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KORRESPONDENZEN/006: Kein Pferd springt freiwillig (SB)


Kein Pferd springt freiwillig


Ein Leserkommentar von K. E. zu dem Schattenblick-Artikel
TIERE\HAUSTIERE\HIPPOS/79: Kein normales Pferd springt freiwillig:

12. März 2008

Hi

Ich habe erstaunt im Schattenblick HIPPOS/79: "Kein normales Pferd springt freiwillig" gelesen. Die meisten Reiter werden als Tierquäler beschrieben. Ich glaube nicht, dass es so schlimm sein kann.

Ich hatte ja auch einmal ein Paar Springpferde, gar keine Ausnahmepferde - (einen schwedischen Fuchs und einen deutschen Schimmel). Ganz normale Tiere. Die sprangen beide freiwillig. Als die ganze Pferdeschar über die Weide galoppierte sprang der Fuchs oft über den 1.30 m Zaun und kam erst, wenn es langweilig draussen auf der Strasse wurde mit einem Sprung zurück. Der Schimmel sprang öfters über den Zaun, wenn das Gras auf der Weide nicht mehr gut geschmeckt hat. Er ging dann im Stall auf Hafersuche.

Und was HGW auf Halla bei den Olympischen Spielen in Stockholm am 17. Juni 1956 betrifft, besitze ich eine Reihe Filmaufnahmen von beiden Umläufen. Die Filme zeigen was anders als was im Hippos/79 "Kein normales Pferd"... beschrieben wird. Ich habe die Filme oft in "slow motion" gesehen. Was man deutlich sehen kann - der Reiter ist im zweiten Umlauf nicht "eine störende Last" für die Stute. Im Gegenteil gibt er - (instinktiv?) - immer im richtigen Augenblick Impulse zum Absprung, wenn der Abstand stimmt und lässt den Zugel lang genug. Sporen hatte er auch nicht. Der wunderbare Rhytmus dieses Rittes ist nach meiner Meinung derselbe als im ersten Umlauf und wird nie unterbrochen. (Dafür sprechen auch die Zeiten - 97.9 Sekunden im ersten Umlauf, 97.4 im zweiten - die halbe Sekunde Unterschied entsprach wohl, was zwischen Hindernis 13-14 im ersten Umlauf geschah?)

Nur ein Pferd, das bei der Ausbildung bestens behandelt wird, belohnt einem verletzten Reiter mit einem fehlerfreien Ritt auf einem Olympischen Parcours!

Apropos "Altersgrenze nicht erreichen können und geruhsamen Lebensabend"... Halla wurde ja 34 Jahre alt und brachte 8 gesunde Fohlen zur Welt! Nachdem sie ihre Springkarriere beendet hatte!

Gewiss - es gibt natürlich böse Reiter und Reiterinnen die mit Methoden wie Barren und so was arbeiten. Schlechte Menschen gibt es in allen Sportarten - aber ich meine - sie sind nicht in der Mehrzahl. Jahrzehntelang habe ich in meiner Heimat (Stockholm) auf Trainingsplätzen und im Gelände Reiter und Pferde gesehen. Einige Male wurde wohl ein Hoch-Weitsprung von der verkehrten Seite angeritten (was heute hier verboten ist), aber Glasscherben oder Heftzwecken waren nicht da. Ich hatte eine große Menge Reiterkollegen (Klasse A - S) und niemand von uns hat ein Pferd mit solchen Barren-Methoden ausgebildet.

Ich kann nicht glauben, dass Reiter in Deutschland schlechter sind als in Schweden.

Wenn Pferde nicht im Sport Gefährten sein können - was werden mit diesen schönen Tieren dann zu tun? Aussterben - oder Pferdezucht, nur um uns Menschen was zu essen geben? Von den Baurnackern sind die Pferde ja vor Jahrzehnten vertrieben...

