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DILJA/005: Von wegen "Demokratie stärken" - Regierungsinitiative befördert Anpassungszwang (SB)


Extremismus - Werturteil normiert politische Gesinnungen

Angriff auf demokratische Werte durch vermeintliche Demokratiehüter


Am 16. März 2011 stritten, wie dem Pressedienst des Deutschen Bundestages zu entnehmen ist [1], Oppositions- und Koalitionsfraktionen heftig über die sogenannte "Extremismuserklärung". Im Familienausschuß wurde ein gemeinsamer Antrag der Regierungsparteien gegen die Stimmen der parlamentarischen Opposition in Gestalt von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen, der die "Bekämpfung von politischem Extremismus" weiterzuentwickeln und zu stärken vorgibt. Stein des Anstoßes erhitzter parlamentarischer Debatte war in diesem Rahmen insbesondere die sogenannte Extremismuserklärung, die nichtstaatliche Projektträger zu leisten gezwungen sind, um in den Genuß von Fördermitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu kommen.

Dabei ist schon die Verwendung dieses Begriffes ein unauflösbarer Widerspruch in sich. Extremismus ist eindeutig negativ bewertet und setzt ein Politikbild und -verständnis voraus, das wissenschaftlich keineswegs seriös begründet werden kann. Extremistisch bedeutet schon vom Wort her irgendwie randständig, nicht opportun, und setzt einen Gegensatz zur sogenannten politischen Mitte, wie das von den meinungsdominierenden Institutionen und Kräften durchgesetzte und als gesellschaftlich akzeptabel geltende Spektrum politischer Auffassungen, Meinungen und Positionen gern genannt wird, voraus. Die Frage, was im Zweifelsfall als "extremistisch" zu bewerten sei und was nicht, weist eine große Nähe zu politischer Zensur, Bevormundung und Indoktrination auf und hält einer gesellschaftspolitischen Kultur den Spiegel vor, die die eigenen, grundgesetzlich verankerten Ansprüche von Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Freiheit von Wissenschaft und Forschung auf diese Weise permanent verletzt.

Mit den im März vom zuständigen Bundestagsausschuß beschlossenen Programmen zur Extremismusbekämpfung wurde jedoch nur eine Politik der politischen Meinungskontrolle und Gesinnungsschnüffelei fortgesetzt, die mit dem im Herbst vergangenen Jahres vom Bundesfamilienministerium vorgestellten und am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" ihren Anfang genommen hatte. Hinter dieser Formel verbirgt sich ein Förderprogramm für zivilgesellschaftliche Projekte, die den "Rechtsextremismus" bekämpfen wollen und durch die staatliche Alimentierung Gefahr laufen, sich für ordnungspolitische bzw. polizeipräventive Zwecke instrumentalisieren zu lassen. Projektträger, die Mittel aus diesem Bundestopf beantragen, müssen eine Erklärung unterschreiben, "in der sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen" [2]. Dieser Begriff stellt bekanntlich eine Blaupause dar, die aus Sicht derer, die sich der daran geknüpften repressiven Mittel bedienen wollen, ausgedeutet und angewandt wird, wie es in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit des sogenannten Radikalenerlasses in den 1970er Jahren massenhaft geschehen ist.

Das Grundgesetz liefert keine Legaldefinition der "freiheitlich demokratischen Grundordnung", zu der sich nun Gruppen und Organisationen positiv bekennen müssen, wenn sie - ihrem Verständnis von Rechtsextremismus entsprechend - gegen Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhaß und Nationalismus aktiv werden. Desweiteren müssen sie sich verpflichten, nur mit Organisationen oder auch Einzelpersonen zusammenzuarbeiten, die ihrerseits dem Grundgesetz treu ergeben sind. Mit anderen Worten: Behelfs dieser Förderpolitik verwandelt das Bundesfamilienministerium zivilgesellschaftliche Eigeninitiativen in den verlängerten Arm von Polizei und Verfassungsschutz, müßten sie doch, um die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, potentielle Partner politischen Verhören unterziehen oder jeden Kandidaten beim Verfassungsschutz melden und dort auf seine Gesinnungstreue hin überprüfen lassen. Was als Initiative der Bundesregierung gegen "Rechtsextremismus" ausgewiesen wurde, erweist sich schon im Ansatz als Versuch, politische AktivistInnen zu erfassen, zu kontrollieren und einzubinden.

