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KIRCHE/600: "Einschreiten, wo die Würde des anderen gefährdet ist" (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 09.05.2008

"Einschreiten, wo die Würde des anderen gefährdet ist"

EKD-Ratsvorsitzender im Eröffnungsgottesdienst von EVA2008


Es gilt das gesprochene Wort!

Zum entschiedenen Widerstand gegen Rechtsextremismus hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, bei der Eröffnung des Evangelischen Jugendfestivals EVA2008 in Dresden aufgerufen. In seiner Predigt im Eröffnungsgottesdienst in der Dresdner Frauenkirche sagte Huber am Freitag, 9. Mai: "Wir treten aller Feindschaft gegen Fremde entgegen - auch hier in Sachsen, wo sie gerade wieder blüht, weil Rattenfänger aus Vorurteilen Kapital schlagen wollen". Jeder Mensch habe die gleiche Würde, betonte der Ratsvorsitzende. Die wieder aufgebaute Dresdner Frauenkirche sei ein Zeichen dafür, dass Gewalt, Zerstörung und Tod nicht das letzte Wort haben. Die Botschaft, die am Beginn des Jugendfestivals EVA2008 von Dresden ausgehe, laute: "Sucht die Versöhnung! Stiftet Frieden!"

In seiner Predigt zum Motto des Festivals "Soll ich meines Bruders Hüter sein" aus dem ersten Buch Mose erklärte der Ratsvorsitzende, die Erzählung vom Brudermord von Kain an Abel lasse an das Wort des Philosophen Thomas Hobbes denken, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Aber so weit brauche es nicht zu kommen, so der Berliner Bischof. "Was uns unterscheidet, braucht uns nicht gegeneinander aufzubringen. Wir sind nicht dazu geschaffen, um übereinander herzufallen wie Wölfe, Gewalt mit Gegengewalt zu bekämpfen."

Heute wäre Kain vielleicht ein Rechtsextremer, so Huber. "Kain ist der Bruder, der weniger Erfolg im Leben hat." Überall bekomme er das Gefühl vermittelt, nichts zu gelten. Doch Gewalt sei kein Zeichen von Kraft, Gewalt sei ein Zeichen der Ohnmacht und Schwäche. "Kain, rufe ich ihm zu, rede, statt alles in dich hineinzufressen. Du wirst von viel mehr Menschen geschätzt als du meinst. Wenn du stark sein willst, dann lass die Gewalt. Sei wirklich stark. Weil du dir etwas zutraust. Weil Gott dir etwas zutraut."

Aber warum lässt Gott es eigentlich so weit kommen, fragte der Ratsvorsitzende am Schluss seiner Predigt. Warum mischt er sich nicht ein, als sich Kain gegen seinen Bruder erhebt? Gott hat Kains Opfer verschmäht und statt dessen Abel Signale seines Wohlgefallens gegeben. "Das ist ein hartes Zeichen dafür, dass wir Menschen verschieden sind. Die Vielfalt der Gaben tritt uns in dieser Geschichte ziemlich drastisch vor Augen." Dass Gott den Mord an Abel nicht verhindere, mache deutlich, dass niemand seine Verantwortung auf Gott abschieben könne. "Wir müssen einschreiten, wo das Leben von Menschen gefährdet und seiner Würde beraubt wird. Wir müssen uns eines Besseren besinnen, bevor es zu spät ist."

Dresden, 9. Mai 2008
Pressestelle der EKD
Silke Römhild

http://www.eva2008.de


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Es gilt das gesprochene Wort

Von Bischof Dr. Wolfgang Huber

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Predigt im Eröffnungsgottesdienst des Jugendfestivals EVA2008 in der Frauenkirche zu Dresden, 9. Mai 2008


(1. Mose 4)

I.

Alles läuft schrecklich automatisch ab. Es scheint, als hätte es sich so entwickeln müssen - das Drama, das gleich auf den ersten Seiten der Bibel erzählt wird. Die Konfrontation zwischen den beiden Brüdern, von denen der eine den anderen erschlägt. Der Konflikt zwischen Kain und Abel.

Der Automatismus erschreckt mich; die Nüchternheit der Sprache und die Grausamkeit der Tat. Ich frage mich: Wie kann ein Mensch dem anderen das antun? Und ich weiß zugleich, dass es immer wieder geschieht.

Genauso aber glaube ich an die Worte Jesu: Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Gewalt, Zerstörung und Tod haben nicht das letzte Wort!

