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SCHACH-SPHINX/05311: Irrwege des Vergessens (SB)


Der große Mann der römischen Philosophie der Stoa, Lucius Annaneus Seneca, übte sich gern im Geschichtenerzählen, um seinen Glauben an Kraft der Gelassenheit allem gegenüber angesichts eines unvermeidlich im Tode dahinsiechenden Lebens unters Volk zu bringen. Als Erzieher Neros häufte er viel Ruhm auf sich, denn der Arm seines Einflußes reichte weit. Dies Spiel mit der Macht wurde ihm jedoch 65 n.Chr. zum Verhängnis, als man ihn der Mitwisserschaft an einer Verschwörung bezichtigte, und ihn so zum Selbstmord zwang. Das Schachspiel war damals noch nicht erfunden, aber von einem anderen Brettspiel wußte Seneca zu erzählen. Darin ging die Rede von dem zum Tode verurteilten und im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartenden Julius Canus, der in dieser Geschichte als Vertreter der stoischen Philosophie auftritt. Als der Centurio in die Zelle trat, um ihn und andere zur Richtstätte zu führen, sagte Canus zu seinem Mitspieler, nachdem er die Steine gezählt hatte: "Siehe, daß du nicht, wenn ich tot bin, fälschlich behauptest, gewonnen zu haben". Schließlich wendete er sich zum Centurio hin und fuhr fort: "Du wirst bezeugen, daß ich um einen Stein im Vorteil bin". So ruhig und gelassen konnte eben nur ein Stoiker dem nahenden Tod entgegenblicken. Der Tod, dies lehrte Seneca, habe für einen stoischen Menschen alle Furcht verloren. Es läßt sich denken, daß der römische Stoizismus sich später, als das Christentum im römischen Kaiserreich zur Staatsreligion ausgerufen wurde, in bester Gesellschaft befand mit der christlichen Jenseitsverheißung und Unterminierung des Lebens als einer im Tod erlösten Qual. So versessen auf den Tod seines Königs war der englische Meister und Organisator des Radiowettkampfs zwischen Großbritannien und der UdSSR, William Winter, nie gewesen, auch wenn sein Name häufig in den Partien mit unvergeßlichen Ruhm auftauchte, aber eben nur als Verlierer; und stoisch gedacht hatte Winter ganz gewiß nicht, dazu war er zu sehr Schachspieler. Also, Wanderer, ans Werk, das heutige Rätsel der Sphinx wartet auf seine Erlösung, denn Meister Winter mußte in dieser Partie mit den schwarzen Steinen eine fürchterliche Niederlage einstecken.



SCHACH-SPHINX/05311: Irrwege des Vergessens (SB)

Tylor - Winter
Hastings 1933

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der plötzliche Springerausfall 1...Sf6-g4!! überraschte Meister Paulsen nur für einen Augenblick, dann hatte er den Rettungsweg ins Remis auch schon gefunden und durchkreute alle Siegeshoffnungen seines Gegners mit dem hübschen Damenopfer 2.De6-g8+!! Nun hätte 2...Tf8xg8 3.Tc5xc7 oder 2...Kh7xg8 3.Tf1xf8+ Kg8xf8 4.Tc5xc7 dank der weißen Freibauern auf dem Damenflügel zu einem gewonnenen Endspiel geführt. Also mußte sich Meister Hoffers nach 2...Kh7-g6 3.Dg8-e6+ ins Dauerschach fügen.


Erstveröffentlichung am 29. Dezember 2001

02. Dezember 2014





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