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MELDUNG/059: Prozeß in München - Türkischer Staat erhält Zugriff auf Verteidigerpost (Rote Hilfe)


Bundesvorstand Rote Hilfe e.V. - Pressemitteilung vom 12.10.2016

Münchner TKP/ML Prozess: Türkischer Staat erhält Zugriff auf Verteidigerpost

"Faires Verfahren" endgültig verunmöglicht


Durch einen Antrag der Verteidigung des Hauptangeklagten Müslüm Elma wurde bekannt, dass die bayerische Justiz dem türkischen Staat offenbar ermöglicht hat, in mindestens einem Fall Einsicht in den Schriftverkehr zwischen Anwalt und Verteidiger zu nehmen.

Ein sog. "Kontrollrichter", der nicht dem erkennenden Senat des OLG München, sondern dem Amtsgericht Kempten angehört, liest sämtliche Korrespondenz seit dem Beginn des Verfahrens, was ohnehin schon als fragwürdige Praxis angesehen werden kann, sollte diese doch vertraulich sein. Da der Austausch in türkischer Sprache erfolgt, lässt der "Kontrollrichter" sämtliche Briefe ins deutsche übersetzen, um sie lesen zu können, was eine Verzögerung von zwei bis vier Wochen zur Folge hat. Doch damit nicht genug wurde nun durch den Antrag bekannt, dass für die Übersetzung ein Büro in der Türkei engagiert wurde, dass noch nicht einmal eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen musste und sich nun weigert, die erstellten Kopien der vertraulichen Post zu vernichten. Ebenso wurden die Schriftstücke per unverschlüsselter Email in die Türkei übersandt, also in ein Land, dass sich im Ausnahmezustand befindet, auf eine Diktatur zusteuert und einen sehr hohen Grad an Telekommunikationsüberwachung durch Polizei und Geheimdienst aufweist.

Die VerteidigerInnen der restlichen neun Angeklagten lassen inzwischen überprüfen, ob es weitere Fälle in dieser Art gegeben hat.

Hierzu erklärt H. Lange, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.: "War dieser Prozess von vornherein ein politischer Prozess im Auftrag des Erdogan-Regimes, so wird nun ein weiteres Mal deutlich, dass rechtstaatlichen Standards kein besonderer Wert beigemessen wird, wenn es um Verfahren gegen linke AktvistInnen geht. Nicht nur, dass sich die Anklage auf angebliche Erkenntnisse der für ihre Folterpraxis berüchtigten türkischen Polizeibehörden stützt, wird nun auch noch vertrauliche Post eines Angeklagten und vom Regime Verfolgten in die Türkei übermittelt. Damit ist ein ohnehin nicht zu erwartendes "faires Verfahren" endgültig verunmöglicht worden."

Die zehn Angeklagten waren in einer europaweiten Razzia am 15.4.2015 verhaftet und in Deutschland als mutmaßliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch inhaftiert worden. Seit 16 Prozesstagen wird ihnen wegen angeblicher "Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung" (§ 129b StGB) vor dem OLG München der Prozess gemacht.

Die Rote Hilfe e.v. fordert die sofortige Freilassung der zehn GenossInnen und eine Entschädigung für die erlittenen Repressalien.

H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 12.10.2016
Bundesvorstand Rote Hilfe e.V.
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Telefon: 0551/770 80 08; Fax: 0551/770 80 09
E-Mail: bundesvorstand@rote-hilfe.de
Internet: www.rote-hilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2016

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