der amerikanische Meister Norman T. Whitaker in seiner Partie gegen seinen Landsmann Marshall, als er im heutigen Rätsel der Sphinx das bescheidene 1.g2-g3 zog, was nur zum Remis führte. Wie hätte er statt dessen ziehen müssen, Wanderer, um einen vollen Punkt zu verbuchen?



SCHACH-SPHINX/05432: Zeit stiehlt das Herz (SB)

Whitaker - Marshall
New York 1910

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Hal 9000 zeigte sich dem Menschen "überlegen", indem er auf das menschliche 1.Da8xa6? mit 1...Lh3xg2 2.Te1-f1 Dd3-f3! konterte; und gegen den zwingenden Mattüberfall 3...Sf4-h3# war nichts mehr zu erfinden. Aber wie gesagt, die Partie wurde im Original zwischen Menschen ausgetragen.


Erstveröffentlichung am 23. April 2002

02. April 2015


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