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DILJA/244: Gewaltsamer Polizeieinsatz wegen des Vorwurfs "Oury Jalloh - das war Mord" (SB)


"Starke" Argumente der Dessauer Polizei - Prügel für Polizeikritiker


Der offiziell gültigen, von den Ermittlungsbehörden und den bislang beteiligten Gerichten in ihrem Kern akzeptierten Tathergangsversion zufolge verbrannte der damals 21jährige, aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle der Dessauer Polizei, nachdem er selbst die feuerfeste Matratze, auf der er - an Händen und Füßen festgeschnallt - lag, mit einem Feuerzeug entzündet hatte. Nach mehreren Gerichtsprozessen, in denen in den zurückliegenden Jahren der Versuch unternommen worden sein soll, den Feuertod des jungen Mannes aufzuklären, ist diese Konstruktion ungeachtet ihrer generellen Unglaubwürdigkeit sowie mannigfaltiger Widersprüche und Ungereimtheiten im Grundsatz wie im Detail noch immer nicht in ihren Grundfesten erschüttert worden. Diese Aussage gilt jedoch ausschließlich für Polizei und Justiz und im großen und ganzen auch die Politik.

Diese Haltung, um nicht zu sagen Front des Schweigens oder vielmehr der Bereitschaft, auch das schier Unglaubliche als vermeintliche Wahrheit anzunehmen und zu akzeptieren, so es den eigenen Interessen zweckdienlich zu sein scheint, ist für all die Menschen, die diesen wie auf unsichtbaren Befehl hin vollzogenen Gleichschritt nicht mitzuvollziehen bereit sind, schier unerträglich. Es waren die Freunde Oury Jallohs, die nicht bereit waren, den über alle Maßen grauenhaften Tod ihres Vertrauten als einen katastrophalen Schicksalsschlag hinzunehmen. Mit dem unbeugsamen Willen, jedwegen Vertuschungs- und Verschleierungsmanövern so lange entgegenzutreten, bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden seien, treten sie nicht nur bei den alljährlichen Kundgebungen in Erscheinung, sondern sind ohne Unterlaß darum bemüht, die Mauern des Schweigens und Vergessens einzureißen.

Daß die bundesdeutsche Justiz die Aktenblätter noch immer nicht schließen konnte und seit einem Jahr dieser Fall vor dem Landgericht Magdeburg neu verhandelt wird, nachdem der Bundesgerichtshof einen der zunächst für die beiden angeklagten Polizeibeamten ergangenen Freisprüche aufgehoben hatte, wird nicht zuletzt auch dem Engagement der von Jallohs Freunden gegründeten Initiative [1] zugeschrieben. Begründet hatte der BGH diese Entscheidung im wesentlichen mit starken Zweifeln an der Schlußfolgerung des Dessauer Landgerichts, daß der Polizeibeamte, dem eine ungeachtet des Feueralarms zu zögerliche Haltung zum Vorwurf gemacht worden war, Oury Jalloh hätte retten können, wenn er sofort auf den Alarm reagiert hätte. Über die Einzelheiten dieses Falles, der wie nur wenige in der Lage ist, das Kernverhältnis zwischen Staatsgewalt und seinen Bürgern, in diesem Fall der (Dessauer) Polizei und einem jungen Schwarzafrikaner, auf den Punkt zu bringen, ist bereits sehr viel publiziert worden, so daß an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann, ein Informationsdefizit, das es nicht gibt, zu beheben [2].

Am vergangenen Wochenende kam es bei einer Kundgebung der Freunde und Mitstreiter der Jalloh-Initiative zu einem massiven Angriff seitens der Dessauer Polizei, die im Unterschied zu den Demonstrationen der vorangegangenen Jahre nun offensichtlich gewillt war, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern, daß Sprechchöre und Transparente, die den Vorwurf "Oury Jalloh - das war Mord" beinhalten, öffentlich gemacht werden können. Dem Anmelder der Demonstration, Mitbegründer der Initiative und engem Freund Jallohs, Mouctar Bah, hatten die Beamten zwei Tage zuvor in dessen "Telecafé" ihre Aufwartung gemacht. Die Parole "Ouri Jalloh - das war Mord" werde diesmal nicht toleriert, so die Ankündigung der Polizei gegenüber Bah. Für eine solche Verleumdung werde er verantwortlich gemacht, sobald Teilnehmer der Demonstration diese Parole öffentlich machen würden.

