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STANDPUNKT/063: Picasso, Papst und Pauperismus (Ingolf Bossenz)


Picasso, Papst und Pauperismus

Von Franziskus zu Franziskus: Eine arme Kirche ist keine sinnvolle Utopie

von Ingolf Bossenz, 24. Dezember 2015


Berlin, Hotel Adlon, März 2010. Ich bin zum Interview verabredet mit Gianluigi Nuzzi. Der italienische Journalist und Schriftsteller hat gerade sein erstes von inzwischen drei Enthüllungsbüchern über die monetären Machenschaften des Heiligen Stuhls veröffentlicht: »Vatikan AG«. Im Gespräch sagt mir Nuzzi, der sich als »optimistischer Katholik« bezeichnet, ungeachtet seiner Kritik an Geldwäsche, Korruption, dubiosen Geschäften der Vatikanbank sei er kein Befürworter einer armen, gar einer mittellosen, einer franziskanischen Kirche, wie eine solche Utopie in Erinnerung an Franz von Assisi, der als Prototyp des in freiwilliger Askese agierenden Armutsapostels gilt, auch genannt wird.

Im März 2010 regiert in Rom Papst Benedikt XVI., dem zu diesem Zeitpunkt nicht zuletzt wegen der undurchsichtigen Geldpolitik des Kirchenstaates der ganze Lateinladen um die Ohren zu fliegen droht. Drei Jahre später ist er im Ruhestand und auf dem Stuhl Petri sitzt mit dem Italo-Argentinier Jorge Mario Bergoglio ein Mann, der nicht nur als erster Papst den Namen des heiligen Franz angenommen hat, sondern der zudem unablässig eine »arme Kirche für die Armen« beschwört.

Berlin, Haus der Bundespressekonferenz, November 2015. Gianluigi Nuzzi stellt sein jüngstes Buch vor, dessen deutsche Ausgabe den Titel trägt »Alles muss ans Licht - Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes«. Es geht, wieder, um Geld. Um Geld der Kirche, das in einem Ausmaß und mit einer Unverfrorenheit verschwendet und verschleudert wird, die Franziskus das hilf- und fassungslose Statement entlockten: »Alles ist außer Kontrolle.«

Dass auf diese Weise die Kirche arm wird, ist wohl kaum apostolische Absicht und auch nicht zu erwarten - angesichts der über Jahrhunderte angehäuften ungeheuren Reichtümer an Kapital, Immobilien, Kunstschätzen etc. und der nach wie vor kräftig sprudelnden pekuniären Springquellen, nicht zuletzt der deutschen. Auf meine Frage, was es denn mit dem pontifikalen Projekt »Arme Kirche« auf sich habe, meint Nuzzi, das sei nun ein theologisches Thema und damit nicht das seine.

Inzwischen muss sich Nuzzi wegen seiner Recherchen, die unter dem Stichwort Vatileaks medial subsumiert sind, gar vor dem Gericht des Kirchenstaates wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verantworten.

Jesus und seine Jünger mögen arm gewesen sein. Die römische Kirche war es nie. Der bis zur nationalstaatlichen Einigung Italiens gewaltigen territorialen Ausdehnung des Kirchenstaates war seinerzeit sogar mit veritablen Fälschungen wie der »Konstantinischen Schenkung« nachgeholfen worden. Dieses imperiale Gebilde brach zwar 1870 in seiner ganzen exorbitanten Pracht zusammen. Aber mit der Unterzeichnung der Lateran-Verträge 1929 wurde der Kirchenstaat für die Gebietsverluste entschädigt und konnte mit der 1942 gegründeten Vatikanbank IOR zu einem international agierenden und spekulierenden Diener zweier Herrn werden: Gottes und des Mammons.

Franziskus pflegt mit Blechkreuz und Kleinwagen eine Attitüde der Bescheidenheit, die indes von Kirchenfürsten hinter den und außerhalb der Leoninischen Mauern kräftig konterkariert wird. Erst kürzlich empörte sich der Stellvertreter während einer Messe über »die Karrieristen, diejenigen, die am Geld hängen«. Und in einem Interview forderte er, die Kirche müsse »ein Zeugnis der Armut« ablegen. Es sei nicht möglich, als Gläubiger »über Armut und Obdachlose zu sprechen und gleichzeitig ein Leben wie ein Pharao zu führen«.

»Schließen, Pawel.«
»Den Computer?«
»Die Bank.«
»Für wie lange, Heiligkeit?«
»Für immer«, sagte der Papst.

Aus: Peter de Rosa, »Gottes letzter Diener«

Dass es katholischen Prälaten überhaupt möglich ist, mit ihren Einkünften und Nebeneinnahmen »ein Leben wie ein Pharao zu führen«, entlarvt die Hohlheit des pausenlos perpetuierten Slogans von der »armen Kirche«. Kleriker, denen das Evangelium als feile Fassade von Völlerei und Raffgier dient, sind seit Etablierung des Christentums als herrschende Kirche ein menschliches, allzu menschliches Phänomen.

Und immer wieder versuchten Idealisten, indem sie ein persönliches Beispiel gaben und freiwillig den irdischen Verlockungen entsagten, den Sittenverfall zu stoppen und reformerisch zu wirken. Klöster und Orden gingen in der Regel aus solchen Bestrebungen hervor. Franz von Assisi, aus einer wohlhabenden Familie stammend, war zweifellos ein ehrenwerter, aber vermutlich kein sonderlich appetitlicher Zeitgenosse. Mit seiner irdenen Schüssel, in der er erbettelte Speisereste verwahrte, brachte er Papst Innozenz III. in arge Verlegenheit, als dieser den zerlumpten und ungewaschenen Asketen an seine reich gedeckte Tafel lud.

