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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/007: Krieg der Bäume - das Wagnis entschiedener Lebensführung ...    Aktivistin Nura im Gespräch (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Heraus aus der Falle des Gegeneinanders

Interview im Hambacher Forst am 20. Februar 2017

Wie schnell im Hambacher Forst das Aktionsklettern erlernt werden kann, zeigt das Beispiel der Aktivistin Nura. Obwohl sie diese Form der vertikalen Fortbewegung erst seit einem Monat praktizierte, erklomm sie einen Baum, von dem noch kein Seil herabhing, bis auf die Höhe von 12 Metern und robbte einige Meter weit auf einem querlaufenden Ast, um ein Transparent hochzuziehen. Wieder auf dem Erdboden angekommen, berichtete die 21jährige Aktivistin dem Schattenblick von ihren Beweggründen, das im Winter durchaus auch entbehrungsreiche Leben im Wald einer konventionellen bürgerlichen Existenz vorzuziehen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Nura, Aktivistin im Hambacher Forst
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Nura, was hat dich hierher in den Wald verschlagen?

Nura: Ich bin jetzt seit einem Monat hier. Ich hatte schon öfter von dem Projekt hier gehört und immer schon Lust, es zu besuchen. In den letzten zwei Jahren war ich auf Reisen und vor allem in Projekten unterwegs, die eher den Grundgedanken verfolgen, auszusteigen und sich selbst zu versorgen, eigentlich ein neues System aufzubauen, anstatt das alte zu bekämpfen oder zu versuchen, es zu verändern. Ich kam aber irgendwann an den Punkt, wo mir das ganze Reisen und diese Art von Projekten zu flüchtig wurden und ich große Lust hatte, konkret etwas beizutragen und wirklich etwas zu verändern, also einen Ort oder ein Projekt wachsen zu sehen, hinter dem ich stehen kann. Ich bin dann eher durch einen Zufall, weil ein Freund, der den Hambacher Forst schon einmal besucht hatte, hierher wollte, mitgefahren und habe dann hier zumindest zum Teil gefunden, was ich gesucht habe.

Ich finde es immer schwer zu sagen, daß das jetzt etwas sei, was die Welt total verändert. Es ist nicht wahrscheinlich, daß wir tatsächlich den Wald vor der Abholzung bewahren können. Ich halte den Hambacher Forst aber für einen unglaublich wichtigen Ort, um sich zu vernetzen und mit anderen Leuten zusammen zu sein, die das ähnlich sehen wie ich. Gemeinsam politische Aktionen zu machen und ein solches Leben zusammen zu erfahren, abzutasten und auszuprobieren, finde ich sehr wichtig.

SB: Kannst du sagen, was dir bei den Projekten, die du schon kennengelernt hast, gefehlt hat?

Nura: Ich möchte das gar nicht kritisieren oder als schlecht darstellen. Ich habe das Gefühl, in der linken Szene geht es oft darum, etwas zu bekämpfen, so daß man sich in einem stetigen Kampf befindet. Dadurch ist auch der Umgang untereinander noch häufig ziemlich gewaltvoll, so daß sich eigentlich keine Gemeinschaft bildet, die außerhalb der Gesellschaft steht und mit den Strukturen des Kapitalismus bricht, sondern diese in ihrem Handeln eher wiederholt. Bei Hippie-Aussteigerprojekten habe nicht so sehr das Gefühl, daß es einen liebevolleren und freieren Umgang miteinander gibt, der mir total guttut und mir Kraft gibt. Mit dieser Kraft könnte ich, glaube ich, Dinge verändern und neue Strukturen aufbauen. Das ist aber der Schritt, der mir in Hippie-Kreisen oft fehlt. Dort werden keine tatsächlichen Aktionen gemacht, es geht oft superisoliert zu, und am Ende steht fast eine sehr bürgerliche Glücksvorstellung - wir wollen unser Haus haben, mit unseren Freunden darin wohnen und unser eigenes Essen anbauen. Ich finde, das ist immerhin schon ein besserer Lebensentwurf für mich als Lohnarbeit und in der Stadt zu leben. Aber ich glaube, wenn man es nicht schafft, andere Menschen zu erreichen, verändert das auch nicht die Welt.