Dafür steht diese Kirche hier in Dresden. Sie war zerstört durch die Gewalt von Menschen. Dass sie wieder aufgebaut wurde, ist ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens. Sie ist ein Symbol der Hoffnung, dass nicht die Gewalt das letzte Wort behält - weder die Gewalt zwischen Völkern und Staaten noch die Gewalttat zwischen zwei Menschen! Die Botschaft, die am Beginn des Jugendfestivals EVA2008 von Dresden ausgeht, heißt: Keine Gewalttat ist unvermeidbar! Sucht die Versöhnung! Stiftet Frieden!

Gewiss: Den Mord, der geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen. Wir können die Geschichte nicht umschreiben. Aber wir können Ausschau halten nach Beispielen, die ermutigen. Wir können nach Wegen suchen, die nicht zu Gewalt und Mord führen. Es braucht kein Ende mit Schrecken zu geben. Gott hat ein gutes Ende im Sinn. Sogar für Kain, den er durch ein Zeichen auf der Stirn bewahrt. Selbst für den Mörder hat er Gutes im Sinn. Das Kainszeichen - ein Zeichen der Bewahrung.


II.

Soll ich meines Bruders Hüter sein? Die Erzählung vom Brudermord steht in der Bibel an einer so frühen Stelle, damit wir genau wissen, mit wem wir es zu tun haben. Ohne Umschweife erfahren wir, wozu Menschen fähig sind und was sie einander im schlimmsten Fall antun.

Schon vor bald vierhundert Jahren hat Thomas Hobbes, ein berühmter englischer Philosoph, für die menschliche Natur ein drastisches Bild gewählt: Menschen, sagt er, sind wie Wölfe, die übereinander herfallen. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Sollte er tatsächlich Recht behalten?

Nein! Das ist die dunkle Seite, aber nicht die ganze Wahrheit. Der Mensch ist für den Menschen mehr als ein Wolf. Menschen lieben einander. Menschen bringen einander zum Lachen. Menschen trösten einander. Menschen machen sich gegenseitig Mut. Es gibt viele Beispiele dafür. Aber es können noch mehr werden.

Wenn schon Wolf, dann halte ich es mit einem anderen Bild. Ich bleibe nicht bei Thomas Hobbes. Ich sage lieber: Der mit dem Wolf tanzt. Dieser vielfach preisgekrönte Film von und mit Kevin Costner führt uns auf eine ganz andere Fährte. John Dunbar, ein Nordstaaten-Offizier in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, lässt sich aus Abenteuerlust auf einen vorgeschobenen Posten im Indianergebiet versetzen. Einsam ist es da; verwahrlost ist der Posten, auf den es ihn verschlagen hat. So verwahrlost, dass sich sogar ein Wolf dahin verirrt. John Dunbar freundet sich mit ihm an und gibt ihm den Namen Socke. Vor allem freundet Dunbar sich auch mit dem Indianerstamm der Lakota an. Wolf Socke ist immer dabei. Einmal scheint Dunbar sogar mit ihm zu tanzen; ein andermal beobachtet der Wolf, wie Dunbar am Feuer einen Indianertanz improvisiert. Deshalb erhält er von den Lakota den Namen Der mit dem Wolf tanzt.

Grenzen werden überschritten. Dafür steht dieser Name. Was uns unterscheidet, braucht uns nicht gegeneinander aufzubringen. Wir sind nicht geschaffen, um übereinander herzufallen wie Wölfe, Gewalt mit Gegengewalt zu bekämpfen. Wölfe lassen sich zähmen, um miteinander zu feiern und zu tanzen wie bei diesem Festival hier in Dresden. Mit dem Wolf zu tanzen, ein Friedensfest zu feiern - darum geht es!

Kain wird bewahrt, durch das Zeichen auf seiner Stirn. Das Kainszeichen. Aber auch Abel soll leben. Denn dazu hat Gott ihm das Leben geschenkt. Die Brüder brauchen nicht übereinander herzufallen, nur weil sie verschieden sind - Ackerbauer der eine, Viehzüchter der andere, erfolgreich der eine, erfolglos der andere. Davon hängt der Frieden ab: dass wir nicht übereinander herfallen, bloß weil wir verschieden sind. Deshalb treten wir aller Feindschaft gegen Fremde entgegen - auch hier in Sachsen, wo sie gerade wieder blüht, weil Rattenfänger aus Vorurteilen Kapital schlagen wollen und denken, die bevorstehenden Kommunalwahlen seien dafür gut genug. Nein: Keine Wahl der Welt rechtfertigt es, andere verächtlich zu machen. Jeder Mensch hat die gleiche Würde. Und die Verschiedenen gehören zusammen. Der mit dem Wolf tanzt. Das soll unser Name sein.


