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WIENER GESPRÄCHE/11: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 11 (SB)


Interview mit Amalia Rausch am 12. Juni 2009 am Friedrichshof im Burgenland


Unweit vom Neusiedler See, inmitten einer bereits die großen Ebenen Osteuropas erahnenden Landschaft gelegen, bot das einstige landwirtschaftliche Mustergut Friedrichshof beste Voraussetzungen für ein von gesellschaftlichen Verpflichtungen und äußerer Kontrolle weitgehend unbeschadet bleibendes Gemeinschaftsleben. Das trotz dieser guten Ausgangslage letztlich gescheiterte Kommuneexperiment der Aktionsanalytischen Organisation (AAO) ist längst Geschichte, doch das Leben am Friedrichshof geht auf allerdings ganz normale Weise weiter. Geblieben ist ein nicht zuletzt während der Kommunezeit großzügig ausgebautes Anwesen, das seinen Bewohnern ein komfortables Leben in landschaftlicher Idylle ermöglicht und den Besuchern der dort abgehaltenen Seminare eine konzentrierte wie erholsame Arbeitsatmosphäre bietet.

Der Schattenblick hatte die Gelegenheit, bei einem Besuch des Friedrichshofs mit einer seiner heutigen Bewohnerinnen, die selbst in der Kommune lebte, über das Ende dieser in Österreich einst zur skandalumwitterten Institution gewordenen Lebensform und die weitere Geschichte dieses Ortes zu sprechen. Amalia Rausch betreut die Sammlung Friedrichshof - Museum Wiener Aktionismus - und organisiert in diesem Rahmen Ausstellungen. Während einer Führung hatten die Schattenblick-Mitarbeiter Gelegenheit, das weiträumige Gelände zu erkunden und die Exponate der Sammlung Friedrichshof in Augenschein zu nehmen.

Schattenblick: Amalia, du hast praktisch die ganze Geschichte der Kommune miterlebt?

Amalia Rausch: Ich kam '73 von Graz nach Wien zu Besuch und bin dann Anfang '74 in die Kommune in der Praterstraße eingezogen und relativ bald zum Friedrichshof gegangen.

SB: Du hast dann bis '91 hier gelebt?

AR: Ich bin bis zum Schluß dabeigeblieben. Ich war am Anfang in der Hierarchie relativ oben, Gruppenleiterin und so weiter, bin dann aber auch ganz nach unten gekommen und habe auch in Stadtgruppen gelebt, unter anderem in Düsseldorf. Als es '90 schon zur Auflösung ging, bin ich von Düsseldorf mit meiner gerade neugeborenen Tochter zurück zum Friedrichshof gekehrt, weil da auch mein Sohn zur Schule ging. Meine Tochter studiert jetzt in Wien Medienwissenschaften. Überdurchschnittlich viele ehemalige Kinder aus der Kommune sind in Kunstbereichen tätig. Das reicht von Bildern über Film, Video bis hin zu Theater, Design, Modedesign - die ganze Palette.

SB: Wie ich gehört habe, plant ihr für nächstes Jahr ein Ehemaligentreffen?

AR: Ja, das ist die Idee. Etwa 20 Jahre hat die Kommune bestanden - von 1970 bis 1990 - 2010 sind dann wieder 20 Jahre vergangen. Wir haben ein Seminarhotel, da mache ich sehr viele Führungen und werde oft gefragt, was aus den Leuten, die früher hier gelebt haben, geworden ist. Ihr wart doch eine Kunstkommune - sind keine Künstler daraus hervorgegangen? Was ist aus den Kindern geworden? In welche Berufe sind sie gegangen? und andere Fragen mehr. Wir haben dann die Idee gehabt, ein Ehemaligentreffen zu organisieren und zu schauen, wer überhaupt Lust hat zu kommen. Das machen wir über die Kunstschiene. Ich bin für die Sammlung zuständig und organisiere die Ausstellungen hier in unserem Museum. Wir laden Leute ein - egal, ob sie professionelle Künstler sind oder dies eher als Hobby betreiben -, irgendwelche Kunstwerke von sich zu präsentieren. Das Treffen ist für nächstes Jahr Pfingsten geplant, und tatsächlich haben sich bis jetzt schon über 50 Personen zur künstlerischen Teilnahme angemeldet. Und das geht auch durch alle Sparten.

SB: Sind das alles ehemalige Gruppenmitglieder?

AR: Ja.

SB: Ist der Einfluß der Kunst auf Leute, die lange Zeit hier gelebt haben, besonders groß?