Eine solche Demonstration polizeilicher Stärke verfehlte allerdings ihre Drohwirkung, denn Mouctar Bah wie auch seine Mitstreiter ließen sich nicht einschüchtern. Als dann am Samstag die Polizei versuchte, die mitgeführten Transparente aus dem Demonstrationszug heraus zu entfernen, wurde ihr seitens der Demonstranten entgegengehalten, daß sie ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen würden und daß es Gerichtsurteile gäbe, die dies in diesem Fall bestätigten. Die Situation eskalierte. Mehrere Teilnehmer wurden, wie die Liga für Menschenrechte angab [3], gleich zu Beginn der Demonstration von der Polizei verletzt, unter ihnen auch Mouctar Bah. Im Anschluß an die Demonstration, die seitens ihrer Teilnehmer friedlich blieb, kam es abermals zu gewaltsamen Übergriffen. Polizeibeamte hatten die AktivistInnen, die nun dem Bahnhof zustrebten, um nach Berlin zurückzukehren, dort erwartet, um sie abermals körperlich zu attackieren und erkennungsdienstlich zu behandeln. Mouctar Bah wurde so schwer verletzt, daß er bewußtlos in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte.

"Egal wie hart uns die Polizei angreift und verletzt, wir werden den Kampf zur Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh niemals aufgeben", stellte Komi E., einer der Aktivisten, der ebenfalls verletzt wurde, hinterher klar [4]. Durch das Vorgehen der Dessauer Polizei, die sich gegenüber der Öffentlichkeit, die nun bundesweit von den Vorgängen Kenntnis nimmt, in einem für sie ungünstigen Licht präsentiert hat, ist nun aller Voraussicht nach genau das eingetreten, was die Vertreter der Staatsgewalt sicherlich mit allen Mitteln hatten verhindern wollen: Der "Fall" Oury Jalloh ist ins Gespräch gekommen. Meldungen über das gewaltsame Vorgehen der Polizei in Dessau ziehen Fragen nach dem zugrundeliegenden Konflikt unweigerlich nach sich.

Wie berichtet wurde, soll Mouctar Bah in dem Moment Pfefferspray in die Augen gesprüht bekommen haben und bewußtlos geschlagen sein worden, in dem er in seiner Aktentasche nach dem Aktenzeichen eines Beschlusses des Landgerichts suchte. Dabei könnte es sich um das Aktenzeichen 2 M 156/06 des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 31.03.2006 gehandelt haben [6], in dem eine polizeiliche Anordnung, derzufolge "schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden", verboten seien, "nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich" für rechtswidrig erklärt wurde, "weil sie so, wie sie formuliert ist, mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht vereinbar sein dürfte" [6]. Die rechtliche Lage stellt sich somit folgendermaßen dar: Wenn Polizeibeamte sich durch Äußerungen oder Parolen beleidigt oder verleumdet fühlen, müssen sie die etwaige Strafbarkeit dessen vor Gericht prüfen lassen, was nicht im vorherein, sondern nur dann erfolgen könne, wenn die Äußerung getätigt wurde.

Ein präventiv strafendes Vorgehen der Polizei, die bereits zwei Tage vor der Demonstration angekündigt hatte, die Parole "Ouri Jalloh - das war Mord" entgegen der bisherigen Praxis auch in und vor den Gerichtssälen, wo die Parole immer wieder gerufen wird, nicht länger tolerieren zu wollen, ist juristisch nicht gedeckt und bringt die Polizeiverantwortlichen in Schwierigkeiten. Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt, suchte die Wogen der öffentlichen Empörung zu glätten. Die Entscheidung, die Transparente gewaltsam entfernen zu lassen, sei "nicht professionell" erfolgt. Der verantwortliche Abteilungsleiter bei der Polizei wurde seines Postens enthoben. Er bedaure, daß Menschen verletzt wurden, so Stahlknecht [4]. Zur Sache selbst erklärte er, daß er die juristische Auffassung, die Aufschrift sei unzulässig, nicht teile, auch wenn er persönlich der Meinung sei, daß die Polizisten Sachsen-Anhalts keine Mörder seien [4], was allerdings, genaugenommen, auch nicht mit der so heftig umstrittenen Parole behauptet worden war. Sie besagt lediglich, daß der Tod Oury Jallohs als Mord angesehen wird und enthält keinerlei Aussagen dazu, wer der oder die Mörder seien...