III.

Kain ist der Bruder, der weniger Erfolg im Leben hat. Seine Schulkarriere kennen wir nicht. Aber warum soll sie anders verlaufen sein, als beim Versuch, Gott ein Opfer zu bringen? Der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Kain hat nicht den Erfolg, den wir allen jungen Männern wünschen. Was er begann, das misslang. Überall bekommt er das Gefühl vermittelt, nichts zu gelten. Er landet in den Fängen von Gewalttätern, vielleicht wäre er heute ein Rechtsextremer.

Doch warum reagiert er seine Wut nicht beim Sport oder auf andere Weise ab? Kain, rufe ich ihm zu, rede, statt alles in dich hineinzufressen! Suche dir doch einen, einen einzigen Menschen, dem du vertraust und dem du alles erzählst! Du wirst von viel mehr Menschen geschätzt, als du meinst. Und lass das schwere Schlagholz liegen! Gewalt ist kein Zeichen für Kraft. Gewalt ist ein Zeichen der Ohnmacht, der Schwäche. Dabei willst du doch stark sein. Wenn du aber stark sein willst, dann lass die Gewalt. Sei wirklich stark. Von innen heraus. Weil du dir etwas zutraust. Weil Gott dir etwas zutraut.

Aber nun zu dir, Abel. Warum gingst du eigentlich mit Kain alleine aufs Feld? Du kanntest doch seinen ohnmächtigen Hass.

Wäre es nicht richtig gewesen, Abel, auf eine solche Provokation zu verzichten? Musstest du den Schönen, Erfolgreichen so herauskehren? Musstest du deinem Bruder beweisen, dass er ein loser ist? Du bist der Jüngere, das Lieblingskind deiner Eltern. Das Glück fällt dir zu. Dein Opfer wird von Gott angenommen. Könntest du nicht einmal einen Schritt auf deinen Bruder zugehen? Ihn anerkennen als den Älteren, den Stärkeren?

Abel, wieso richtest du für deinen Bruder nicht einmal ein Fest aus, eine Überraschungsparty mit Freunden, gutem Essen und Tanz? Zeig deinem Bruder doch, dass er dir wichtig ist. Und frag doch auch einmal andere um Rat. Was sagen eigentlich eure Eltern, Abel?

Merkwürdig, von den Eltern ist nicht mehr die Rede. Dabei handelt es sich doch um ziemlich bekannte Gestalten. Adam und Eva, wenn ich mich recht erinnere. Ihr wisst schon: die mit dem Apfel. Können die sich einfach so herausstehlen? Eltern zu sein ist mehr, als Kinder in die Welt zu setzen. Gewiss, damit fängt es an. Doch Eltern haben auch Verantwortung für ihre Kinder - so wie eines Tages dann auch die Kinder für die Eltern, wenn sie alt geworden sind. Doch das kommt Jahre später.

Was sagt ihr, Adam und Eva, zu dem Konflikt eurer Söhne? Warum zieht ihr euch so sehr zurück, dass von euch nur ganz am Rande die Rede ist? Dabei wisst ihr es doch: Was ihr euren Kindern zu geben habt, kann kein anderer auf der Welt. Nähe und Verlässlichkeit der eigenen Eltern vermag keine andere Kraft im Leben zu ersetzen.

Vielleicht unterstützt ihr Abel dabei, wenn er ein Fest organisieren will. Es wird beiden Söhnen gut tun. Und euch vielleicht auch!


IV.

Zum Schluss fragen wir dich, Gott. Warum lässt du es eigentlich soweit kommen?

Du verschmähst Kains Opfer und gibst Abel wohlgefällige Signale. Das ist ein hartes Zeichen dafür, dass wir Menschen verschieden sind. Die Vielfalt der Gaben tritt uns in dieser Geschichte ziemlich drastisch vor Augen.

Gott, du mischst dich nicht ein, als Kain sich gegen seinen Bruder erhebt. Du stellst uns ziemlich massiv vor Augen, dass wir unsere eigene Verantwortung nicht auf Dich abschieben können. Wir müssen einschreiten, wo ein Mensch gegen den anderen die Hand erhebt. Wir müssen aufschreien, wo das Leben von Menschen gefährdet oder seiner Würde beraubt wird. Wir müssen uns eines Besseren besinnen, bevor es zu spät ist.

Denn das wollen wir: Dass Abel lebt wie Kain. Und dass wir, statt einander niederzumachen, auf dem Fest von Kain und Abel miteinander tanzen! Der mit dem Wolf tanzt. Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung 116/2008 vom 09.05.2008
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2008