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INTERNATIONAL/032: Pakistan - Singen gegen die Taliban, Künstler lassen sich nicht einschüchtern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. November 2011

Pakistan: Singen gegen die Taliban - Künstler lassen sich nicht einschüchtern

von Ashfaq Yusufzai

Von den Taliban überfallener Plattenladen in Peschawar - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Von den Taliban überfallener Plattenladen in Peschawar
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 1. November (IPS) - "In den letzten Jahren habe ich mehr als ein Dutzend Lieder gegen die Taliban gesungen", sagt der pakistanische Künstler Khyal Muhammed. "Auf meinem Handy erhalte ich Drohbotschaften, aber ich werde weitermachen."

Auch andere Kollegen lassen sich nicht einschüchtern. Mit Musik begeben sich die Pakistaner auf Konfrontationskurs zu den religiösen Fanatikern, die darin eine Sünde sehen. Auch die Inhaber von Musikgeschäften wollen weitermachen, obwohl sie ständig Angriffe befürchten müssen.

"Die endlose Reihe von Bombenangriffen auf CD-Läden gehört schon zu unserem Alltag. Wir haben keine Angst", meint Sher Dil Khan, der Vorsitzender der Vereinigung der Musikhändler in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Norden des asiatischen Landes. "Wir produzieren auch weiterhin neue Filme und Songs. Die Leute hier lieben Musik und Kino."

Khan steht neben den Trümmern des Nishtarabad-CD-Marktes in Peshawar, wo im vergangenen Monat ein Sprengsatz explodierte. Sieben Menschen wurden dabei getötet und weitere 30 verletzt. Militante Taliban versuchten, den Geschäftszweig zu zerstören, prangert der Händler an. Allein in dem Distrikt gibt es rund 500 Läden, die CDs und DVDs verkaufen.

"Wir haben Anrufe und Drohbriefe von den Taliban bekommen", berichtet Khan IPS. Kollegen in dem Bezirk hätten bereits etwa 20 Läden nach Attacken wieder instand gesetzt. "Die Geschäfte gehen weiter."

Im September wurde der dritte Anschlag in Nishtarabad verübt. Im März hatte eine Bombe ein Todesopfer gefordert, weitere 17 Menschen wurden verletzt. Zum ersten Mal war der Markt, der CDs und DVDs auch nach Afghanistan, Malaysia und den Nahen Osten liefert, im Oktober 2007 angegriffen worden. Damals gab es zwei Verletzte.


Taliban wollen Musik komplett verbannen

"Mit Beginn ihrer Herrschaft in Afghanistan 1997 erließen die Taliban ein vollständiges Musikverbot", erinnert sich Khan. "Musiker mussten das Land verlassen, um Repressalien zu entgehen."

Als die Taliban nach dem Sturz durch US-geführte Truppen 2001 über die durchlässige 2.400 Kilometer lange Grenze nach Pakistan flohen, hatten sie es auf Musikgeschäfte in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) nahe der afghanischen Grenze abgesehen. Später dehnten sie ihren Einfluss auch auf die benachbarte Provinz Khyber Pakhtunkhwa aus.

Shabana bezahlte ihre Musikbegeisterung mit dem Leben. Die Sängerin und Tänzerin starb 2008 durch einen Kopfschuss. Ihre Leiche wurde an einem Strommast in Swat, einem der 25 Distrikte von Khyber Pakhtunkhwa, aufgehängt.

In dem beliebten Touristenort Swat lebten vor 2007 etwa 500 Tänzerinnen. Außerdem gab es dort rund 800 CD-Läden. Nachdem sich die Taliban dort niedergelassen hatten, wurden die Geschäfte binnen eines Jahres geschlossen. Die Tänzerinnen zogen weg oder blieben zu Hause.


Künstler kehren wieder nach Swat zurück

"Die meisten Showstars, die aus Swat weggegangen waren, kamen nach der erfolgreichen Militäroperation gegen die Taliban 2010 wieder", sagt Javid Babar, der Vorsitzende der Künstlervereinigung in Khyber Pakhtunkhwa. "Inzwischen ist alles hier wieder zur Normalität zurückgekehrt."

Babar, Träger einer vom pakistanischen Präsidenten verliehenen Auszeichnung, wirft den Taliban vor, die Menschen gezwungen zu haben, ihnen auf ihrem Weg des Islam zu folgen. Musik und Film seien aber ein wichtiger Teil der paschtunischen Kultur.

Die frühere Provinzregierung, die mit den Extremisten sympathisierte, schloss kurz nach dem Amtsantritt 2003 das einzige Theater der Region, 'Nishtar Hall'. Außerdem wurden Musiker vertrieben, die auf Hochzeiten oder zu anderen feierlichen Gelegenheiten gespielt hatten.


Entspannung nach Regierungswechsel

Die inzwischen in einer Koalition mit der Pakistanischen Volkspartei (PPP) regierende Awami-Nationalpartei (ANP) eröffnete die Nishtar Hall wieder. Viele Musiker sind seitdem zurückgekehrt. Führer der PPP ist Staatschef Asif Zardari, der Witwer der zweimaligen Ministerpräsidentin Benazir Bhutto.

Dem Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mian Inftikhar Hussain, zufolge hat die Regierung die Sicherheitsvorkehrungen auf den Musikmärkten in der gesamten Provinz verschärft. "Die Ladenbesitzer in Nishtarabad wurden zur Wachsamkeit aufgefordert", berichtet Hussain. Sobald sie eine verdächtige Tasche oder ein Fahrzeug bemerken, sollen sie die Polizei rufen.

Der 17-jährige Student Omar Shah erzählt, dass die Taliban in seiner Heimatstadt etwa 100 Musikgeschäfte zerstört hätten. Alle Läden seien aber inzwischen wiedereröffnet worden. "Sie können die Musik nicht mit Gewalt beseitigen", meint er. "Die Leute kaufen CD-Soundtracks von pakistanischen und indischen Filmen, die von einheimischen Künstlern produziert werden. Wir sehen diese Filme mit Begeisterung, weil sie unsere eigene Kultur zeigen. Daran ist nichts obszön oder vulgär." (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011