AR: Ja, bei sehr vielen. Natürlich haben die meisten Brotberufe, von denen sie leben, aber sehr, sehr viele beschäftigen sich schon intensiv weiter mit Kunst.

SB: Gibt es bei denjenigen, die länger dabei waren, noch eine Art doch auch positives Feedback zur Gruppengeschichte oder überwiegt die Distanz aufgrund des Endes, das die Kommune genommen hat?

AR: Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Viele haben Freundschaftskontakte, die erstrecken sich weit ins Ausland hinein, aber viele haben auch gewisse Distanzen eingelegt, einfach weil sie das persönlich zur Aufarbeitung und wozu auch immer gebraucht haben. Aber was vor allen Dingen spannend ist, die zweite Generation, die ehemaligen Kinder haben sich in die Organisation dieser Wiedersehensveranstaltung eingeklinkt, und die gehen mit einem ganz neuen frischen Wind hinein, und sie wollen das Positive am Netzwerk und an den Kontakten wieder verstärken. Die haben in ihren Altersgruppen sehr weit gefaßte Kontakte und Netzwerke. Diesen Sommer findet schon ein erstes Treffen statt, bei dem sich nur die zweite Generation hier trifft.

SB: Herbert Stumpfl meinte, daß die Kinder das häufig doch sehr kritisch sehen, wie sie aufgewachsen sind.

AR: Natürlich, klar. Mit der Distanz sehen sie das zu Recht kritisch. Sie sehen auch, daß vieles sehr positiv war, daß vieles aber total kritisch zu sehen ist.

SB: Meines Wissens nach wurde die Frage der Kinderziehung in der Kommune immer besonders stark betont und positiv betrachtet auch als Moment der Selbstbestätigung und Identität, daß man Menschen unter weniger entfremdeten Bedingungen aufwachsen läßt.

AR: Ja, wir hatten diese Idee, ein total anregendes Milieu für die Kinder zu schaffen und daß die Gruppe für alle da ist, was ja auch positiv war, aber aus heutiger Sicht haben wir sie überbetreut. Wir haben ihnen viel zu wenig eigenen Entwicklungsfreiraum gelassen, wie Eltern bei ihrem ersten Kind. Die Gruppe waren die Eltern, und jetzt haben wir ein ganz neues Leben für uns Erwachsene, und daran müssen die Kinder vollständig teilhaben, und so haben wir sie völlig überbetreut. Natürlich wurde irrsinnig viel Kunst betrieben, und sowieso sehr tolle Sachen, aber es war einfach viel zu viel. Viel zu viel des Guten. Und ab Mitte der '80er Jahre ist es erst recht verrückt geworden, da die Kinder in diese Hierarchiegeschichte einbezogen wurden. Das ging von der ersten Frau aus und war eine Wahnsinnsidee. Da regen sich die Kinder zu Recht auf, dadurch wurden sie auch teilweise traumatisiert.

SB: Sind irgendwelche schwere Schädigungen nachgeblieben?

AR: Schwere Schädigungen hatten die zu verarbeiten, die den persönlichen Mißbrauchskontakt mit dem Otto hatten. Die haben alle Therapien gemacht. Das war eine schwerere Geschichte, zumal es eine doppelte Belastung war, wie sie es erlebt haben, wie sie dann herausgeholt worden sind, wie ihnen erklärt wurde, was Schlimmes mit ihnen passiert ist, also noch einmal eins drauf. Die hatten wirklich sehr viel zu verarbeiten. Aber alle anderen, die mehr oder weniger im "normalen" Gruppenleben aufgewachsen sind, die haben auch sehr, sehr viele positive Erinnerungen. Darum haben sie ja auch ein funktionierendes Kontaktnetzwerk. Das ist vielleicht mit einem Kibbuz vergleichbar, in dem die Kontakte der Kinder untereinander fast stärker sind als zu den Erwachsenen.

SB: Wie ist das, wenn du mit Leuten speziell auch aus Österreich, für die der Friedrichshof auch immer ein Begriff war, zu tun hast? Wird das unter diesem Ende mit Otto Mühls Mißbrauchsgeschichte subsumiert, oder gibt es auch eine differenziertere Sichtweise?

