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DILJA/004: Bleierne Zeit im Anbruch - Elektronische Fußfessel zu präventivpolizeilichen Zwecken (SB)


Durch elektronische Fußfesseln wird die Gesellschaft zum Haftraum

Bundesweite Installation eines präventiven Bewegungsüberwachungssystems


Die eher kleinen, am Fußgelenk angebrachten Geräte muten auf den ersten, flüchtigen Blick vielleicht noch harmlos an. "Elektronische Fußfesseln", unter diesem schlagzeilenträchtigen Begriff wird in der Bundesrepublik seit vielen Jahren der Ausbau des Repressionsapparates vorbereitet, eingeleitet und vollzogen, der - zugespitzt ausgedrückt - das Potential in sich trägt, die ganze Gesellschaft in das bestehende Bestrafungs-, Überwachungs- und Kontrollsystem unliebsamer Menschen einzubeziehen. Keineswegs soll die damit geschaffene Möglichkeit, den Aufenthaltsort fußgefesselter Menschen rund um die Uhr zu überwachen und Bewegungsprofile zu erstellen, den bisherigen Freiheitsentzug in den Gefängnissen ersetzen, überflüssig machen oder auch nur einschränken. Es muß im Gegenteil damit gerechnet werden, daß weitaus mehr Menschen als zuvor freiheitsbegrenzenden Maßnahmen ausgesetzt werden, wenn die "elektronische Fußfessel" erst einmal voll etabliert und durchgesetzt worden ist, wenn also in allen Bundesländern die technischen und rechtlichen Voraussetzungen zu ihrer präventivpolizeilichen Anwendung geschaffen wurden.

In Hessen wird die elektronische Fußfessel bereits seit über zehn Jahren eingesetzt, allerdings in einem demgegenüber noch eingeschränkteren Rahmen, nämlich entweder in Hinsicht auf Tatverdächtige als Alternative zu der ihnen ansonsten drohenden Untersuchungshaft oder bei bereits verurteilten Straftätern, bei denen unter dieser Bedingung die gegen sie verhängte (Rest-) Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. In über 700 Fällen wurde in Hessen in den zurückliegenden zehn Jahren die elektronische Fußfessel zur Aufenthaltsüberwachung eingesetzt. In Baden-Württemberg wurde im Oktober 2010 ein einjähriges Modellprojekt ins Leben gerufen, bei dem rund 150 Menschen an die Fußfessel gelegt wurden, denen andernfalls eine Ersatzfreiheitsstrafe gedroht hätte oder bei denen eine gegen sie verhängte Geldstrafe durch einen auf diesem Wege gesicherten Hausarrest ersetzt wurde.

Inzwischen steht die Ausweitung der Anwendungsbereiche sowie die geographische Ausdehnung der elektronischen Fußfessel auf das gesamte Bundesgebiet bevor. Was ursprünglich dazu gedacht war, bei entlassenen Straftätern, die einen Arbeitsplatz, eine Wohnung und einen Bewährungshelfer haben, die sogenannte Wiedereingliederung in die Gesellschaft dadurch zu unterstützen, daß durch das fußfesselgestützte Präsenzmeldesystem die jeweiligen Aufenthaltsorte zu bestimmten Zeiten überprüft werden konnten, ermöglicht durch die seither erfolgten technologischen Innovationen, sprich GPS-fähige Mobiltelefone sowie preiswerte Flatrates, nun eine lückenlose Dauerüberwachung der Betroffenen. Eine öffentliche Diskussion hat es zu dieser Entwicklung im Repressionsbereich, die aller Voraussicht nach keineswegs eine Zurückdrängung der Inhaftierungen in Gefängnissen nach sich ziehen, sondern eher die Gefängnisse in die "normalen" gesellschaftlichen Strukturen, sprich die Wohn-, Arbeits-, Familien- und Sozialverhältnisse der Betroffenen, ausweiten wird, bislang nicht gegeben.

Im Januar 2011 wurde die gesetzliche Einführung der "elektronischen Aufenthaltsüberwachung", so die offizielle Bezeichnung für die elektronische Fußfessel, beschlossen, ohne daß dies zu einem nennenswerten Echo oder gar einer kritischen Debatte in Medien und Öffentlichkeit geführt hätte. Im Mai befaßten sich Experten auf der Jahrestagung des Verbandes für Sicherheitstechnik in Leipzig mit den damit einhergehenden technischen Fragen, während die Justizminister der Bundesländer in Halle über die nächsten Schritte im rechtlichen Bereich berieten. Ein Staatsvertrag zur gemeinsamen Nutzung dieser Technik und zur Bereitstellung einer zentralen Überwachungsstelle in Bad Vilbel (Hessen) wurde von Bayern und Hessen zuerst unterschrieben; bis September sollen alle übrigen Bundesländer folgen.