Die Päpste selbst zeigten zwar gegenüber den Armut predigenden Orden durchaus Wohlwollen, aber wenig Neigung, ihnen nachzueifern. Davon konnte schon Walther von der Vogelweide im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied singen: »Sagent an, her Stoc, hât iuch der bâbest her gesendet, daz ir in rîchet und uns Tiutschen ermet unde pfendet?« - »Sagt an, Herr Stock (Opferstock, I. B.), hat Euch der Papst hergeschickt, auf dass Ihr ihn reich macht und uns Deutsche arm macht und ausplündert?«

Allenfalls findet sich in utopischer, besser: dystopischer, also zukunftspessimistischer Belletristik das Bild des verzichtenden, die kirchlichen Besitztümer veräußernden Papstes.

1995 wurde »Gottes letzter Diener« von Peter de Rosa veröffentlicht. Der 1932 geborene Brite war katholischer Priester und Jesuit (wie Papst Franziskus). Im Zentrum des im Jahr 2009 handelnden Romans steht der aus Irland stammende Papst Patrick, der, wäre das Buch 20 Jahre später erschienen, als literarisch überzeichnetes Bild von Papst Franziskus ausgemacht worden wäre.

In seinem Bestreben, die Kirche mit dem Evangelium in Einklang zu bringen, lässt Patrick unter anderem die Gehälter der Kardinäle kürzen und die Kirchen Roms bleiben auf sein Geheiß nachts für die Obdachlosen geöffnet. Nachdem er sich bei einem Besuch der Vatikanbank IOR über deren pekuniäre Praktiken informiert hat, verfügt er die sofortige Schließung des päpstlichen Geldinstituts.

In der UNO nimmt sich Roman-Papst Patrick die internationalen Banken zur pontifikalen Brust: »Nehmt eure gierigen Hände aus den Taschen der Armen und eure Füße von ihrem Nacken!«, donnert er vor der Vollversammlung. Die Zinslasten nennt er ein fortwährendes Unrecht.

Papst Franziskus forderte im September dieses Jahres vor dem Plenum der Vereinten Nationen in New York, »alle Art von Missbrauch oder Zinswucher besonders gegenüber den Entwicklungsländern zu begrenzen«. Er warnte »vor einer erstickenden Unterwerfung durch Kreditsysteme«, die die Bevölkerung »unter das Joch von Mechanismen zwingen, die zu noch größerer Armut, Ausschließung und Abhängigkeit führen«. Patrick im Roman: »Wir, die Kirche, haben die Wirtschaft Satan überlassen.« Franziskus im Lehrschreiben »Evangelii Gaudium«: »Diese Wirtschaft tötet.«

Doch während der literarische Pontifex seinen starken Worten ebenso starke Taten folgen lässt, besteht wenig Grund zur Sorge (oder Hoffnung), dass des lateinamerikanischen Pontifex' Gesten und Bekundungen in Umwertung und Umwidmung aller Werte - insonders der materiellen - der Una Sancta münden. Weil er »genau weiß, dass dies nicht möglich ist, weil das Herz der Päpste, Kardinäle und Bischöfe zu sehr am Reichtum und damit am Kapital und auch am kapitalistisch agierenden und fungierenden Staat hängt«. So der Kirchenkritiker Hubertus Mynarek in seiner Franziskus-Biografie.

Auch wenn die Kirche des 21. Jahrhunderts keine Beute der Borgias mehr werden kann, gibt es genügend Pfründen-Inhaber, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die vorsichtigen Versuche Bergoglios untergraben, schlimmsten Auswüchsen und Wucherungen des Mammonismus beizukommen. Autor Gianluigi Nuzzi nennt diese Versuche schnörkellos beim Namen: »Sabotage, Manipulation, Diebstahl, Einbruch und Kriminalisierung der Reformanhänger«. Nuzzi äußert zugleich Hoffnung auf eine tief greifend reformierte Kirche, die »endlich zu einem offenen Haus für die Armen und für diejenigen wird, die ihrer am meisten bedürfen, statt weiterhin an Privilegien zu kleben und eifersüchtig über ihre unantastbare Macht zu wachen«. Ein fromm klingender Wunsch, der aber jedenfalls mehr Realismus enthält als die Propagandaformel von einer »armen Kirche für die Armen«. Armut wird von denen, die wirklich arm sind, nicht als theologisch-philosophische Kategorie verstanden, sondern als Verdammungsurteil. Kultisch-populistische Simulation von Armut können sich ohnehin nur Wohlhabende leisten. Dazu passt Picassos Satz: »Ich würde gern leben wie ein armer Mann mit einem Haufen Geld.«

Das hehre Diktum des Heiligen Laurentius, die Armen seien der wahre Schatz der Kirche, klingt heute nur noch zynisch. Pauperismus kann kein positives Ziel, keine sinnvolle Utopie sein. Eine »reiche Kirche für Arme« hingegen, um diesen »Schatz« zu schmälern, wäre durchaus eine Vision. Allerdings ist ein solcher Entwurf bislang nicht über den Status eines mehr oder weniger barmherzigen Almosengebers hinausgelangt.


Literatur
  • Gianluigi Nuzzi: Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes. Ecowin Verlag. 384 S., 21,95 EUR.
  • Peter de Rosa: Gottes letzter Diener. Roman. Droemer Knaur Verlag. 395 S., antiquarisch.
  • Hubertus Mynarek: Papst Franziskus. Die kritische Biografie. Tectum Verlag. 336 S., 19,95 EUR.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Dezember 2015
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der
freundlichen Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 24.-27.12.2015
https://www.neues-deutschland.de/artikel/995836.picasso-papst-und-pauperismus.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2015

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