So führte die am 1. Januar in Kraft getretene Regelung alsbald zu Protesten, und zwar keineswegs nur "von links". Am 9. Februar 2011 kündigten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin sowohl der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Stephan Kramer, als auch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mayzek, an, gegen die Extremismusklausel aus dem Bundesfamilienministerium notfalls klagen zu wollen und forderten ihre Rücknahme. Kramer bezeichnete diese Praxis als einen "Versuch, Initiativen auf politische Linie zu bringen" [2], während Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) die Regelung mit der Begründung verurteilte, daß sie für "Zwietracht in der Zivilgesellschaft" sorge und daß dabei ein "verordneter Antifaschismus von Regierungs Gnaden" herauskomme [2]. Selbst unter Regierungsverantwortlichen wurde Kritik laut, so sprach Holger Hövelmann, SPD-Innenminister von Sachsen-Anhalt, in diesem Zusammenhang vom "Unsinn einer solchen Beschnüfflungsklausel" [3].

Die Bundesregierung sowie das federführende Bundesfamilienministerium zeigten sich jedoch beratungs- und kritikresistent. In einer Antwort (17/6420) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/6197) teilte die Bundesregierung hinsichtlich der umstrittenen Extremismusklausel mit, daß die eingeforderten Unterzeichnungen die Kontinuität der Programme zur Extremismusprävention nicht beeinträchtigt hätten [4]. Kein einziger der Träger von Projekten, die durch die Programme "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" und "Initiative Demokratie stärken", einem weiteren dem Kampf gegen den Extremismus gewidmeten Programm, das nach Angaben des Bundesfamilienministeriums "insbesondere präventiv gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus vorgeht" (www.bmfsfj.de), habe die für den Erhalt der Fördermittel erforderliche Erklärung verweigert [4].

Das mag zutreffend sein, schließt jedoch keineswegs aus, daß Projektträger, die sich auf diese Weise in ihrem Engagement und ihrer politischen Arbeit nicht von Staatsseite instrumentalisieren lassen wollen, gar nicht erst bzw. nicht mehr entsprechende Fördermittel beantragt haben. Einspruch gegen diese Form politischer Einflußnahme und Kontrolle war Anfang Februar auch von der ver.di-Jugend erhoben worden, deren Bundesjugendsekretär Ringo Bischoff anläßlich des am 1. Februar von rund 1500 Einzelpersonen und Organisationen geäußerten Protestes erklärte [4]:

Der mühsame Einsatz für demokratische Werte und gesellschaftliche Teilhabe muß gefördert und darf nicht durch bürokratische Gesinnungsklauseln behindert werden. Demokratiegefährdung geht - anders als Frau Ministerin Schröder vermutet - längst von der Mitte der Gesellschaft aus. Man findet sie in Betrieben, in Familien, in alltäglichen Situationen.

Mit dieser Einschätzung bewegt sich der Gewerkschafter außerhalb des Konsenses konservativer Wissenschaftler und Politiker, die die sogenannte Extremismusdebatte mit dem Verweis auf die Hufeisentheorie wissenschaftlich abzustützen versuchen. Diese "Theorie" will glauben machen, daß es - deshalb das Bild eines Hufeisens - eine (politische) Mitte gäbe und zwei extreme Ränder, die einander wie die Enden eines Hufeisens recht nahe kämen und miteinander gemein hätten, den Bestand der Gesellschaft zu gefährden. Eine solche Theorie ist schnell zu entlarven als der wissenschaftlich verbrämte Versuch, den sogenannten Rechts- mit dem Linksextremismus gleichzusetzen, sprich die Linke insgesamt zu diskreditieren. Aus naheliegenden Gründen sind es in der Regel Organisationen und Gruppen aus dem sich als "links" bezeichnenden Spektrum, die aktiv gegen neofaschistische Organisationen und Strömungen angehen.

Indem die Bundesregierung einerseits beansprucht, die Gefahr von rechts erkannt zu haben und ihr aktiv zu begegnen, wie die Förderprogramme belegen, und andererseits den Extremismusbegriff auf alle politischen Positionen, die sie als nicht akzeptabel und deshalb extremistisch bewertet, ausweitet, schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Sofern es dem Staat gelingt, sich als anti-rechtsextremistisch zu behaupten, bleiben alle Fragen danach, wie groß denn, wenn überhaupt, die inhaltlichen Unterschiede in den Forderungen und Positionen sogenannter Neonazis gegenüber den offiziellen politischen Linien sind, die von der deutschen Bundesregierung, aber auch den übrigen EU-Staaten verfolgt werden, weitgehend ungestellt. Inwieweit unterscheidet sich der oftmals gewaltsame Ausländerhaß sogenannter Rechter oder Rechtsextremer von der systematischen Abwehr unliebsamer Flüchtlinge, wie sie in der gesamten EU durch eine entsprechende Gesetzgebung sowie die Grenzschutz- oder vielmehr Flüchtlingsabwehragentur Frontex praktiziert wird?

