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MELDUNG/003: Pakistan - Immobiliensektor profitiert von Kämpfen gegen Taliban, Tausende vertrieben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juni 2011

Pakistan: Immobiliensektor profitiert von Kämpfen gegen Taliban - Tausende vertrieben

Von Ashfaq Yusufzai


Peschawar, 28. Juni (IPS) - Binnenflüchtlinge in Pakistan haben dem Immobiliensektor einen neuen Boom beschert. Die Preise für Wohnungen sind rapide gestiegen, seit die zunehmende Gewalt im Nordwesten des Landes zahlreiche Menschen aus ihren Häusern vertrieben hat.

Der Zustrom von Wohnungssuchenden aus den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) sorgte dafür, dass die Immobilienpreise und Mieten in Peschawar, der Hauptstadt der angrenzenden Provinz Khyber Pakhtunkhwa, immer weiter in die Höhe schnellten.

"Die Militäroperationen gegen die Taliban zwangen Tausende Familien dazu, ihren Besitz zu Schleuderpreisen zu verkaufen und sich Wohnungen in sichereren Gegenden zu kaufen", berichtete Wakil Durrani, der Vorsitzende des Maklerverbandes von Peschawar, im Gespräch mit IPS. Diejenigen, die sich kein Eigentum leisten könnten, mieten sich Wohnraum.

In dem Peschawar-Stadtteil Hayatabad sind die meisten der rund 25.000 Wohnungen an ehemalige Bewohner der Konfliktgebiete verkauft oder vermietet worden. Arme Familien sind in Elendsvierteln der Stadt untergekommen. Alle von ihnen hatten vor allem das Ziel, den radikalislamischen Taliban und der pakistanischen Armee zu entkommen.


Mietpreise in die Höhe geschossen

Die Mieten in Hayatabad sind seit 2007 förmlich explodiert. Zahlte man früher für ein 1.300 Quadratmeter großes Haus monatlich umgerechnet 70 US-Dollar, muss man dafür heute 250 Dollar hinblättern. "Die Eigentümer vermieten lieber an Vertriebene, weil sie mehr zahlen", sagte Durrani. Ähnlich stark haben die Kaufpreise angezogen. Ein Haus, das vor einigen Jahren noch 30.000 Dollar kostete, ist jetzt 70.000 Dollar wert.

Rahim Schah, ein Transportunternehmer aus Süd-Wasiristan, pendelt mit seiner Familie seit 2007 zwischen Peschawar und seiner Heimat. Die Militäreinsätze in der Stadt hätten sie zum Umzug gezwungen, sagte er IPS. Er habe alles verkauft und in Peschawar eine neue Bleibe gefunden.

Taliban-Kämpfer sind in den Stammesgebieten untergetaucht, seit die US-Streitkräfte sie 2001 aus Afghanistan vertrieben. Über die durchlässige Grenze gelangten sie rasch in das Nachbarland Pakistan. Das aus sieben Untergebieten bestehende Stammesterritorium erstreckt sich über eine Fläche von rund 47.000 Quadratkilometern und zählt etwa fünf Millionen Einwohner.

Auch der Kieferchirurg Akbar Ali floh vor der Gewalt nach Peschawar. Fast die Hälfte der 790.000 Einwohner seines Heimatdistrikts Mohmand, wo seit 2009 gekämpft wird, kann nicht mehr in ihre Heimat zurück. "Die Lage ist sehr schlecht. Diejenigen, die sich Häuser in sichereren Gegenden leisten konnten, sind weggegangen. Nur die Armen sind geblieben, weil sie keine andere Wahl haben", sagte Ali, der inzwischen im Bezirk Charsadda in Khyber Pakhtunkhwa lebt.

Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde von FATA hat etwa eine Million Menschen aufgrund der unsicheren Lage die Stammesgebiete verlassen. Sie alle seien in die Schlusslinie zwischen den verfeindeten Parteien geraten und hätten verzweifelt nach einem Ausweg gesucht, berichtete Irfan Ali, der für die Behörde arbeitet.

"Wir haben wertvolles Ackerland in Swat verkauft und dafür drei Häuser in Peschawar erworben", sagte Waheedullah Shah, in dessen Heimat die Armee 2007 eine Großoffensive gegen die Taliban gestartet hatte. Inzwischen sind die Militäreinsätze zwar beendet, doch die Taliban immer noch immer da. "Wir besuchen unsere Verwandten in Swat an Feiertagen, die Lebensbedingungen dort sind nicht gut", erzählte er.


Arme von Vermietern ausgebeutet

Arme Familien aus den Stammesgebieten kommen in Peschawar nur in baufälligen Häusern unter, für die sie obendrein noch horrende Mieten zahlen. "Ein Lehmhaus mit zwei Zimmern kostet uns 54 Dollar im Monat. Eigentlich könnten noch nicht einmal Tiere darin leben", meinte der Tagelöhner Abdul Latif. Etwa 200.000 Menschen aus seinem Bezirk in den FATA haben zurzeit ähnliche Probleme, weil sie sich die Mieten kaum noch leisten können.

Von der steigenden Nachfrage nach Häusern haben vor allem Immobilienfirmen und Grundbesitzer profitiert. "Die Eigentümer haben neue Wohnhäuser gebaut, um sie teurer an Scharen von Vertriebenen zu vermieten", sagte der Immobilienmakler Sufaid Khan aus dem Distrikt Tank. "Die Wohlhabenderen aus Wasiristan sind in die Städte gezogen, während die Armen auf dem Land Zuflucht gesucht haben."

"Meine Kinder weinten die ganze Zeit und konnten nicht mehr schlafen, weil das Gewehr- und Artilleriefeuer so laut war", sagte der 50-jährige Muhammad Tahir. Deswegen habe seine Familie das Haus verlassen, in dem schon seine Vorfahren gelebt hatten. Tahir musste ein gut gehendes Geschäft aufgeben, um seine Familie in Sicherheit zu bringen.

Viele Vertriebene versuchen zumindest in Gebieten unterzukommen, die nicht so weit von der Heimat entfernt sind. Sie trösten sich damit, dass sie gelegentlich noch zu Hochzeiten oder Beerdigungen zurückkehren können. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2011