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KIRCHE/804: Erzbischof Zollitsch würdigt Fall der Berliner Mauer in Paris (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 03.10.2009

"Freude über ein Leben in Freiheit"

Erzbischof Zollitsch würdigt Fall der Berliner Mauer in Paris


Anlässlich des heutigen 20. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer hat der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) an die historische Dimension des Ereignisses erinnert. In seiner Predigt vor der Vollversammlung der CCEE in Paris bezeichnete der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, "den Tag der Deutschen Einheit als Tag des Dankes und der Freude über ein Leben in der Freiheit".

Erzbischof Zollitsch erinnerte daran, dass es im Europa des 20. Jahrhunderts "in Gestalt mörderischer Ideologien nicht wenige gab, die alle Gewalt auf der Erde für sich in Anspruch nahmen. Wir, die heute leben dürfen, haben viel Grund zum Dank dafür, dass solche Wahngebilde ihr Ende gefunden haben", machte Zollitsch mit Blick auf die jüngere Geschichte deutlich. Einerseits wirkten diese aber weiter nach, warnte der Erzbischof; andererseits gebe es auch aktuell immer wieder falsche, oft sogar gewaltbehaftete Vorstellungen davon, wie die Vollendung der Welt aussehen solle und wer für sie zuständig sei.

"Zu Recht sind wir dankbar dafür, dass auf unserem Kontinent die Freiheit der Religion im Großen und Ganzen gewährleistet ist", so Zollitsch. Gleichzeitig sei es aber um so notwendiger, den Glauben an Gott auch im öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen, denn "der Weg der Kirche in der modernen Welt muss der Weg Jesu bleiben". Dies sei sowohl dort so, wo die Kirche akut bedrängt werde als auch dort, wo ihre Überzeugungen subtiler relativiert würden, also auch in solchen Ländern, die Religionsfreiheit achteten und in denen Staat und Kirche in einem positiven Verhältnis zueinander stünden.

Zollitsch ermutigte die Präsidenten von 32 Bischofskonferenzen und die Vertreter des Heiligen Stuhls mit Optimismus nach vorne zu schauen. "Freude und Zuversicht des Herrn sollen auch unsere Freude und Zuversicht sein. Deshalb werden nicht Pessimismus und dunkle Farben unser Wirken in Europa bestimmen, sondern die spezifische Verbindung von Realismus, Gelassenheit und Zuversicht, die dem Glaubenden geschenkt wird." Die Kirche sei nicht naiv, so Zollitsch; sie leide mit einer Welt, die in Wehen liege (Röm 8,22) und der Vollendung noch zustrebe. Dieser Welt aber diene sie dadurch, dass sie die Hoffnung stärke: freilich eine Hoffnung auf das Gottmögliche, das größer sei als das Menschenmögliche.

Die Vollversammlung der CCEE endet an diesem Wochenende in Paris. Sie hatte sich seit Donnerstag mit dem Thema "Kirche und Staat - 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer" beschäftigt. Der Vorsitzende der CCEE und Erzbischof von Esztergom-Budapest, Kardinal Peter Erdö, hatte Erzbischof Zollitsch gebeten, den Gottesdienst für die Mitglieder der Vollversammlung am Tag der Deutschen Einheit in Paris zu feiern.


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Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch,
in der Eucharistiefeier bei der Vollversammlung
des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)
in Paris am 3. Oktober 2009


Meine lieben Mitbrüder im bischöflichen Dienst,
werte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!


Zwanzig Jahre liegt es zurück, dass die Berliner Mauer fiel und ein neues Kapitel der europäischen Geschichte nicht mehr aufzuhalten war: 60 Jahre nach dem Beginn eines schrecklichen Weltkrieges, mit dem das nationalsozialistische Deutschland Europa überzogen hatte. Jeweils am 3. Oktober begehen wir seit 1990 in Deutschland den Tag der deutschen Einheit als Tag des Dankes und der Freude über ein Leben in der Freiheit. Dieser Umstand soll meine Bibelauslegung mitbestimmen.

Der Herr preist die Seinen selig, weil sie Ihm folgen und an seiner Sendung teilhaben dürfen: ,,Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht." Königen und Propheten war das nicht vergönnt. Natürlich wollten die Großen Israels und wollen immer die Großen dieser Welt die Erfüllung der göttlichen Verheißungen selbst erleben und mit sich in Verbindung bringen. Aber nur denen ist das gestattet, die mit Jesus ihr Leben teilen. Das meint einesteils die Jünger und die geschichtlichen Zeugen des Herrn. Es stimmt ebenso für alle Gläubigen, denen die Kirche seit jeher Augen und Ohren für Gottes Gegenwart geöffnet hat. Sie machen sich zu eigen und glauben, was Jesus über die bleibende, endgültige Machtverteilung dieser Welt sagt: "Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden." Matthäus weist auf dasselbe hin am Ende seines Evangeliums: "Alle Gewalt im Himmel und auf der Erde" (Mt 28,18) kommt dem Sohn zu. Der Vater hat sich selbst ganz dem Sohn übergeben: Jesus Christus ist Gott, offenbart Gott und bringt das Heil.

