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INTERNATIONAL/036: Syrien - Drohungen und Verschleppungen, Regime verfolgt Gegner auch im Libanon (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2011

Syrien: Drohungen und Verschleppungen - Regime verfolgt Gegner auch im Libanon

von Mona Alami


Beirut, 4. November (IPS) - Politische Gegner des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, die vor der brutalen Verfolgung ins Ausland fliehen, erleben im Libanon eine böse Überraschung. Statt außerhalb der Reichweite der vielen Arme des syrischen Regimes einen sicheren Hafen zu finden, sind die Flüchtlinge ständiger Verfolgung ausgesetzt.

Seit dem vergangenen März wird die Herrschaft der Baath-Partei in Syrien durch pro-demokratische Proteste erschüttert. Assads Militärapparat reagiert mit roher Gewalt. Gegen die friedlichen Demonstranten werden Panzer und Soldaten eingesetzt. Bei den Zusammenstößen sind bislang mehr als 3.000 Menschen getötet worden.

Die Anhänger des Assad-Regimes sind nicht nur in Syrien, sondern auch im Nachbarland Libanon zahlreich vertreten. In Beirut regiert zurzeit ein Bündnis aus Parteien, die der syrischen Führung nahe stehen - vor allem die radikalislamische Hisbollah und die Libanesisch-Syrische Sozialistische Nationalistenpartei (SSNP).

Die syrischen Behörden richteten im Libanon während der Besatzung von 1976 bis 2005 einen militärischen Geheimdienst ein. Inzwischen hat Damaskus seinen Stellvertreter-Apparat in dem Land wiederbelebt.

Menschenrechtsorganisationen in der libanesischen Hauptstadt warnen davor, dass Übergriffe auf syrische Aktivisten weiter zunehmen werden. Mehr als ein Dutzend Oppositionsvertreter seien bereits in den vergangenen Monaten verschleppt worden, hieß es.


Kurdischer Aktivist verprügelt

Vor wenigen Wochen wurde der kurdische Menschenrechtler Kadar Saleh Beeri von nicht identifizierten Angreifern zusammengeschlagen. Zuvor hatte er sich an Protesten gegen Assad vor der syrischen Botschaft in Beirut beteiligt. "Als ich die Demonstration gemeinsam mit anderen verließ, wurde ich von Männern angegriffen, die Stöcke und Gewehre bei sich hatten", berichtete Beeri IPS.

"Wir Aktivisten stehen im Libanon ständig unter Druck. Ich bin bedroht und beschimpft worden. Meine Mobiltelefonnummer habe ich mehrmals gewechselt, aber sie haben mich immer wieder gefunden", sagte er und bezog sich damit auf Vertreter des syrischen Regimes.

Auch Saleh Damerji muss inzwischen mit Drohungen und Einschüchterungen leben. Der syrische Journalist, der für einen kurdischen Fernsehsender arbeitet, lebt seit 15 Jahren im Libanon. Seitdem er sich vor zwei Jahren der syrischen Opposition angeschlossen hat, wird er verfolgt.

"Unterstützer von Assad im Libanon führen einen psychologischen Krieg gegen die Opposition. Unsere Familien sind hier und in Syrien mehrfach bedroht und aufgespürt worden", sagte er IPS. Kürzlich wurde sein Auto demoliert, nachdem er sich in einem libanesischen TV-Sender zur Lage in seiner Heimat geäußert hatte.

"Unbekannte riefen bei mir an und gaben sich als Paketboten aus. Als ich im Postamt nachfragte, wusste davon niemand etwas", berichtete Damerji. Auch Beeri hat die Erfahrung gemacht, dass sich jemand fälschlicherweise als Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshochkommissars ausgab, um an seine Adresse zu gelangen.

In einigen Fällen sind die Schikanen gegen syrische Regimegegner so schlimm, dass diese gezwungen sind, ständig die Wohnung zu wechseln. Omar Idilbi, der für die oppositionellen Lokalen Syrischen Koordinationskomitees arbeitet, sagte im Oktober IPS, dass er schon mehrmals umgezogen sei. Ein Interview in dem Viertel in Beirut, in dem sich auch die syrische Botschaft befindet, lehnte er aus Sicherheitsgründen ab.

Wo sich Idilbi inzwischen aufhält, konnte IPS nicht herausfinden. Laut dem Rechtsanwalt Nabil Halabi, der für das Libanesische Institut für Demokratie und Menschenrechte tätig ist, wurde Idilbi von einem Libanesen wegen der "Schädigung der libanesisch-syrischen Beziehungen" verklagt. Damit sollte er dazu gezwungen werden, seinen Wohnort preiszugeben.


Oppositionelle spurlos verschwunden

Manche Aktivisten bekommen die Härte des Assad-Regimes noch stärker zu spüren. Im vergangenen Februar wurden inmitten der aufkeimenden Proteste in Syrien sechs Mitglieder der Familie Jasem von libanesischen Geheimagenten festgenommen. Sie hatten zuvor Flugblätter verteilt, auf denen ein Machtwechsel in Syrien gefordert wurde. Kurz nach ihrer Freilassung am 25. Februar verschwanden drei Brüder spurlos.

Im Mai wurde außerdem Sahibli al Ayssami, einer der Gründer der syrischen Baath-Partei, bei einem Besuch im Libanon gekidnappt. Der 86-Jährige lebte bis dahin im Exil in den USA. "Neben diesen prominenten Fällen wissen wir von weiteren zwölf Mitgliedern der syrischen Opposition, die im Libanon entführt und dann nach Syrien verschleppt wurden", sagte Halabi IPS. "Man hat sie in syrischen Botschaftsfahrzeugen, die an der Grenze nicht kontrolliert werden, außer Landes gebracht."

General Ashraf Rifi, der im Libanon für die internen Sicherheitskräfte zuständig ist, informierte kürzlich die Abgeordneten seines Landes, dass Verbündete und Personal der syrischen Botschaft in Beirut für die Verschleppung der Jasem-Brüder und von Ayssami verantwortlich sind. Syriens Botschafter Abdul Karim Ali wies die Anschuldigungen jedoch zurück.


Libanesische Beamte offenbar Helfershelfer des Assad-Regimes

Halabi weiß von zahlreichen weiteren Entführungen von politischen Aktivisten, die weder untersucht noch registriert wurden. Der Jurist warf den libanesischen Behörden vor, das Problem zu lax zu handhaben. Beamte im Libanon hätten sogar dazu beigetragen, die Vorfälle zu verschleiern.

"Während der Proteste am vergangenen Sonntag habe ich einen Mann gefilmt, über den ich gehört hatte, dass er an mehreren Angriffen auf Demonstranten beteiligt war", sagte Halabi. "Auf einmal griff ein libanesischer Armeeoffizier ein und zwang mich, einen Teil meines Bildmaterials zu löschen. Als ich ihm sagte, dass ich als Anwalt Immunität genieße und eine Beschwerde gegen ihn einreichen würde, verschwand er ganz schnell."

Trotz der zunehmend gefährlichen Lage wollen die syrischen Oppositionellen weiter auf den Sturz von Assad hinarbeiten. Damerji sieht sich und andere Gesinnungsgenossen jedoch nicht durch das libanesische Rechtssystem geschützt. "Man gibt uns lediglich den Rat, uns zu verstecken." (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2011