Die tatsächliche Stoßrichtung der unter dem Label "Kampf gegen den Extremismus" vom Bundesfamilienministerium aufgelegten Förderprogramme dürfte denn auch vielmehr darin liegen, linke Organisationen, Strömungen und Bewegungen auszukundschaften, zu spalten und zu diskreditieren. Eines dieser Programme hat denn auch in diesem Frühjahr in Hamburg bereits zu massiven Protesten geführt. Mit 43.000 Euro aus den Mitteln der Ministeriumsinitiative "Demokratie stärken" [6] wurde an der Evangelischen Hochschule für Sozialpädagogik am "Rauhen Haus" ein Forschungsvorhaben unterstützt, in dessen Projektbeschreibung es hieß:

Ziel des Projekts ist es herauszufinden, inwieweit linksextremistische Jugendliche und solche die gefährdet sind, von den Angeboten der offenen Jugendarbeit in den Stadtteilen Hamburgs oder von Streetworker/innen in ihren Szenen erreicht werden können. Ziel ist es zudem, neben einer Literaturrecherche, die Einschätzungen der Polizei, des Verfassungsschutzes und der Justiz um spezifische (sozial)pädagogische und sozialräumliche Perspektiven sowie die Perspektiven der Zielgruppe selbst und deren Umfeld zu ergänzen.

Die Proteste der Studierenden sowie des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) gegen dieses am Institut für Soziale Praxis (ISP) angesiedelte Forschungsprojekt waren so massiv, daß der Rektor des "Rauhen Hauses", Michael Lindenberg, sich veranlaßt sah zu erklären, daß die im Zuge dieses Projektes bereits begonnene Befragung beendet sei und daß die Studie zum 30. Juni 2011 auslaufe. Zugleich erklärte Lindenberg seinen Rücktritt zum 30. September. [7] Damit ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht, da lediglich ein einzelnes Projekt aus dem Gesamtkonzept der Bundesregierung gegen den "Linksextremismus" mit dem Titel "Zugänge der Jugendhilfe zu links-autonomen Jugendszenen in Hamburg - eine Bestandsaufnahme" gestoppt werden konnte. Der Institutsleiter hatte noch versucht, sich gegen den Vorwurf, durch diese Arbeit die Gleichsetzung linker Positionen mit "rechtsextremen" zu befördern, zu wehren, indem er erklärte, daß die besagten Interviews nicht mit "Linksextremen", sondern mit "Linksautonomen" geführt worden seien.

Diese Argumentation konnte selbstverständlich die Kritik nicht entschärfen, zumal sie den Vorwurf, hier werde von Staatsseite gegen Linke mobil gemacht, durch die Aussage, daß Linksautonome und nicht -extreme die Zielpersonen gewesen seien, eher noch bekräftigt. Gleichwohl können die rund 1500 Initiativen und Einzelpersonen, die sich bereits im Februar den Protesten gegen diese Beschnüffelungspraxis angeschlossen haben, aus dem Vorgehen von Bundesregierung und Familienministerium konstruktiv die Schlußfolgerung ziehen, daß staatliche Fördermittel ausnahmslos der Durchsetzung staatlicher Ziele dienen und daß diese keineswegs mit den eigenen, durchaus demokratisch zu nennenden Anliegen gleichgesetzt werden können.

Anmerkungen

[1] heute im Bundestag Nr. 111 - Pressedienst des Deutschen Bundestages, Mittwoch, 16. März 2011.
2. Opposition und Koalition streiten weiter heftig über Extremismuserklärung.
Im Schattenblick siehe -> INFOPOOL -> PARLAMENT -> FAKTEN: BUNDESTAG/2572

[2] Schröder-Klausel abgelehnt. Breite Front gegen Förderpraxis der Familienministerin bei Bekämpfung von Rechtsextremismus. Linke lehnt Spaltung in gute und böse Antifaschisten ab. Junge Welt, 10.02.2011, S. 4

[3] Führt Extremismusklausel zu Misstrauen und Beschnüffelung? Auch Juden und Muslime fordern die Rücknahme der Extremismusklausel von Bundesfamilienministerin Schröder. Von Peter Nowak, Telepolis, 10.02.2011

[4] Deutscher Bundestag. hib - heute im bundestag Nr. 307. Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen. Freitag, 22. Juli 2011.
Im Schattenblick siehe -> INFOPOOL -> PARLAMENT -> FAKTEN: BUNDESTAG/2768

[5] Zit. aus: Gesinnungsprüfung. Die ver.di-Jugend ist empört über die sogenannte Extremismusklausel, junge Welt, 02.02.2011, S. 8

[6] Presseerklärung des Bündnisses gegen "Extremismusstudien" am Rauhen Haus, 5. März 2011,
http://extremismusstudienstoppen.blogsport.de/category/pressemitteilung/

[7] Hamburger Kampagne "Extremismusstudienstoppen" erfolgreich, 9. Mai 2011,
http://linksextremismus.wordpress.com/2011/05/09/hamburger-kampagne-linksextremismus-studienstoppen-erfolgreich/


3. August 2011