Es soll einen "Betriebs- und Pflegeverbund für ein elektronisches Aufenthaltsüberwachungssystem" geben, der, wenn erst einmal alle Bundesländer dem Staatsvertrag beigetreten sind, eine flächendeckende Rundumüberwachung und die Erstellung von Bewegungsprofilen im gesamten Bundesgebiet ermöglicht. Zwischen den einzelnen Ländern gibt es derzeit noch differierende Vorstellungen und Konzepte darüber, gegen welche Personengruppen dieses System angewandt werden soll. Bei diesen Differenzen wird es sich um eher taktisch zu begründende Unstimmigkeiten handeln, also um Fragen danach, ob der Anwendungsbereich eher Stück für Stück ausgedehnt oder ob gleich zu Beginn ein großer Schnitt gemacht werden soll. Dabei darf nicht vergessen werden, daß bereits im Jahre 2006 der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) "elektronische Fußfesseln für gefährliche Ausländer, die nicht abgeschoben werden können" [1], vorgeschlagen hat.

Die "elektronische Fußfessel" wäre dann nicht mehr Bestandteil der Strafjustiz, sondern würde präventiv gegen Menschen eingesetzt werden, denen die zuständigen Institutionen eine Gefährlichkeit zuordnen. Diese Schwelle wird jetzt allem Anschein nach überschritten, wobei die Grenzen zu den bisherigen Anwendungsbereichen und Pilotprojekten selbstverständlich fließend sind. So ließ die Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) unlängst wissen, daß in Hamburg seit dem 28. Juni 2011 der erste ehemalige Strafgefangene nach seiner Entlassung der "elektronischen Aufenthaltsüberwachung" unterstellt wurde [2]. Ab 2012 sollen diese "Überwachungshelfer" - ein im übrigen sehr aussagekräftiger Begriff, der keineswegs mit dem des Bewährungshelfers verwechselt werden darf - bundesweit zum Einsatz kommen. Am 14. Juni 2011 hatte der Hamburger Senat beschlossen, daß sich die Hansestadt an der zentralen "Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder" (GÜL) in Hessen, in der sämtliche Meldungen bundesweit ausgewertet werden sollen, beteiligt.

Dabei ist die angebliche Präventivwirkung dieser Maßnahmen nicht einmal unter den beteiligten Sicherheitspolitikern unumstritten. So erklärte Thomas Kutschaty (SPD), Justizminister Nordrhein-Westfalens, daß die rechtlichen und technischen Möglichkeiten dieses Überwachungssystems beschränkt seien und daß die elektronische Fußfessel keine neuen Taten sicher verhindern könne [3]. Dessen ungeachtet besteht unter den Justizministern aller Bundesländer Einigkeit darüber, künftig alle rückfallgefährdeten Sexual- und Gewalttäter vom hessischen Kontrollzentrum aus einer bundesweiten Kontrolle zu unterwerfen. Wie auch die Sicherungsverwahrung stellt die elektronische Fußfessel somit eine Präventivmaßnahme dar gegen Menschen, die die gegen sie verhängten Strafen verbüßt haben und dennoch weiteren Repressalien ausgesetzt werden mit der Begründung, daß sie (weitere) Straftaten begehen könnten.

Konsequent weiterentwickelt, ließe sich dieses präventivpolizeiliche Konzept auf alle Menschen ausdehnen, die den Sicherheitsorganen des Bundes und der Länder aus irgendeinem Grund verdächtig erscheinen. Dies könnte, um dieses Szenario einmal weiter auszuformulieren, auch auf Einschätzungen beruhen, die aus geheimdienstlichen Quellen stammen, und es könnte weitaus mehr Menschen als die in der öffentlichen Debatte bei solchen Fragen stets ins Feld geführten Sexualstraftäter betreffen.

Wenn, wie durch den Staatsvertrag bereits beschlossen und eingeleitet, erst einmal ein bundesweites Überwachungssystem geschaffen worden ist, wird es wohl kaum bei nur drei Personen bleiben, die zur Zeit im gesamten Bundesgebiet eine Fußfessel tragen müssen, wie Innenminister Kutschaty am 21. Juli bei der Vertragsunterzeichnung durch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen verlautbart hatte. Zu Zwecken einer politisch ausgerichteten Präventiv-Repression wäre die elektronische Fußfessel ein den Hütern staatlicher Ordnungsvorstellungen höchst willkommenes Mittel, da es die zeitlich wie räumlich uneingeschränkte Aufenthaltsüberwachung mißliebiger Demonstranten und politischer Aktivisten, im Polizeijargon "Störer" genannt, ermöglicht. Ein Narr, der nichts Böses dabei dächte...

Anmerkungen

[1] Terroristen jetzt auf Listen. Innenminister von Bund und Ländern beschließen "Antiterrordatei". Der Verfassungsschutz bekommt jährlich 50 Millionen Euro mehr. Von Ulla Jelpke, junge Welt, 05.09.2006, S. 1

[2] Aufenthaltsüberwachung. Erster Häftling bekommt elektronische Fußfessel. Seit Ende Juni ist der erste Ex-Häftling mit einer Fußfessel gesichert. Ab 2012 sollen die "Überwachungshelfer" bundesweit zum Einsatz kommen. Welt online, 21.07.2011,
http://www.welt.de/regionales/hamburg/article13500760/Erster-Haeftling-bekommt-elektronische-Fussfessel.html

[3] Bundesweite Zuständigkeit. Zentralstelle in Bad Vilbel zu Fußfessel-Überwachung. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2011,
http://www.faz.net/artikel/C30745/bundesweite-zustaendigkeit-zentralstelle-in-bad-vilbel-zu-fussfessel-ueberwachung-30469966.html


28. Juli 2011