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INTERNATIONAL/070: Angola - Polizeieinsätze gegen Demonstranten und Medien in Wahljahr (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. März 2012

Angola: Polizeieinsätze gegen Demonstranten und Medien in Wahljahr

von Louise Redvers

Protestplakat gegen die Regierung - Bild: © Louise Redvers/IPS

Protestplakat gegen die Regierung
Bild: © Louise Redvers/IPS
Luanda, 13. März (IPS) - Im Jahr der Parlamentswahlen greift die Regierung in Angola im Umgang mit Kritik zu repressiven Mitteln. So kam es bei jüngsten Polizeieinsätzen gegen Demonstrationen zu gewaltsamen Übergriffen und einer Razzia gegen eine unabhängige Zeitung. Politische Beobachter sehen die Polizeieinsätze als Zeichen dafür, dass Dauerpräsident José Eduardo dos Santos einen Kontrollverlust nach 32 Jahren an der Macht befürchtet.

Am 12. März verschafften sich Polizisten mit einem Durchsuchungsbefehl Zugang zu den Redaktionsräumen von 'Folha 8' und erzwangen mit der Beschlagnahmung von 20 Computern die Schließung des Blatts. Die Razzia erfolgte 48 Stunden nach dem gescheiterten Versuch junger Angolaner, in der Hauptstadt Luanda und in Benguela im Süden gegen Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess zu protestieren. Die Kritik richtet sich unter anderem gegen die Ernennung von Susana Inglês, Mitglied der Regierungspartei MPLA, zur Leiterin der Nationalen Wahlkommission. Die Parlamentswahlen sollen Ende des Jahres stattfinden.

Obwohl sich in den beiden Städten nur einige wenige Dutzende Demonstranten einfanden, wurden die Proteste gewaltsam unterbunden. In Benguela ging eine schwer bewaffnete Polizei gegen die jungen Leute vor. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. In Luanda war es bereits im Vorfeld der Demonstration zu Hausdurchsuchungen, Drohungen und gewaltsamen Übergriffen auf die Organisatoren der Protestkundgebung gekommen. Etliche Personen wurden dabei zum Teil schwer verletzt.


Angolanern Verfassungsrechte vorenthalten

Dazu meinte Lisa Rimli von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch': "Die Ereignisse in Angola sind gerade in einem Wahljahr besorgniserregend, in dem Menschen eigentlich erlaubt sein müsste, sich frei zu äußern." So werde den Angolanern ihr Verfassungsrecht vorenthalten, öffentlich zu demonstrieren. Rimli beunruhigt auch die Brutalität, mit der die Kundgebungen niedergeschlagen wurden. Die Angreifer seien bewaffnet gewesen und hätten auf die Köpfe der Menschen gezielt, sagte sie. Es sei pures Glück gewesen, dass niemand getötet worden sei.

Die angolanische Nationalpolizei bestreitet die Vorwürfe und macht für die Zusammenstöße rivalisierende Banden und "Hooligans" verantwortlich. Man werde die Vorfälle genauestens untersuchen, ließ ein Sprecher der Sicherheitskräfte wissen.

Inzwischen zirkuliert in Luanda ein Flugblatt, in dem sich eine unbekannte Jugendgruppe zu der Gewalt bekennt. Zu den Übergriffen sei es gekommen, um die Proteste "aus Respekt vor den Wahlen" zu verhindern und den Frieden zu wahren, heißt es in dem Papier.

Doch dazu meint der bekannte Rapper Luaty Beirão alias 'Brigadeiro Mata Frakus', der den Protestmarsch in der Hauptstadt mitorganisiert hatte, er und sein Freund seien eindeutig zur Zielscheibe einer gut organisierten Undercover-Sicherheitsoperation geworden.

"Kaum waren wir am Treffpunkt angekommen, sahen wir, wie eine Gruppe Bewaffneter auf die Menschen am Rande einschlug und auf uns zukam", berichtete Beirão. "Nachdem wir uns von ihr nicht zu Gewalt provozieren ließen, forderten sie uns auf, die Demonstration abzusagen. Als wir uns weigerten, gingen sie auf uns los." Der Rapper erhielt einen Schlag auf den Kopf. Die Verletzung musste genäht werden.

