Schattenblick →INFOPOOL →REPRESSION → FAKTEN

INTERNATIONAL/080: Pakistan - Gnadenlos verfolgt, abtrünnige Taliban müssen um ihr Leben fürchten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juni 2012

Pakistan: Gnadenlos verfolgt - Abtrünnige Taliban müssen um ihr Leben fürchten

von Ashfaq Yusufzai



Peschawar, 22. Juni (IPS) - Vor sechs Jahren schloss sich Abdul Ghafoor den Taliban an. Im August letzten Jahres lief er ihnen davon und ergab sich der Armee. "Mir war klar geworden, dass sie im Unrecht sind", sagt der 39-jährige Pakistaner. "Nun jagen sie mich wie einen Schatten. Sie wollen mich töten."

Ghafoor weiß, wovon er spricht. Zahlreiche Männer, die die Reihen der militanten Islamisten verließen, wurden bereits getötet oder schafften es nur mit großer Mühe, dem Rachefeldzug ihrer ehemaligen Verbündeten zu entgehen.

"Seitdem diese Kämpfer alle Verbindungen zu den Taliban gekappt und Zuflucht in Peshawar oder anderenorts suchen, werden sie von den Milizen verfolgt", berichtet Mohammad Amir Rehman aus Khyber, einem der sieben Verwaltungsbezirke der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) im Nordwesten Pakistans an der Grenze zu Afghanistan. Nach ihrer Vertreibung aus Kabul durch die US-geführten Koalitionstruppen 2001 hatten sich die Taliban in den FATA in Sicherheit gebracht.

"Die Armee bedient sich unterschiedlicher Strategien, um mit den selbst ernannten Gotteskriegern fertigzuwerden. In den von Gewalt betroffenen Gebieten werden etwa Friedenskomitees gebildet, denen Stammesälteste und andere hochangesehene Personen angehören. Seit 2005 sind in den FATA rund 100 solcher Komitees aktiv", berichtet der Journalist Rehman Shak.


Bereits tausende Taliban demobilisiert

Mitglieder der Komitees konnten demnach bereits etliche Taliban davon überzeugen, dem Kampf abzuschwören. "Etwa 4.500 Taliban haben dank der Bemühungen bereits die Waffen niedergelegt", erklärt Islamzeb Kham aus dem Verwaltungsbezirk Bajaur.

Allerdings sind auch etwa 200 ehemalige Kämpfer von ihren früheren Gefährten verletzt oder getötet worden. Am 30. Mai wurden zwei Brüder im Distrikt Charsadda von Taliban umgebracht. Laut Khan hatten sich beide im Januar von den militanten Islamisten losgelöst.

"Diejenigen, die die Taliban verlassen, müssen damit rechnen, getötet zu werden", sagte Islamistenführer Mullah Faqir gegenüber IPS. "Sie verbünden sich mit Ungläubigen gegen die Muslime, deshalb werden wir sie nicht verschonen."

Auch Sajid Gulm, ein Kleiderhändler in Peshawar, hat durch die Rache der Milizen enge Verwandte verloren. Zwei seiner Söhne hätten vor einem Jahr den Kampf an der Seite der Taliban im Verwaltungsbezirk Orakzai aufgegeben, um künftig ein Leben in Frieden zu führen, berichtet er. "Ihre Entscheidung hat die Taliban in Rage gebracht. Beide wurden im Februar ermordet." Aus Angst vor weiteren Vergeltungsschlägen hat Gul sein gutgehendes Geschäft in der Heimat geschlossen.

Wie der Polizist Jawad Ghani erklärt, wird den ehemaligen Kämpfern geraten, die Polizei über ihre Aufenthaltsorte in Peshawar zu informieren, um geschützt zu werden. "Mehr als 30 frühere Taliban sind in den vergangenen zwei Jahren in Peshawar getötet worden. Niemand, der die Friedensbemühungen der Regierung unterstützt, bleibt verschont."

Auch Jehanzeb Khan aus Süd-Wasiristan, der im vergangenen November einen Bruder verlor, empfiehlt allen ehemaligen Taliban, Personenschutz zu beantragen. Die Taliban seien überall, es gebe keine sicheren Orte, sagt er.


Auch Verwandte von Ex-Taliban in Lebensgefahr

Wie Noorullah Khan, ein Politologe am 'Government Decree College' in Charsadda, erläutert, ist Peshawar für die abtrünnigen Kämpfer deshalb so gefährlich, weil die meisten Taliban die Stammesgebiete verlassen haben, um dem Zugriff der Armee zu entgehen. Sie seien nun überall und töteten in vielen Fällen auch Angehörige der früheren Kämpfer.

Der Erdölhändler Zaheer Shah wurde im letzten August in Peshawar ermordet, weil sich sein älterer Bruder von den Taliban losgesagt hatte. Nach Angaben des Polizisten Ghani wurde Ende Februar in der Stadt zudem die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Die Ermittlungen ergaben, dass der Vater des Toten ein ehemaliges Mitglied der dschihadistischen 'Lashkar Islami' in Kyber war und die Gruppe drei Monate zuvor verlassen hatte.

Der Journalist Ibrarullah aus Bajaur ist überzeugt, dass die zunehmende Zahl abtrünniger Taliban den Islamisten herbe Rückschläge beschert hat. "Die früheren Milizionäre geben nützliche Informationen über die Rückzugsorte und Aktivitäten der Milizen an das Militär weiter."

Der ehemalige Armeemajor Muhammad Akram warnte eindringlich vor der Brutalität der Taliban. "Sie töten ihre Gegner ohne Gnade. Sie köpfen sie und hängen die Leichen an Strommasten auf, um ein Exempel zu statuieren." (Ende/IPS/ck/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/06/former-militants-in-pakistan-hunted-down-by-taliban/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. Juni 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2012