AR: Es ist unterschiedlich. Viele haben die Skandalpresse und die öffentliche Meinung im Sinn. Die sehen das natürlich so: "Es ist böse". Vorher hatten sie vielleicht heimlich gedacht "so hätte ich auch leben können" oder hatten einen heimlichen Neid auf dieses Gemeinschaftsleben mit der freien Sexualität gehabt, danach kam das Aufatmen, "ach, es war doch alles böse, es war doch alles schlecht, wir können es abhaken und vergessen". Allerdings fragen die vielen Leute, die zu Besuch ins Museum kommen, vor allen Dingen nach der Kommunegeschichte und stellen sehr differenzierte Fragen. "Wenn man das mit verschiedenen Gesellschaftsmodellen vergleicht, mit unserem, mit anderen", da kommen schon ganz andere Fragen und auch Gedanken auf. Viele sagen danach "es muß ja auch sehr vieles positiv gewesen sein, sonst hätte es nicht so lange funktionieren können". Allein, was hier aufgebaut wurde, La Gomera und so weiter, das besteht ja auch noch in irgendeiner Form. Je größer die zeitliche Distanz ist, desto mehr Leute kommen und fragen nach der Geschichte der Kommune. Allerdings gibt es in der jungen Generation auch hier in der Gegend Leute, die überhaupt noch nie etwas davon gehört haben. Für die das ein totales Fremdwort ist, die kennen das überhaupt nicht. Also es gibt wirklich die ganze Bandbreite der Reaktionen.

SB: Wie wird die Rolle Otto Mühls als Künstler bewertet? Wird das noch miteinander vermengt oder wird sein Hintergrund als ehemaliger "Guru" strikt von seiner künstlerischen Laufbahn getrennt?

AR: Otto Mühl als Künstler ist wieder eine ganz eigene Sache, weil er ja als Wiener Aktionskünstler sowieso weltberühmt ist. Die Kunst, die er in der Kommune und danach gemacht hat, kommt erst jetzt allmählich auf den Kunstmarkt. In der Kommunezeit hat ihn der Kunstmarkt nicht interessiert, da war das Kommuneleben das Wichtige, erst jetzt wird es mehr und mehr promoted. Es war natürlich auch schwierig durch seine Vita, durch seine Sachen, die er gemacht hat, war es vor allem hier in Österreich extrem schwierig, ihn überhaupt wieder am Kunstmarkt zu plazieren. Da hat man kurioseste Dinge erlebt. Die Leute haben ein Bild gesehen und gefragt "Wahnsinn, ist das ein tolles Bild, von wem ist das?" "Von Otto Mühl." "Na dann möchte ich nichts damit zu tun haben." So ungefähr haben viele reagiert, wobei die großen Sammler sich sofort bei uns eingedeckt haben. Die haben die Qualität sofort erkannt, haben sie aber eingelagert im Keller, weil sie sich nicht öffentlich damit präsentieren wollten.

SB: Wohlwissend, daß der Preis dennoch steigt.

AR: Wohlwissend, natürlich, und jetzt ist es so, daß Mühl am internationalen Kunstmarkt mehr und mehr präsent ist und sein Wert stetig steigt. Die meisten Künstler haben einen schwierigen Lebenslauf.

SB: Bezieht sich deine Arbeit der Betreuung des künstlerischen Teils wesentlich auf die Werke von Otto Mühl oder ist das ein allgemeines Ausstellungsgelände?

AR: Am Friedrichshof gibt es die Sammlung Friedrichshof - da gehört Wiener Aktionismus dazu, also Brus, Mühl, Schwarzkogler, Hermann Nitsch, auch von Schilling ein paar Werke, und da gehört ein Großteil des Kommunewerks dazu. Im Jahr 2000 gab es zwischen der Genossenschaft und Mühl eine Vergleichseinigung, dabei hat er einen Teil der Werke bekommen, während der Großteil in der Sammlung verblieb. Aus diesen Sammlungsbeständen haben wir all die Jahre immer wieder internationale Leihgaben gemacht an große Museen, große Häuser all over the world, aber auch Verkäufe und auch bei uns hier ab 2001 Ausstellungen aus dem Sammlungsbestand. Da haben wir einen Kurator aus Wien, der dann Themenausstellungen macht. Dazu haben wir einen Eingangsraum im Museum, da machen wir einfach kontemporäre Wechselausstellungen, teilweise von den Künstlern, die neu hierhergezogen sind oder die haben Künstlerfreunde eingeladen, teils international kuratierte aus Ungarn, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Rumänien, ganz unterschiedliche Sachen. Das alles organisiere ich, und gleichzeitig bin ich für das Kunstarchiv zuständig, organisiere die ganzen archivarischen Arbeiten auch für das Kommunearchiv. Dort versuche ich gerade, die Videos, die schon anfangen zu zerfallen, zu retten und zu digitalisieren.