Im Europa des letzten Jahrhunderts gab es in Gestalt mörderischer Ideologien nicht wenige, die alle Gewalt auf der Erde für sich in Anspruch nahmen. Wir, die heute leben dürfen, haben viel Grund zum Dank dafür, dass solche Wahngebilde ihr Ende gefunden haben. Doch sie wirken nach. Zudem sind wir auf andere Weise, mit unseren Zeitgenossen, immer wieder verstrickt in einen Kosmos falscher, oft sogar gewaltbehafteter Vorstellungen davon, wie die Vollendung der Welt aussehen soll und wer für sie zuständig ist. Es gibt solche falschen Vorstellungen in unseren christlich geprägten Ländern Europas; es gibt sie in anderen Teilen der Welt. Mich inspiriert das Evangelium zu drei Konkretisierungen:

• Erstens: Zu Recht sind wir dankbar dafür, dass auf unserem Kontinent die Freiheit der Religion im Großen und Ganzen gewährleistet ist und Staat und Kirche ohne ständige Übergriffe in den jeweils anderen Bereich um positive Beziehungen zueinander bemüht sein können. Umso mehr ist es uns abverlangt, unseren Glauben an den, dem alle Gewalt zukommt, und das, was wir im Glauben "sehen" und "hören", auch im öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen. Dabei werden wir als die "Unmündigen" zu den Menschen kommen und werden gerade so die "Weisen" und "Klugen" beschämen. Der Weg der Kirche ist nicht der Weg des Triumphes, des siegesgewissen Auftretens und des verletzenden Sprechens. Der Weg der Kirche in der modernen Welt muss der Weg Jesu bleiben: der dienstbereiten Hilfe und des geisterfüllten Rates an Kleine und Große. Es ist der Weg der Jünger, die Jesus ausgesandt hatte, und die ihm "voll Freude" über ihr Tun berichten. Den legitimen Eigenbereich des Staates werden wir dabei stets respektieren.

• Zweitens: Wo es doch Übergriffe des Staates und gesellschaftlicher Kräfte gibt in unsere Welt des Glaubens - Beschneidungen der Freiheit und Formen der aktiven Verletzung unserer Überzeugungen -, da wird die Kirche widerstehen. So hat sie es immer wieder getan hat, in Europa zuletzt besonders in den Ländern Mittel- und Osteuropas am Ende des letzten Jahrhunderts. Vielleicht sind solche Übergriffe des öffentlichen Lebens in freien Ländern subtiler als in unfreien Staaten. Ich denke an die Regelungen im Bereich des Lebensschutzes und des menschlichen Zusammenlebens in Ehe und Familie. Aber der Sache nach sind wir immer dort gefragt, wo "Propheten und Könige" sich selbst an die Stelle der Kirche setzen und Heilsbringer sein wollen.

• Drittens: Der Herr spricht, "vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude" und er "preist" den Vater. Seine Freude und Zuversicht sollen auch unsere Freude und Zuversicht sein. Deshalb werden nicht Pessimismus und dunkle Farben unser Wirken in Europa bestimmen, sondern die spezifische Verbindung von Realismus, Gelassenheit und Zuversicht, die dem Glaubenden geschenkt wird. Die Kirche ist nicht naiv; sie leidet mit einer Welt, die in Wehen liegt (Röm 8,22) und der Vollendung noch zustrebt. Dieser Welt aber dient sie dadurch, dass sie die Hoffnung stärkt: freilich eine Hoffnung auf das Gottmögliche, das größer ist als das Menschenmögliche. "Hab Vertrauen, mein Volk, du trägst den Namen Israel" (Bar 4,5): Was die Lesung Israel zuruft, gilt umso mehr dem neuen Israel und dem künftigen, in das alle Völker gesammelt werden sollen.

Es gibt für die Kirche in Europa viel Grund zum Danken. Vor allem danke ich für die Zukunft, die uns durch die Wiedervereinigung Deutschlands für Europa eröffnet wurde. Seinen tiefsten Grund aber hat aller Dank für einen Fortschritt zivilisierten Lebens in Europa im Wort des Herrn: "Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind".
Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 127 und 127a vom 3. Oktober 2009
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2009