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INTERNATIONAL/143: Brasilien - Gewehrfeuer und Chemikalien, Landlose von Grundbesitzern verfolgt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2013

Brasilien: Gewehrfeuer und Chemikalien - Landlose von Grundbesitzern verfolgt


Bild: © Fabiola Ortiz/IPS

Kinder in einem Lager der Landlosenbewegung im brasilianischen Bundesstaat Pará
Bild: © Fabiola Ortiz/IPS

Marabá, Brasilien, 24. April (IPS) - Waldemar dos Santos müht sich in der feuchten Hitze des Amazonasgebiets ab, um den Gemeinschaftsgarten zu pflegen, den er gemeinsam mit anderen landlosen Bauern im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará bewirtschaftet. Sie alle warten bisher vergeblich darauf, im Zuge der Agrarreform eigenes Land und somit die Chance auf ein besseres Leben zu erhalten.

Ich träume von einer kleinen Parzelle. Wir wollen den Hunger in diesem Land beenden, sagt der 60-Jährige. Als Kind war er mit seiner Familie der Dürre im Bundesstaat Bahia im Nordosten entflohen und nach Pará gezogen. In dem 2010 von der Landlosenbewegung MST eröffneten Camp Frei Henri des Roziers leben insgesamt 280 Familien, die kein eigenes Land besitzen. Das Lager ist nach einem 82-jährigen Dominikanerpater benannt, der der katholischen Pastoralen Landkommission angehört und sich in der Region nach wie vor für die Menschenrechte einsetzt.

Die Landlosen okkupieren eine 400 Hektar große Farm, die unter dem Namen Fazendinha bekannt ist und etwa 100 Kilometer von der Stadt Marabá entfernt liegt. Sie sagen, dass der vorgebliche Eigentümer die ehemalige Rinderfarm widerrechtlich in Besitz genommen und staatliche Wälder abgeholzt habe. Als die Bauern sich auf dem Terrain niederließen, habe es brach gelegen. Mit diesem Argument begründet die Bewegung fast alle ihre Landbesetzungen.

Im Südosten von Pará, wo der Kampf um Land besonders heftig tobt, sind bisher mehr als 500 Siedlungen von Kleinbauern vom Nationalen Institut für Landnahme und Agrarreform (INCRA) genehmigt worden. Dennoch gibt es weiterhin mehr als hundert Lager, in denen Familien in Zelten und Strohhütten leben und darauf warten, dass die Regierung in Brasilia ihnen Landtitel übergibt.

Durchschnittlich dauert es fünf Jahre, bis die Regierung ein ungenutztes Grundstück beschlagnahmt und es für die Landreform zur Verfügung stellt. Die Besetzung von Fazendinha hat zu erbitterten Konflikten mit Grundbesitzern geführt, die private Wachmannschaften angeworben haben, um die Landlosen einzuschüchtern und ihre Felder zu zerstören. Wir pflanzen gesunde Nahrung an. Die Grundbesitzer produzieren nichts, behaupten aber das Gegenteil. Ständig werden wir bedroht, und die Justiz in Pará arbeitet sehr langsam, sagt Dos Santos.


Menschen werden wie Tiere abgeschossen

Maria Raimunda César, die dem MST-Koordinationskomitée in Pará angehört, befürchtet, dass der Streit um Land nie enden wird. In Pará werden Menschen wie Tiere abgeschossen. Eine für den Export bestimmte Rinderhälfte ist mehr wert als ein Menschenleben. Wir erleben eine enorme Ungerechtigkeit, zunehmende Unterdrückung und Gewalt.

Nach Ansicht von César kümmert sich der Staat nicht um die Agrarreform. Sowohl die amtierende Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva hätten das Thema aus der Agenda entfernt.

Veränderungen bei der Landnutzung folgten einem ähnlich perversen Schema, kritisiert sie. Zunächst werde eine Schneise in den Regenwald geschlagen, um Bergbau und Holzeinschlag zur Produktion von Holzkohle zu ermöglichen. Danach würden private Landbesitzer auf staatliche Grundstücke vordringen, zerstörten den Wald und legten Weiden für ihre Rinder an. Durchschnittlich komme auf jeden Hektar Land ein Rind.

Nahe Marabá liegt auch das Landlosen-Camp Helenira Resende, das am 1. März 2010 errichtet wurde und 150 Familien aufgenommen hat. Die Bauern werden dort nicht nur von Bewaffneten bedroht, sondern mit giftigen Agrarchemikalien aus der Luft besprüht.

Der argentinische Aktivist Raúl Montenegro, der sich an einer internationalen Solidaritätsmission für die Landlosen in Pará beteiligt hat, bezeichnet den kombinierten Einsatz von Munition und Gift als chemische Kriegsführung. Die Großgrundbesitzer behaupteten, sie versprühten die Chemikalien auf ihren eigenen Feldern. Doch das ist eine Ausrede, um sich der Verantwortung für die auf diese Weise verursachten Schäden zu entziehen, erläutert Montenegro, der Vorsitzender der Stiftung für Umweltschutz in der argentinischen Stadt Córdoba ist. 2004 erhielt er den Right Livelihood Award, der als alternativer Nobelpreis betrachtet wird.


Angriffe auf Landlose nicht geahndet

Wir können nicht nur bestätigen, dass Gruppen bewaffneter Männer das Camp Frei Henri des Roziers belagert und nachts unter Beschuss genommen haben. Wir sahen auch, wie Unternehmen Pestizide aus der Luft versprühen, berichtet er. Das Gift treffe Kinder, Jugendliche und Erwachsene, während die Verantwortlichen der Verseuchung straffrei ausgingen. Die Regierung übe keinerlei Kontrolle aus.

Zu den einflussreichen Feinden der Landlosen gehört der Rinderzuchtbetrieb Santa Barbara. Einer der Aktionäre ist der Bankier Daniel Dantas, der 2008 wegen Finanzdelikten und Geldwäsche festgenommen wurde. Laut MST und der Pastoralkommission hat das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren in Pará rund 800.000 Hektar Land aufgekauft. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.mst.org.br/
http://www.incra.gov.br/
http://ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102705
http://www.ipsnews.net/2013/04/the-brazilian-state-of-para-where-land-is-power/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2013