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INTERNATIONAL/163: Interpol von repressiven Mitgliedstaaten "missbraucht" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. August 2013

Menschenrechte: Interpol von repressiven Mitgliedstaaten 'missbraucht'

Von Ida Karlsson - Mit Bild


Bild: © Yazeed Kamaldien/IPS

Die Interpol-Mitgliedstaaten Iran, Jemen, Syrien, Sudan, Weißrussland und Simbabwe werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht - Demonstranten im Jemen
Bild: © Yazeed Kamaldien/IPS

Brüssel, 7. August (IPS) - Die weltgrößte internationale kriminalpolizeiliche Organisation 'Interpol' wird von Staaten missbraucht, um politische Gegner und Menschenrechtsaktivisten aufzuspüren. Menschenrechts-, Juristen- und Journalistenorganisationen fordern Maßnahmen, die solche Übergriffe verhindern.

Die Zahl der steckbrieflich "gesuchten Personen" hat sich in den letzten Jahren mehr als verdreifacht. Und auf den Fahndungslisten von Interpol stehen nicht immer nur mutmaßliche Verbrecher. Interpol gibt jedes Jahr Tausende Steckbriefe, die sogenannten Roten Benachrichtigungen, heraus. Doch verfügt Interpol nach Ansicht von Experten über keine wirksamen Mechanismen, um den Missbrauch seines Systems durch Mitgliedsländer wie dem Iran, dem Jemen, Simbabwe, dem Sudan, Syrien und Weißrussland zu unterbinden, die eine schlechte Menschenrechtsbilanz aufweisen und als korrupt gelten.

Die Roten Benachrichtigungen sind keine Haftbefehle. Sie stellen Nationalstaaten frei, selbst zu entscheiden, wie sie auf die Steckbriefe reagieren wollen. In vielen Fällen müssen sie als rechtliche Grundlage für Verhaftungen herhalten.


Ausgeliefert

"Die Warnungen, die Interpol zu 'gesuchten Personen' herausgibt, können eine Vielzahl verheerender Auswirkungen haben", sagt Alex Mik von 'Fair Trials International'. Die Organisation hilft Menschen, die außerhalb ihres Landes von Gerichtsverfahren bedroht werden. "Den Betroffenen wurden Visa verweigert und sie wurden Monate wenn nicht gar Jahre von ihren Familien getrennt. Sie verloren ihre Arbeitsplätze und Lebensgrundlage. Geschäftsleute müssen damit rechnen, dass ihnen ihre Kunden weglaufen, Journalisten droht der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Die Menschen trauen sich aus Angst, verhaftet zu werden, nicht mehr zu reisen."

Fair Trials International hatte bereits mit einer Vielzahl solcher Fälle zu tun. "Zum Beispiel wurde der russische Aktivist und Journalist Petr Silaew in einer Jugendherberge festgenommen. Er saß fünf Stunden in Handschellen in einem Polizeiauto und wurde mehr als eine Woche im Gefängnis festgehalten. Und das, weil auf Betreiben eines Ermittlers in Moskau eine Rote Benachrichtigung ausgestellt wurde", berichtet Mik. "Indonesien wiederum missbrauchte das Interpol-System, um Benny Wenda, eine Schlüsselfigur der westpapuanischen Unabhängigkeitsbewegung, als gesuchten Terroristen hinzustellen und seine politische Kampagne in Verruf zu bringen."

Für Menschen in dieser schwierigen Lage gibt es kein unabhängiges Gericht, an das sie sich wenden können, um ihre Rehabilitierung zu verlangen. Sie haben lediglich die Möglichkeit, eine Revision ihres Falls durch einen von Interpol finanzierten Ausschuss zu beantragen. Der Ausschuss besteht aus Regierungsvertretern und nicht aus Menschenrechtsexperten.

Fair Trials International hat Interpol dazu aufgerufen, sich vor einem politischen Missbrauch zu schützen und sicherzustellen, dass wirkliche flüchtige Täter und nicht diejenigen verfolgt werden, deren einziges 'Verbrechen' darin besteht, dass sie Regierungskritiker sind.

2011 hatte das Internationale Konsortium investigativer Journalisten eine Momentaufnahme aller Roten Benachrichtigungen auf der Webseite von Interpol seit dem 10. Dezember 2010 gemacht. Mehr als 2.200 der 7.622 Steckbriefe stammten aus Ländern, in denen nach Angaben der Organisation 'Freedom House' politische Rechte und bürgerliche Freiheiten missachtet werden. 3.600 stammten aus Staaten, die die Anti-Korruptionsorganisation 'Transparency International' zu den korruptesten der Welt zählt.

Alex Mik zufolge hat Interpol 2005 2.343 Rote Benachrichtigungen herausgegeben. 2010 waren es 6.344 und 2011 7.678. Mussten sich bis 2008 die Polizeibehörden direkt an Interpol wenden, um eine Rote Benachrichtigung zu beantragen, reicht es heute, dass sie ihre Anfrage einfach ins System eingeben. Polizisten in der ganzen Welt können sich die Anfrage ansehen, bevor sie von Interpol bearbeitet wird.


"Anzeichen eines abgekarteten Spiels"

Im Februar 2013 forderte die Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen die Rücknahme einer Roten Benachrichtigung gegen den französischen Journalisten Daniel Lainé. Der Steckbrief hinderte Lainé daran, im Ausland zu recherchieren. Den Reportern ohne Grenzen zufolge wies der Fall alle "Anzeichen eines abgekarteten Spiels auf, mit angeblichen Beweisen, die von jemandem schriftlich eingereicht worden waren, der nie vor Gericht erschienen ist".

Am 1. Juli 2012 trat eine Resolution zur Regelung des Interpol-Steckbrief- Systems in Kraft. Sie sollte sicherstellen, dass die Veröffentlichung und Verbreitung Roter Benachrichtigungen höchsten Standards unterliegen. Doch nach Ansicht von Fair Trials International ist die Reform unzureichend.

Interpol gehören 190 Staaten an. Sie ist mit einem Jahresetat in Höhe von fast 60 Millionen Euro ausgestattet. Ihre Satzung verpflichtet die internationale Organisation dazu, "den Geist der Allgemeinen Menschenrechtserklärung zu respektieren".

Im 'International Enforcement Law Reporter', einem monatlichen Print- und Online-Magazin über Neuigkeiten und Trends bei der Durchsetzung von Gesetzen, schrieb Interpol 2012, dass ihr "umfassender Rechtsrahmen sicherstellt, dass die Weiterverarbeitung ihrer Informationen über die Interpol-Kanäle (einschließlich die Roten Benachrichtigungen) im Einklang mit den geltenden Interpol-Bestimmung erfolgt.

Auf Anfragen von IPS, sich zu den Vorwürfen zu äußern, hat Interpol nicht reagiert. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.fairtrials.net/
http://www.icij.org/offshore
http://rsf.org/petitions/vietnam/petition.php?lang=en
http://www.ielr.com/
http://www.ipsnews.net/2013/08/interpol-misused-by-human-rights-abusers/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2013