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KIRCHE/880: Statement - Zollitsch zur Debatte über den Einsatz in Afghanistan (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.02.2010

Statement von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, beim Pressegespräch der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zur Debatte über den Einsatz in Afghanistan am 23. Februar 2010

Es gilt das gesprochene Wort!


Bei der laufenden Vollversammlung befassen wir deutschen Bischöfe uns erneut mit dem Einsatz der internationalen Gemeinschaft und auch der Bundeswehr in Afghanistan. Die Londoner Konferenz vom 28. Januar hat eine neue Etappe dieses Engagements eingeleitet. Auch die Friedensethik der katholischen Kirche ist dadurch herausgefordert. Bischof Dr. Stephan Ackermann, der Vorsitzende unserer Deutschen Kommission Justitia et Pax, wird Ihnen deshalb gleich einige Gesichtspunkte vorstellen, die für eine kirchliche Bewertung der Londoner Konferenz und der dort auf den Weg gebrachten Politik wesentliche Bedeutung haben.

Es scheint mir darüber hinaus wichtig zu sein, einen kritischen Blick auf den Verlauf der Debatte in Deutschland zu werfen. Mich stimmt besorgt, wie wir in unserem Land über einen langen Zeitraum - über Jahre - hinweg mit den Fragen von Krieg und Frieden in Afghanistan und des deutschen Engagements dort umgegangen sind.

Um es grundsätzlicher zu sagen: Es ist höchste Zeit, dass wir in Deutschland eine breite und grundlegende Debatte über die Perspektiven und Möglichkeiten unserer Friedens- und Sicherheitspolitik führen. Die Afghanistan-Debatte steht dabei stellvertretend für die prinzipiellen Schwierigkeiten eines angemessenen Umgangs mit diesen Themen. Der Debatte in Deutschland hat lange der Mut gefehlt, sich den entscheidenden Herausforderungen und nicht selten schmerzhaften Problemen zu stellen. Allzu oft verzettelte sich die Diskussion in Einzelfragen. Die Komplexität der Problematik kam nur ungenügend in den Blick.

Einer der Gründe, warum dieser Debatte allzu lange ausgewichen wurde, war offenkundig die Sorge, man würde der deutschen Bevölkerung diesen Einsatz nicht ungeschminkt vermitteln können. Bisweilen ist dies mit der Frage verbunden: Besitzen demokratische Gesellschaften überhaupt die für solche Einsätze erforderliche Durchhaltefähigkeit?

Dazu ist zu sagen: Demokratische Gesellschaften bedürfen der öffentlichen Auseinandersetzung und des Austauschs der Argumente. Gerade darin erweisen sich ihre Stärke und auch ihre Lernfähigkeit.

Nur durch eine echte und wahrhaftige öffentliche Debatte kann die Bevölkerung von erforderlichen und gegebenenfalls auch schmerzhaften Schritten überzeugt werden. Zu einer solchen Debatte gehören unabdingbar auch die ethischen Gesichtspunkte. Diese ethischen Gesichtspunkte und damit auch die Begrenzungen, denen politisch-militärisches Handeln unterliegt, dürfen nicht der Eigendynamik des Politischen und Militärischen zum Opfer fallen. Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint uns die in der Bevölkerung abnehmende Zustimmung zum Afghanistan-Engagement Deutschlands Ausdruck für zweierlei zu sein:

Einer grundsätzlichen und durchaus begrüßenswerten zivilen Reserve gegen militärische Einsätze.
Sowie Resultat des Versagens der Politik und der öffentlichen Meinungsträger, einen angemessenen gesellschaftlichen Diskurs zu führen.

Die Afghanistan-Debatte lehrt uns etwas sehr Grundsätzliches: Auf Dauer kann sich die Politik nicht vor der Bevölkerung verstecken. Und für die Kirchen stellt sich die Frage: Ob wir nicht zu lange unsere friedensethischen Anmerkungen mit höflicher Diskretion und Zurückhaltung vorgetragen haben, anstatt etwas direkter, schwungvoller und mit mehr Nachdruck auf die Probleme aufmerksam zu machen?

Gerade angesichts der Neigung gesellschaftlicher Verantwortungsträger, den schwierigen Fragen von Frieden und Sicherheit im Raum der Öffentlichkeit auszuweichen, hat auch die Versuchung der falschen Eindeutigkeit zugenommen. Was meine ich damit? Wenn die komplexen Zusammenhänge in der gesellschaftlichen Debatte nicht verständlich gemacht werden, entsteht auf Seiten der Bevölkerung ein Gefühl der Überforderung. Und die Sehnsucht nach scheinbar klaren und einfachen Lösungen wird genährt. Diese falsche Eindeutigkeit kann sich in Form des zynismusverdächtigen Satzes äußern: "Da kann man sowieso nicht viel machen"; und ebenso in der naiven Meinung "Alles wird gut, wenn man nur ...". Demgegenüber muss in der Öffentlichkeit deutlich werden: Verantwortlich handelt nur, wer sich mit den bleibenden Spannungen und der nie ganz aufzulösenden Komplexität der Situation auseinandersetzt. Auch in Zukunft wird es keine einfachen Lösungen geben - gewiss nicht in Afghanistan.

Realitätsverweigerung und Verdrängung helfen auf Dauer niemandem - schon gar nicht den Menschen, um die es uns gehen sollte. Blinder Aktivismus und lethargisches Zuwarten sind deren gleichermaßen inakzeptable Folgen. Stattdessen sind Geduld, Sorgfalt und Weitblick bei der kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Realität geboten.

Wir, die Kirche, sehen uns in der Pflicht, in der friedenspolitischen Diskussion die ethischen Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen. Die katholische wie die evangelische Kirche stellen dabei das Konzept des "gerechten Friedens" in den Mittelpunkt. Wir bringen damit eine ebenso realistische wie gewaltkritische Perspektive ein. Von ihr her ist eine Politik der Eindämmung und fortschreitenden Überwindung der Gewalt gefordert. Mittel- und langfristig dienen wir auf diese Weise am ehesten dem afghanischen Volk und auch der Sicherheit der internationalen Gemeinschaft.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 030a vom 23. Februar 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010