SB: Müßten die Kämpfe, die zu führen sind, nicht sowieso Hand in Hand damit gehen, das soziale Verhältnis zu anderen Menschen in gleicher Weise kritisch zum Thema zu machen und zu verändern?

Nura: Ich glaube, daß linke Gruppen das versuchen, und für viele Leute erfüllen sie diesen Zweck auch, weil sie ein festes soziales Umfeld bilden und dich unterstützen. Viele Leute, die politisch aktiv sind, können in irgendeine Stadt in Deutschland kommen und werden dort Mitglieder ihrer Gruppe finden, von denen sie wie Freunde behandelt werden. Das ist schon mal ein großer Schritt. Ich habe nur für mich selbst gemerkt, daß mir das nicht weit genug geht und daß ich vor allem nicht das Gefühl habe, tatsächlich etwas zu bewirken. Es fühlt sich für mich einfach nicht echt an, wenn ich in der Stadt lebe, studiere oder Lohnarbeit mache und zur Miete wohne. Ich glaube, daß es total wichtig ist, trotzdem Politarbeit zu machen, man kann damit total viel erreichen und wahrscheinlich sogar mehr, als wenn man sich, isoliert von anderen Menschen, in der Natur befindet. Aber es ist einfach kein Lebensentwurf, mit dem ich zufrieden sein könnte.

SB: Geht es hier im Hambacher Forst deiner Ansicht nach schon mehr in Richtung Lebensentwurf und politische Arbeit?

Nura: Für mich persönlich auf jeden Fall. Ich brauche zwei Dinge - ich will in der Nähe der Natur sein und möchte mit Menschen zusammen sein, die sich anfühlen wie Familie, mit denen ich vertraut bin und lachen, weinen und arbeiten kann. Beides gibt es hier. Das muß man aber auch suchen, denn es war bei mir nicht so, daß ich herkam und dachte, kraß, das ist der Ort, wo ich bleiben will. Das hat sich erst mit der Zeit entwickelt. Aber auf jeden Fall kann man das hier finden.

SB: Hier wird ein anderer Umgang miteinander gepflegt - man gibt dem anderen Menschen eine ganze Menge Raum, ignoriert ihn nicht, fährt ihm nicht über den Mund oder läßt ihn stehen. Wie erlebst du das in der normalen bürgerlichen Gesellschaft? Hören die Menschen dort tatsächlich so wenig aufeinander, haben sie wirklich so wenig miteinander zu tun, daß man sich gegenseitig ignoriert?

Nura: Ich glaube, es kommt total drauf an, in welchen Kreisen du dich bewegst. Es gibt schon viele Menschen, die liebevoll miteinander umgehen, aber zum Beispiel auf eine sehr unreflektierte Art und Weise. Das ist überhaupt ein großer Punkt - alle Menschen lieben unglaublich viel, aber haben oft nicht richtig gelernt, ihre Liebe auszudrücken oder mit ihrer Liebe richtig umzugehen. Und dann entstehen durch Liebe halt Besitzansprüche oder extreme Unsicherheit. Um das zu übertönen, passiert es öfter, daß Menschen doch einen recht oberflächlichen Umgang oder auch oft einen unechten Umgang miteinander haben. Wenn sie sehr unsicher sind und das Gefühl haben, sich selbst beweisen zu müssen, kann das Verhältnis zu anderen auch einen boshaften Charakter annehmen.

SB: Die Leute werden ja systematisch dazu gebracht, miteinander zu konkurrieren und zum anderen Menschen ein feindseliges Verhältnis zu entwickeln. Hast du den Eindruck, daß ihr das hier schafft, diesen Einfluß außen vor zu halten?

