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SCHACH-SPHINX/05285: Pariser Geistesleben (SB)


Nachdem Paul Morphy auf seiner Rundreise durch den alten, europäischen Kontinent das viktorianische England verließ - er hatte in Zweikämpfen deren hochrangige Meister Löwenthal und Owen besiegt und konnte auf keine weiteren ernste Gegner rechnen -, führte ihn seine Schachwanderung im Winter 1858 nach Paris. In der Hauptstadt des europäischen Kulturlebens war es inbesondere das Café de la Régence, wo berühmte Schachmeister eintrafen, um ihr Können unter Beweis zu stellen oder in der Niederlage allen Ruhm einzubüßen. Es war dies eine halbseidene Welt. Heruntergekommene Existenzen hielten sich ebenso in diesem Menschengedränge auf wie hochstehende Persönlichkeiten der Verwaltung und auch adlige Herrschaften. Morphys Erscheinen erregte bereits am ersten Tag das allergrößte Aufsehen. Kein französischer Schachherkules war in Sicht, der ihm die Stirn bieten konnte. Und Morphy fühlte sich erstmals wohl in Europa. Anders als die sterile, abweisende, fast hochmütige Art der Engländer traf Morphy in Paris auf etwas Leichtlebiges, Unbeschwertes, das seinem seelischen Gleichgewicht zuträglich war. In dieser Atmosphäre der Unbekümmertheit errang er auch seinen größten europäischen Triumph mit dem Sieg über Adolf Anderssen, dem Gewinner des ersten internationalen Turniers von Bedeutung in der Geschichte des Schachspiels, London 1851. Im heutigen Rätsel der Sphinx spielte Morphy gegen den Franzosen Delannoy und hatte zuletzt mit den schwarzen Steinen 1...Tf8-e8 gezogen, was beim ersten oberflächlichen Blick wie ein Fehler aussieht, und so zog Delannoy augenblicklich 2.Lf4xc7 und mußte sich von Morphy darüber belehren lassen, das die Dinge oftmals anders liegen, als sie scheinen. Erkennst du den Irrtum im Blick Delannoys, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05285: Pariser Geistesleben (SB)

Delannoy - Morphy
Paris 1858

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der schwarze König hatte sich ein wenig zu leichtsinnig in die Brettmitte begeben, und so konnte Meister Gussew mit dem schlauen Springerzug 1.Se4-c5+! sehr originell Nutzen daraus ziehen. Nun brachte 1...d6xc5 wegen 2.Tf5xe5+ nur Kummer ein, aber auch nach 1...Ke6xf5 entkam er der Meute der weißen Figuren nicht: 2.Td1-f1+ Kf5- g4 - 2...Kf5-g5 3.Lb2-c1+ - 3.h2-h3+ Kg4-h4 4.Sc5-e4. Der weiße Vorteil ist offensichtlich, und nach 4...Se5xd3 5.Lb2xh8 wäre der Sieg materiell sichergestellt gewesen, allein Meister Gussew spielte auf Matt und bekam es auch: 5.Lb2-d4 Th8-g8 6.Tf1-f4+ Tg8-g4?? 7.Ld4-f2+! Sd3xf2 8.g2-g3+ Kh4-h3 9.Se4xf2# Das Ganze besaß jedoch einen Klumpfuß, denn Meister Fedin hätte wesentlich stärker 6...Sd3xf4! 7.Ld4-f2+ Tg8-g3 spielen können, und nun wäre 8.Se2xg3 an 8...Sf4-h3+! gescheitert und auf 8.Se2xf4 hätte er mit 8...d6-d5 9.Se4xg3 Kh4-g5 noch kämpfen können.


Erstveröffentlichung am 05. Dezember 2001

06. November 2014





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