Einige Kilometer entfernt sah sich der 57-jährige Filomeno Vieira Lopes, Generalsekretär der kleinen Oppositionspartei Demokratischer Block, auf seinem Weg zur Kundgebung einem gewaltsamen Übergriff ausgesetzt. Auch er musste ins Krankenhaus, um seine Verletzungen behandeln zu lassen.

Sizaltina Cutaia vom Angola-Büro der 'Open Society Initiative for Southern Africa' wirft der Regierung vor, den Menschen grundlegende politische Rechte wie die Versammlungsfreiheit und das Recht zu demonstrieren vorzuenthalten. "Wir erleben eine Gefahr für die Demokratie."

Bis letztes Jahr waren politische Proteste in Angola selten. Die meisten Menschen hielten sich aus Sorge vor politischer Instabilität nach Ende des 30-jährigen Bürgerkriegs 2002 mit Kritik zurück. Dass es aber der Regierung trotz des enormen Ölreichtums des Landes nicht gelingt, die Lebensbedingungen zu verbessern, bringt seit März 2011 die jungen Leute auf die Straße. Ernüchtert durch die ungerechte Verteilung und die schlechte Basisversorgung fordern sie den Rücktritt des Staatschefs.


Ruf nach Rücktritt des Präsidenten

Auch Beirão, ebenfalls bekannt als 'Ikonoklasta', ist der Meinung, dass dos Santos sein Amt niederlegen sollte. "Wir wollen, dass er geht. 32 Jahre ist einfach zu viel für einen Mann, das Land zu regieren. Es gibt keine Investitionen in Gesundheit und Bildung und viele Menschen leiden."

Angola gehört zu den afrikanischen Ländern mit dem höchsten Wirtschaftswachstum. Zwölf Prozent werden für dieses Jahr erwartet. Doch die Hälfte aller Angolaner lebt in Armut und hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Kindersterblichkeitsrate gehört zu den höchsten der Welt. So stirbt jedes fünfte Kind vor Vollendung seines fünften Lebensjahres.

Das Schweigen der Mittelklasse hält Beirão, der Sohn eines Politikers der Regierungspartei, für einen Fehler. "Die Menschen wissen ganz genau, dass etwas nicht stimmt. Ihr Schweigen macht sie zu Komplizen der Regierung. Dadurch tragen sie zu dem Unrecht in unserem Land bei."

Dos Santos und seine Angolanische Volksbefreiungsbewegung MPLA sind sich der zunehmenden Ablehnung durchaus bewusst und haben eine Charmeoffensive gestartet. Der eher verschlossene Präsident lässt sich nun häufiger in der Öffentlichkeit blicken und hat auch seinen Kleidungsstil verändert. So hat er seine steifen Anzüge gegen eine lässige Freizeitkleidung eingetauscht.

In einer Vielzahl seiner jüngsten Redebeiträge wies er die Vorwürfe, er sei ein Diktator, zurück. Er forderte die Bürger auf, Geduld aufzubringen und die Leistungen seiner Regierung seit dem Ende des Bürgerkriegs zu würdigen.


Griff in die Mottenkiste macht auf Jugend keinen Eindruck mehr

Erst kürzlich kritisierte der 69-jährige Präsident, dessen Familie Zielscheibe zahlreicher Korruptionsvorwürfe ist, die "unehrliche Propaganda". Es gebe Menschen, die sich von ausländischen Kräften instrumentalisieren ließen, um Unruhe zu stiften.

Dem angolanischen Journalisten und Anti-Korruptions-Aktivisten Rafael Marques zufolge sieht sich dos Santos jedoch mit einer neuen Generation konfrontiert, die anders als ihre kriegsmüden Eltern keine Angst vor Konflikten habe und sich von Propaganda in sowjetischem Stil nicht beeindrucken lasse. "Dos Santos ist schwächer geworden", sagt er. "Die Tatsache, dass er auf Gewalt zurückgreift, zeigt seinen Kontrollverlust."

Beirão und die anderen Mitglieder der Protestbewegung 'Central 7311', benannt nach der ersten Demonstration im letzten Jahr, haben nach eigenen Angaben genügend Filmmaterial über die jüngste Gewalt gesammelt. Die Bilder sollen so schnell wie möglich über die sozialen Netzwerke einer breiten Bevölkerungsmehrheit zugänglich gemacht werden. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2012