Nura: Ich glaube, das außen vor zu halten ist unmöglich, weil wir alle in der Konkurrenzgesellschaft sozialisiert werden. Das aus uns selbst herauszukriegen, schaffen wir vermutlich nicht in unserem Leben. Das können wir vielleicht über Generationen verändern. Wir können es aber erkennen und reflektieren. Daran arbeite ich persönlich und versuche auch, in Gruppen ein Klima zu schaffen, in dem das möglich ist. Es ist, glaube ich, ganz normal, daß manche Menschen einfach dominanter und selbstsicherer in ihrem Auftreten sind und damit auch häufig mehr zu sagen haben. Ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und sich zu fragen: Wie wollen wir Entscheidungen treffen, treffen wir alle Entscheidungen im Konsens oder wie sonst? Dadurch zum einen zu versuchen, Strukturen zu schaffen, die verhindern, daß jemand mehr Macht hat als andere, gleichzeitig aber auch ein Bewußtsein oder ein Klima zu schaffen, in dem alle Leute das Gefühl haben, sagen zu können, was sie fühlen und denken. Und daß sie sich nicht unsicher dabei fühlen, wenn sie ihre Meinung sagen.

SB: Könnte sich ein egalitärer Anspruch nicht auch kontraproduktiv auswirken, wenn etwa eine Anforderung zu bewältigen ist und diejenigen, die das vielleicht am besten schaffen, sich lieber zurückhalten, um keine Hierarchieprobleme zu provozieren?

Nura: Für mich hat das gar nichts mit Hierarchie zu tun. Mir ist zum Beispiel ganz klar, daß ich nicht viel Erfahrung mit dem Bauen habe. Wenn ich versuche, ein Baumhaus zu bauen oder jemandem dabei zu helfen, dann führe ich das aus, was diese Person mir sagt, dann ordne ich mich im Arbeitsprozeß der Person unter. Es geht mir darum, daß diese Unterordnung freiwillig geschieht und bewußt. Das ist auf total vielen Ebenen so, insbesondere bei praktischen Dingen wie Bauen, Kochen und so weiter, wo es leichter ist, wenn jemand die Führung übernimmt, was ich total normal und gesund finde. Aber es gibt auch andere Dinge, zum Beispiel Leute, die einfach besser reden und Dinge besser darstellen können. Dann ist es okay, wenn sie für alle reden. Ich halte es für wichtig, daß diese Unterordnung freiwillig geschieht und ganz klar ist, ich ordne mich jetzt hier unter. Das bedeutet aber nicht, daß ich dieser Person generell untergeordnet bin, sondern ich suche mir für diesen einen Prozeß einen Lehrenden, dem ich folge, um etwas zu lernen. Das finde ich vollkommen okay. Es ist halt wichtig, das zu reflektieren und Wissen nicht zu monopolisieren. Wenn Wissen zu sehr monopolisiert wird, dann entsteht daraus automatisch Macht.

SB: Hältst du es für wichtig, wenn es um die Kritik sozialökologischer und gesellschaftlicher Verhältnisse geht, sich vielleicht auch theoretisch mit bestimmten Fragen zu beschäftigen, um auch auf dieser Ebene handlungsfähig zu werden?

Nura: Auf jeden Fall. Das meine ich mit "sein Verhalten reflektieren" und es auch in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Also nicht zu denken, ich habe mich vielleicht jetzt nicht getraut, etwas im Plenum zu sagen, weil ich Bauchschmerzen hatte, sondern zu sehen, okay, gerade haben anscheinend männlich assoziierte Leute 70 Prozent der Redeanteile - vielleicht liegt es daran, daß ich gerade nichts sagen wollte. Ich finde es extrem wichtig, ein solches Verhalten zu reflektieren und in einen größeren Zusammenhang zu setzen und sich auch theoretisch damit auseinanderzusetzen, um diese größeren Zusammenhänge zu verstehen.