Innenminister Stahlknecht hat desweiteren, wie der Presse zu entnehmen war, den Polizeipräsidenten "gebeten, drüber nachzudenken, die Strafanträge wegen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Verleumdung und übler Nachrede zurückzunehmen [4], was dieser auch getan habe. Stahlknecht rügte die Polizei des Landes, indem er anmerkte, daß die Beschlagnahmeaktion wenig hilfreich für die von ihm vorgegebene Linie der Deeskalation gewesen sei. Damit erweist sich der Innenminister als gewiefter Taktiker, auf dessen Intervention die Polizeiführung im eigenen Interesse reagiert haben dürfte.

Käme es zu einem Strafverfahren wegen übler Nachrede, Verleumdung oder Beleidigung eines Polizisten, der sich durch diese Parole in seinen Rechten verletzt sieht, würde es zu einem weiteren Strafverfahren kommen, in dessen Verlauf der Tod Oury Jallohs, der nach wie vor als tragisches Ergebnis unglückseliger, aber letztlich zufälliger und vor allen Dingen von sämtlichen Beteiligten ungewollter Verstrickungen und Mißlichkeiten behandelt wird, abermals zur Sprache gebracht werden müßte. Um dies zu verhindern, erscheint die ministerielle Deeskalationsstrategie allemal ein geeigneterer Weg zu sein als die "starken Argumente", sprich gewaltsamen Mittel der Polizei, die der Wut und Empörung, aber auch der Unbeugsamkeit der AktivistInnen nur noch weitere Nahrung geben.


Anmerkungen:

[1] Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. im New York im Bethanien-Südflügel,
Mariannenplatz 2a 10997, Berlin-Kreuzberg
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
e-mail: initiative-ouryjalloh@so36.net
Fon: +49-(0)176-38113135


[2] Zum Tod Oury Jallohs siehe im Schattenblick:

-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (04.04.2007):
DILJA/159: Feuertod in Polizeihaft - vor Gericht ein "Selbstmord" (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei159.html
-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (10.12.2008):
DILJA/182: Der Apparat funktioniert - Oury Jallohs Tod bleibt ungeklärt (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei182.html
-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (17.12.2009):
DILJA/208: Vertuschung 2.0 - Bundesgerichtshof befaßt sich mit dem Feuertod Oury Jallohs (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei208.html
-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (07.01.2010):
DILJA/210: Mordvorwurf bleibt tabu - BGH hebt Polizistenfreispruch im Fall Jalloh auf (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei210.html
-> INFOPOOL -> BUCH -> SACHBUCH (30.06.2010):
REZENSION/533: Narr u. Vogelskamp - Der Mord in Dessau im Schoß der Polizei mit gerichtlichen Nachspielen (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar533.html
-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (12.01.2011):
DILJA/234: Bundesdeutsche Justiz in der Klemme - Neuverhandlung im Fall Oury Jalloh (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei234.html
-> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (24.01.2011):
DILJA/235: Wie starb Oury Jalloh? Neuverhandlung in Magdeburg ohne Aufklärungsabsicht (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei235.html

[3] Protest. Liga für Menschenrechte. Polizeiliche Gewalt in Dessau. Von Fanny-Michaela Reisin und Dirk Vogelskamp.
http://www.ngo-online.de/2012/01/8/gewalt-in-dessau/

[4] Ouri Jalloh: Das war Mord?! Innenminister Stahlknecht kritisiert deutlich eigene Polizeidirektion. Von Jan Braune, Magdeburger Nachrichten, 10. Januar 2012,
www.magdeburger-nachrichten.de/.../jalloh-mord-kritik-stahlknecht/

[5] Polizeiexzeß in Dessau. Von Gitta Düperthal, junge Welt, 09.01.2012, S. 1,
http://www.jungewelt.de/2012/01-09/055.php

[6] Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt. Beschluss verkündet am 31.03.2006,
http://www.judicialis.de/Oberverwaltungsgericht-Sachsen-Anhalt_2-M-156-06_Beschluss_31.03.2006.html


11. Januar 2012