MBG

Keer


*


Ihre Frage, unsere Antwort

zu dem Beitrag TIERE\HAUSTIERE\
HIPPOS/79: Kein normales Pferd springt freiwillig (SB)

Stelle, den 18.03.2008

Sehr geehrte Frau E.,

vielen Dank für Ihre ausführlichen Gedanken zu unserem Schattenblick-Beitrag.

Es gibt für den wahren Pferdefreund wohl kaum einen schöneren Anblick, als die herrlichen Tiere mit fliegenden Hufen und wehenden Mähnen über freies Land galoppieren zu sehen aus Übermut und reiner, ungehemmter Freude an der eigenen Bewegung. Dieser Anblick nährt in uns Menschen den unbändigen Wunsch, in irgendeiner Weise daran Anteil zu haben, d.h. nicht nur zu beobachten, sondern auf dem Rücken eines dieser Pferde mitzufliegen, da wir uns in den uns bekannten Grenzen des eigenen, einschränkenden Körpers nicht in dieser scheinbar so mühelosen Weise bewegen können.

Und ich denke, dieses uns allen innewohnende rudimentäre Verlangen nach freier raumgreifender Bewegung oder einfach nur der Traum, man könne mit diesen Tieren eine Art Symbiose aus Kraft und Verstand eingehen, mit der man die eigenen Grenzen überschreiten und mehr Freiheit (für beide) gewinnen kann, läßt uns letztlich zu Reitern werden.

Doch dieser Traum, den ich natürlich aus eigener Erfahrung kenne, und auch die Empfindungen und Gefühle, die einen zu Kommentaren wie "die Harmonie von Pferd und Reiter" oder "der wunderbare Rhythmus dieses Rittes" (wie Sie schrieben) hinreißen lassen, sind meiner Ansicht nach nur mit einem Höchstmaß an Verdrängung der realen Verhältnisse möglich, die immer zur Unterdrückung des Tieres führen, weil der Mensch schlußendlich die Entscheidung und Führung übernimmt und schließlich auch derjenige ist, der die Regeln und Maßstäbe für Harmonie und Rhythmus und selbst für das Wohlbefinden des Pferdes festlegt. Das Pferd hat keine Stimme, abgesehen von der Möglichkeit seiner Verweigerung, mit der es dann allerdings soziale Konsequenzen in Kauf nehmen muß.

Genau genommen beginnt die Selbsttäuschung über die Situation des Pferdes schon damit, daß man meinetwegen diesen bewußten Augenblick oder Anblick des Pferdes im Sprung oder im gestreckten Galopp als etwas Herrliches und Schönes empfindet, ohne beispielsweise die schmerzhaften Aufschläge in den Gelenken wahrzunehmen, die das Pferd (oder auch ein Mensch bei vergleichbaren sportlichen Leistungen) haben muß, selbst wenn es diese Bewegungen freiwillig und ohne Zwang ausführt. Man versucht aus dem eigenen Wunschdenken heraus etwas zu sehen, was auf diese Weise gar nicht da ist.

Ich habe in meinen Ausführungen auch nicht völlig ausgeschlossen, daß es Pferde gibt, die in diesem Sinne tatsächlich zu sportlichen Höchstleistungen fähig sind und das auch tun (Halla war mit Sicherheit so ein Beispiel). Selbst Menschen machen allerlei unvernünftige Dinge mit ihren Körpern und haben auch noch Spaß daran. Ich persönlich hatte allerdings fast ausschließlich mit ausgesprochen sturen und offenbar sehr vernunftbegabten Pferdepersönlichkeiten zu tun, die lieber große Umwege in Kauf genommen haben, als daß sie das kurzfristige Risiko eines kleinen Hopsers eingegangen wären (ich habe aber auch - was kein Widerspruch zu meiner Darstellung ist - durchaus eine ruhige, ausgeglichene Haflingerstute aus dem Stand über die Einzäunung springen sehen, aus schierer Angst, von einem liebgewonnenen Mitglied ihrer kleinen Herde getrennt zu werden).