Ich glaube, wenn Leute gerade den Impuls haben, sich damit zu beschäftigen, weil es viele Ungleichheiten gibt, und meinen, daß wir das ändern müssen, dann ist es superwichtig und cool, sich theoretisch damit zu befassen. Wenn aber gerade alles irgendwie läuft, dann finde ich es auch persönlich anstrengend, ewig alles auseinanderzunehmen und neu zu definieren und zu strukturieren. Wichtig ist auf jeden Fall, daß sich alle damit wohlfühlen und alle das Gefühl haben, gehört zu werden.

SB: Wie gehst du als Frau mit der gesellschaftlichen Gewalt, die nach wie vor dominant gegen Frauen oder gegen abweichende Geschlechteridentitäten gerichtet ist, um?

Nura: Was mich persönlich in meinem Leben am meisten behindert hat, ist, daß Frauen eingeredet wird, daß sie Angst haben müssen, daß sie insgesamt so sozialisiert werden, daß sie sich weniger zutrauen. Ich persönlich versuche dagegen vorzugehen, indem ich Dinge tue, die mir im ersten Moment angst machen. Dann überlege ich, okay, macht mir das tatsächlich angst, weil ich damit schlechte Erfahrungen gemacht habe, oder macht es mir angst, wenn mir gesagt wird, das kannst du nicht als Mädchen oder als Frau. Zum Beispiel alleine reisen, alleine trampen, irgendwo zelten. So versuche ich herauszufinden, was in meinen Ängsten und Verhaltensweisen sozialisiert ist und was wirklich von mir kommt.

Ich finde es auch immer schwierig zu sagen, daß die dominante Gewalt sich gegen Frauen richtet. Es gibt auch eine schreckliche Gewalt gegen Männer. Es ist für mich ein generelles Problem, daß wir gesellschaftlich in bestimmte Rollen und Muster gesteckt werden und unsere Persönlichkeit und unsere Menschlichkeit dadurch total gequält und mißhandelt wird. Ich glaube, damit haben Männer und Frauen ein Problem. Bei Frauen ist das natürlich anders gelagert, und ich finde es sehr wichtig, mich damit auseinanderzusetzen. Das finde ich auch hier schön, daß ich das Gefühl habe, ich befinde mich in einem Rahmen, wo auch Männer oder männlich assoziierte Personen ihr Handeln im dem Sinne reflektieren und merken, daß Feminismus sie etwas angeht.

SB: Ich meine mit dieser Dominanz männlicher Gewalt auch, daß Männer sich körperlich häufig gegen Frauen durchsetzen. Auch wenn das keinesfalls so sein muß, scheint es doch eine empirische Erfahrung zu sein. Wie sollten Frauen mit dieser vorhandenen oder imaginierten physischen Überlegenheit von Männern umgehen?

Nura: Es kommt hier eigentlich nicht zu Situationen, in denen Streitpunkte mit Gewalt ausgetragen werden. Und ich war selten in einer Situation, in der ein Streit mit Gewalt ausgetragen wurde. Ich war häufiger in Bedrohungssituationen, die sich aber gar nicht so weit entwickelt haben, daß ich meine körperliche Kraft mit der der Männer, die mich bedroht haben, messen mußte. Ich glaube, in den meisten Situationen kann ein starkes Auftreten, nicht starke physische Kraft, sondern starke mentale Kraft, dazu führen, daß du erst gar nicht in so eine Situation gerätst, in der du körperlich kämpfen mußt. Genau deswegen ist es gefährlich, wenn man Mädchen immer erzählt, daß sie körperlich unterlegen sind, weil sie dann in einer solchen Situation gar nicht erst auf die Idee kommen, stark aufzutreten und sich zu wehren und klar nein zu sagen, weil sie total verängstigt sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen können.

SB: Nura, vielen Dank für das Gespräch.


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17. März 2017


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