     

SB: Das Kommunearchiv lagert hier am Friedrichshof?

AR: Ja, es ist gut im Keller gelagert.

SB: Wie umfassend ist es?

AR: Es gibt wirklich nicht wenig. Es gibt Bilder, es gibt Videos, es gibt ein Fotoarchiv, es gibt schon einiges.

SB: Aber das Museum ist ein reines Kunstmuseum, das betrifft nicht die Geschichte der Gruppe?

AR: Nein, das wird bis jetzt als reines Kunstmuseum betrieben auch aus dem Grund, weil das Kommunearchiv von den ehemaligen Mitgliedern oder jetzigen Genossenschaftsmitgliedern, die ja auch ehemalige Kommunemitglieder sind, noch unter Verschluß gehalten wird. Manchmal gibt es Ausnahmegenehmigungen, aber generell ist es noch unter Verschluß, weil die Leute nicht dauernd damit konfrontiert werden wollen in ihrem jetzigen Berufsleben.

SB: Das Ehemaligentreffen wäre doch ein Anlaß, nebenbei eine Ausstellung oder ähnliches aus dem Archivmaterial zu organisieren.

AR: Es ist angedacht, auch ein bißchen dokumentarisch aufzuarbeiten, was postkommunal alles erschienen ist, die Diskussion und auch ein wenig Archivmaterial, das ist angedacht.

SB: Bestand die Genossenschaft schon zur Zeit, als die Kommune noch existierte?

AR: Ja, die Genossenschaft hat schon bestanden und zur Auflösung haben alle notariell unterschrieben. Alles gemeinsam Erwirtschaftete kam in die Genossenschaft und alle haben gleich viele Anteile bekommen. Das war die Auflösung des Gemeinschaftseigentums. Inzwischen haben natürlich viele ihre Anteile gekündigt und sich auszahlen lassen, weil sie das Geld gebraucht haben oder weil sie keinen Bezug mehr hatten, aber es halten noch ungefähr 200 Mitglieder ihre Anteile an der Friedrichshofgenossenschaft. Sie leben aber verstreut in ganz Europa oder Amerika. Am Friedrichshof leben vielleicht noch ungefähr 30 ehemalige Kommunemitglieder. Alle anderen - es leben jetzt 160 Menschen am Friedrichshof - sind neu zugezogene Bewohner, die natürlich nichts mit der Vergangenheit am Hut haben.

SB: Die sind hierher gekommen, weil es schön gelegen ist?

AR: Weil es ihnen hier gefällt, weil ihnen der Geist hier gefällt, es herrscht doch ein urbaner, offener Geist unter den Menschen, offene Kommunikation, der Ort ist schön und es gibt ein Seminarhotel, einen Landgasthof, einen Badeteich und so weiter.

SB: Wie ist dieser Prozeß der Auflösung des Kommunelebens in das Private vonstatten gegangen? Hat das sehr lange gedauert oder ist es doch ein abrupter Wechsel gewesen?

AR: Es ging gleichzeitig, intern und extern. Von außerhalb haben das ehemalige Mitglieder betrieben, die sich gesagt haben, daß man das Ganze nur sprengen kann, wenn man Mühl ins Gefängnis kriegt. Gleichzeitig erfolgte das aber auch intern. Da gab es schon Ende der '80er Jahre eine "Demokratiebewegung". Einige Mitglieder wollten die Hierarchie abschaffen, den Mühl entmachten, die Zweierbeziehung wieder einführen, also die Struktur langsam verändern. Aber dadurch, daß das parallel intern und extern lief, hat sich das immer mehr zugespitzt. Dazu kam noch, daß die verdienenden Firmenleute in den Stadtgruppen gesagt haben, es reicht, wir sind nicht mehr einverstanden mit der Art und Weise, wie Otto Mühl das ganze Geld ausgibt, daß er ein großartiges Bauprojekt nach dem anderen aus dem Boden stampft. Beim letzten Projekt haben sie schon Stopp gesagt. Dann kam es bei der Generalversammlung 1990 zum Beschluß, das Experiment zu beenden und es aufzulösen. Otto Mühl kam erst ein halbes oder dreiviertel Jahr später in Untersuchungshaft. Er hat da noch am Friedrichshof gelebt, aber es war schon beendet.

SB: Die Reorientierung am ganz normalen gesellschaftlichen Leben ist dann wahrscheinlich relativ fugenlos für die meisten verlaufen?

