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INTERNATIONAL/050: China - Schlimmste Verfolgungen seit 1989, zahlreiche Dissidenten verschleppt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2011

China: Schlimmste Verfolgungen seit 1989 - Zahlreiche Dissidenten werden verschleppt

von Emily-Anne Owen


Peking, 6. Dezember (IPS) - Oppositionelle in China sind nach Angaben eines prominenten Dissidenten zurzeit den größten Repressalien seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens ausgesetzt. Immer mehr Aktivisten würden verschleppt, sagte Liao Yiwu, der inzwischen im Exil lebt.

"Es sind die schlimmsten Razzien seit 1989", erklärte Liao IPS in einem Telefoninterview. Der ehemalige politische Häftling, der im Juli über Vietnam aus seinem Land geflohen ist, stellt derzeit in den USA ein Buch über die Verfolgung von Christen in China vor. Bekannt wurde er durch ein Gedicht über das Tiananmen-Massaker.

"Zuerst versuchte die Regierung die Kontrolle über das Internet zu verschärfen", sagte Liao. "Dann wandte sie Mafia-Methoden an, um Intellektuelle oder Dissidenten verschwinden zu lassen." Der Autor macht eine größere Nachsicht des Westens gegenüber chinesischen Menschenrechtsverstößen dafür verantwortlich, dass sich die Menschenrechtslage dort weiter verschärft hat.

Nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking am 4. Juni 1989 habe sich die Regierung zumindest ab und zu Sorgen über Druck aus dem Westen machen müssen, meinte er. Inzwischen wisse Peking aber, dass die westlichen Staaten wirtschaftlich von der Volksrepublik abhängig seien. "Westliche Länder setzen ihre Grundsätze aufs Spiel. Um sich bei China anzubiedern, sprechen sie nicht mehr über Menschenrechte. Die Regierung geht deshalb immer dreister gegen Dissidenten vor."


Viele Regimegegner spurlos verschwunden

Menschenrechtsorganisationen äußern sich beunruhigt über die steigende Zahl von geheimen Festnahmen. Der weltbekannte Künstler Ai Weiwei, dessen Werk 'Sunflower Seeds' im Londoner Museum zu sehen ist, gehört zu den prominentesten Gegnern des Regimes. Er wurde am 3. April festgenommen und erst am 22. Juni nach internationalen Protesten wieder freigelassen.

Zahlreiche weitere Personen sind nach ihren Festnahmen spurlos verschwunden. Weder Rechtsanwälte noch Verwandte wissen über deren Verbleib. Seit die chinesische Regierung befürchtet, dass die Unruhen des 'Arabischen Frühlings' auf China übergreifen könnten, sind mindestens 26 Künstler, Schriftsteller, Blogger und Menschenrechtsaktivisten verschleppt worden.

Wie die Organisation 'Human Rights Watch' (HRW) in einem 2009 verbreiteten Bericht feststellte, werden Tausende Aktivisten in geheimen Gefängnissen festgehalten, die über das ganze Land verteilt sind. Dem Report 'An Alleyway in Hell: China's Abusive Black Jails' zufolge werden die Häftlinge körperlich und seelisch misshandelt. Sie würden geschlagen, erhielten wenig zu essen und würden am Schlafen gehindert.

Gefährdet sind demnach vor allem ethnische Minderheiten. Nach Angaben von HRW 'verschwanden' seit den Unruhen 2009 Hunderte von Uiguren. Die muslimische Minderheit lebt im Nordwesten der Volksrepublik.

"In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Lage in China erheblich verschärft", erklärte Phelim Kine von HRW. "Seit Beginn des Jahres wurden mindestens 30 prominente Aktivisten entführt - etwa die Hälfte von ihnen verschwanden für mehrere Tage oder Wochen", sagte er. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich weit höher, da auch weniger bekannte Regierungsgegner betroffen seien.


Willkür gesetzlich legitimieren

Die Führung in Peking hat bereits angekündigt, dass die willkürlichen Festnahmen möglicherweise schon bald per Gesetz legitimiert werden. Ende August wurden Reformvorschläge für das Strafrecht veröffentlicht, denen zufolge die Polizei größeren Spielraum bei der Inhaftierung Verdächtiger über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten erhalten soll. Die Gefangenen hätten in der Zeit keine Möglichkeit, ihre Familien oder Anwälte zu kontaktieren.

Begründet wurde das Reformvorhaben damit, dass Personen, die des Terrorismus oder der Korruption verdächtig seien, an nicht näher bekannten Orten festgehalten werden müssten. Auch die umstrittenen Hausarreste könnten in Kürze von Gesetz wegen gestattet sein. Der Fall des blinden Bürgerrechtlers Chen Guangcheng, der sein Haus seit 2010 nicht mehr verlassen darf, hat international für Aufsehen gesorgt.

Kritiker der Regierung warnen davor, dass solche Gesetzesänderungen gegen das Völkerrecht verstoßen und den Schutz für Zivilisten in China weiter schmälern. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://china.hrw.org/
http://www.hrw.org/reports/2009/11/12/alleyway-hell-0
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106092

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2011