Doch warum sollte man solche Leistungen noch forcieren, im Wettkampf fördern oder warum überhaupt den eigenen Freund, das Pferd, zu derart unvernünftigen Handlungen ermutigen?

Schließlich geht das Pferd - und das wird in unserem Artikel auch deutlich - als sozial handelndes Herdentier durchaus bewußte Geschäftsbeziehungen zum Menschen ein, und das bestätigen Sie in Ihrem Schreiben:

"Nur ein Pferd, das bei der Ausbildung bestens behandelt wird, belohnt einen verletzten Reiter mit einem fehlerfreien Ritt auf einem Olympischen Parcours!"

Wir hatten in unserem Artikel für diese allgemein akzeptierten Bedingungen des gegenseitigen Nehmens und Gebens in jeder Beziehung, die der Mensch zu einem Partner, Freund, Gefährten und auch zu seinem Pferd eingeht, vielleicht nicht so starke Parameter gewählt, denn meiner Ansicht nach genügt dem Pferd meist schon die Zuwendung und freundliche Bestätigung, um es, wie es in der Reitersprache heißt, dazu zu bringen, "durchlässig zu werden" oder die "Hilfen des Reiters anzunehmen" (anders gesagt, gehorsam und gefügig das zu tun, was der Reiter wünscht).

Sicher kann man ein Pferd, das körperlich dazu in der Lage ist, allein mit sehr viel Zeit und Freundlichkeit dazu bringen, körperliche Höchleistungen mit einer zusätzlichen Last auf dem Rücken zu vollbringen. Doch sollte man sich nicht etwas darüber vormachen, daß die sanfteste Bestechung immer noch eine Form der Gewalt ist. Auch das sportlichste Tier, das man dazu liebevoll überredet, kann diese Leistung nicht einfach oder mühelos bewältigen. Und wenn man schließlich einmal an das eigene Lampenfieber in einer solchen Situation denkt, können wir auch nicht guten Gewissens ausblenden, daß der Trubel auf dem Turnierplatz selbst einen routinierten Athleten unter den Pferden in Aufregung, Streß und letztlich auch Angst versetzt, was ihm dann im Ernstfall den nötigen Adrenalinstoß oder Kick für die von ihm verlangte Höchstleistung gibt.

Warum also sollte man das alles einem guten und treuen Gefährten antun, wenn es sich vermeiden läßt?

Ist es nicht furchtbar schade, daß wir, was das Leben mit Pferden oder auch anderen Lebewesen betrifft, immer nur in so engen Grenzen wie den gegenseitigen Nutznieß-Verhältnissen denken können? Und daß ein Pferd in unserer zivilisierten Welt überhaupt nur mit einer allseits akzeptierten Daseinsberechtigung existieren darf, wenn es also sein Fleisch zu unserer Ernährung gibt oder sich zumindest zu unserer Erbauung sein Brot verdient? Mangel oder Not, die nur dem Pferd einseitig drohen, wenn es seinen Teil der Vertragsbedingungen nicht erfüllt, sind immer die schlechtesten Voraussetzungen für eine gemeinsame Lebensgrundlage.

Der gültige Konsens unter Reitern drückt all das in dem bekannten kurzen Vers aus:

Alles Glück dieser Erde
liegt auf dem Rücken der Pferde.

Der Standpunkt der Schattenblick-Redaktion wird eher in dem folgenden Aphorismus zusammengefaßt:

Das Glück der Pferde
ist der Reiter auf der Erde.

Womit wir weder dem Reiter das eingangs geschilderte, beseeligende Hochgefühl rauben, noch alle Pferdesportler zu Tierquälern stempeln wollen. Vielmehr sollten unsere Artikel dazu beitragen, die von Wünschen und Eigennutz getragene Verblendung ein wenig zu lüften, die auch bei den Autoren selbst zu der Ambivalenz führt, daß man sein Pferd liebt, spazieren führt und dann doch wieder reitet...

In diesem Sinne
Mit freundlichen Grüßen

Ihr SB-Redaktionsteam

19. März 2008