AR: Mehr oder weniger. Jeder hat privat seine Aufarbeitung gemacht, so wie es für ihn gepaßt hat. Manche sind in die Dörfer und Städte der Umgebung gezogen und haben sich extrem bürgerlich gegeben, als hätten sie nie was mit Kommune am Hut gehabt, andere leben heute noch bei Mühl in Portugal, also die ganze Bandbreite. Ich bin immer relativ offen damit umgegangen, weil ich auch '93 den Job hier in der Genossenschaft angenommen habe. Diejenigen, die hiergeblieben sind, haben überhaupt sehr viel über alles geredet.

SB: Also habt ihr auch in der Kommunikation so etwas wie eine innere Aufarbeitung betrieben?

AR: Ja, schon, sehr viel. In gewissen Freundschaftsgruppen immer wieder. Erschwerend hinzu kam, daß das für den Standort Friedrichshof natürlich auch eine Traumatisierung war, nicht nur vom Ökonomischen her, natürlich auch vom Ansehen her. Ungefähr zehn Jahre lang hat es schon gedauert, bis der Vorstand und der Aufsichtsrat nachhaltige Projekte entwickelt haben, um den Friedrichshof ökonomisch überhaupt am Leben erhalten zu können. Das ging sehr nahe am Konkurs vorbei. Einerseits wurde die Unterdeckung mit Kunstverkäufen ausgeglichen, andererseits hat man das Seminarhotel, den Landgasthof und das Museum eröffnet, wieder eine Öffnung nach außen gemacht und auch eine Zuzugspolitik beschlossen, weil das immerhin 20 Hektar sind mit eigener biologischer Kläranlage, mit eigenem Brunnen und Wasserwerk. Es ist ein großer technischer Aufwand, und das Ziel ist, daß sich das auf mehr Bewohner aufteilt, so daß man mit den Betriebskosten auf Plusminusnull kommt. Das ist die Zielvorstellung, und da kommen wir langsam hin.

Außerdem hat man sich natürlich ganz klar von Mühl und der Vergangenheit abgegrenzt. Diese Positionierung war auch wichtig, um neu anfangen zu können. Das war wirklich ein Bruch. Wir sind auch persönlich alle abgestürzt, eine Massenscheidung quasi, die ganzen Leute - wie wenn man den Deckel vom Dampfdruckkochtopf wegnehmen würde - sind in alle Himmelsrichtungen zurück in ihre Heimatländer gezogen, um wieder ein neues Leben beginnen zu können, und alle Beziehungen, die man hatte, waren fast zerrissen. Das war natürlich ein Schock für alle. Und dann mußten wir das auch ideologisch verarbeiten. Die Vorstellung war, daß wir ein besseres Leben, ein positives soziales Gesellschaftsmodell wollten, und damit sind wir quasi gescheitert.

SB: Belegen diejenigen, die hiergeblieben sind, nicht, daß man dem Gesamtverlauf auch etwas Positives abgewinnen konnte?

AR: Natürlich, wir haben Freundschaftbeziehungen erhalten. Ich habe nicht nur Freunde hier. Das geht weiter in Deutschland, in der Schweiz. Das schon. Und das Ganze hat dadurch, daß wir den Friedrichshof, die Genossenschaft überhaupt retten und erhalten konnten, daß wir ihn wieder verändert und ausgebaut haben, daß neue Leute hergefunden haben, auch ein neues Image bekommen. Aber das ging nur Stück für Stück, auch mit der inneren Verarbeitung, wie man sich mehr und mehr mit der Vergangenheit versöhnt hat und dann irgendwann den Punkt erreicht hat, wo ich auch ganz offen differenziert reden konnte, das ist nicht gut gelaufen, das war sehr positiv. Aber das mußten wir alles erst total aufarbeiten.

SB: Jetzt lebt ihr sozusagen wie in einem Dorf?

AR: Genau, wir leben hier mitten im Grünen wie in einem Dorf, aber vom Geist her eher urban und offen. Das ist tatsächlich ein gewaltiger Unterschied, das zieht auch andere Leute an, die nicht einfach in eine gewachsene Dorfstruktur hineinziehen würden. Hier sind mehr oder weniger alle Zugezogene, viele verschiedene Nationen leben hier. Dadurch herrscht hier eher ein städtischer Geist, aber trotzdem mitten im Grünen. Wenn man es positiv sieht, vereint es eben beides.

SB: Amalia Rausch, vielen Dank für das Gespräch.

4. Juli 2009