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DILJA/239: Papstbesuch in Deutschland - Erlaubnis für Proteste ein hoheitlicher Gnadenakt (SB)


Anti-Papst-Proteste ohne Erlaubnis


Ein Karikaturist hätte wohl kaum trefflicher in Szene setzen können, was derzeit in der Bundesrepublik Deutschland in Erwartung des für den 22. bis 25. September anberaumten Papstbesuches geschieht. Das aus Deutschland stammende Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., wird in Berlin, Erfurt und Freiburg erwartet; ihm wird zudem die Gelegenheit eingeräumt, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen. Für viele Bürger und Bürgerinnen ist dies Grund und Anlaß genug, ihren Protest gegen die Politik der katholischen Kirche bzw. die Person ihres höchsten Würdenträgers auf die Straßen zu tragen und in vielfältigster Form öffentlich zu machen. So wurden in vielen Städten der Republik Protestkundgebungen, Demonstrationen oder sonstige Aktionen angemeldet. Genauer gesagt wurde vielerorts der Versuch unternommen, den sattsam bekannten gesetzlichen Auflagen, denen zufolge unter freiem Himmel politische Versammlungen nur durchgeführt werden dürfen, wenn sie mindestens 48 Stunden zuvor bei den zuständigen Behörden angemeldet wurden, Genüge zu tun.

Allem Anschein nach scheinen sich die jeweils zuständigen Stellen in den verschiedenen Bundesländern darauf verständigt zu haben, jedwede Anti-Papst-Aktivität zu unterbinden. Möglicherweise folgen sie aber auch ein- und demselben Impuls, ihre Befugnisse, die Inanspruchnahme der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit einzuschränken oder gar gänzlich zu unterbinden, zum Einsatz zu bringen, um während der Papst-Visite ein gegenüber dem obersten katholischen Kirchenführer kritisches Bild in der Öffentlichkeit zu verhindern. Wie sähe es denn aus, würden in bundesdeutschen Straßen oder gar direkt vor dem Bundestag, wie von den AktivistInnen beabsichtigt und geplant, Transparente entrollt und Parolen gerufen werden, die mit dem aus Sicht staatlicher Obrigkeit nicht minder hohen Stand des hohen Besuchs gänzlich unvereinbar sind?

Schon bevor Benedikt XVI. heimatlichen Boden betreten hat, trägt er zur Aufklärung über die innenpolitischen Verhältnisse tatkräftig bei, offenbart sich doch im Zuge der Besuchsankündigung und versuchten Protestanmeldung ein Staatswesen, das politische Demonstrationen und Aktionen im Rahmen öffentlicher Versammlungen zu einer Betätigung gemacht hat, die der staatlichen Erlaubnis bedarf. Die Versammlungsfreiheit, derzufolge alle Deutschen das Recht hätten, sich "ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln" wurde in Art. 8 Abs 1. ins Grundgesetz hineingeschrieben, nur um im zweiten Absatz mit einem Gesetzesvorbehalt, demzufolge dieses Recht eben auch beschränkt werden könne, versehen zu werden. Wird eine politische Betätigung zu einem Grundrecht erklärt, angeblich zu dem Zweck, sie in diesem besonders geschützten Grundgesetzbereich vor staatlichen Übergriffen in besonderer Weise zu schützen, stellt dies einen Widerspruch in sich dar, da ein Recht, das seitens der Obrigkeit gewährt wird, genausogut auch wieder verwehrt werden kann.

Eben dies scheint sich in Hinsicht auf die vielfältigen Proteste gegen den bevorstehenden Papstbesuch abzuzeichnen. Noch konnte sich keine der zuständigen Ordnungsbehörden dazu durchringen, die angemeldeten Versammlungen auch zu genehmigen. In Berlin, wo eine "Karawane gegen den Papst" geplant ist um im Stile einer Christopher-Street-Day-Parade gegen die sexualfeindliche Haltung der katholischen Kirche während der Benedikt-Visite zu protestieren, wurde die ablehnende Haltung seitens der Behörden mit Sicherheitsbedenken begründet. Dies allerdings ist ein Totschlagargument gegen jegliche Demonstrationskultur, weil Sicherheitsbedenken immer und überall geltend gemacht werden können. Zwar sagt das Versammlungsgesetz, daß öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden können, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet sei - doch in wessen Ermessen, Deutungshoheit und Entscheidungsbefugnis liegt die Beantwortung dieser Frage?

In demselben Maße, wie die angeblich grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit genau durch diesen Schritt in ihr Gegenteil verkehrt wurde dadurch, daß ihre Inanspruchnahme generell der Legitimation durch staatliche Organe bedarf, liegt auch die Entscheidung über die Frage nach dem zu vermutenden Gefährdungspotential bei den Trägern des staatlichen Gewaltmonopols, seien es nun die zuständigen Stellen der Exekutive oder, sollten die verhinderten Anmelder den Rechtsweg beschreiten, die dann angerufenen Verwaltungsgerichte bzw. der gesamte Instanzenweg bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Daß die vertikal wie horizontal auf verschiedenen Ebenen organisierten Träger des Gewaltmonopols gegenüber den Bürgern nicht als der monolithische Block eherner Verfechter einer Staatsräson, der alle übrigen Interessen nachgeordnet werden, in Erscheinung treten, ist unabdingbar, um die Verschleierung der tatsächlichen, Demokratie genannten Verhältnisse aufrechtzuerhalten.

Namentlich das Bundesverfassungsgericht nimmt dabei die Rolle des letztinstanzlichen Hüters grundgesetzlich gewährter Rechte ein zu dem Zweck, die Bereitschaft der an der Inanspruchnahme dieser Rechte gehinderten Bevölkerung, sich mit diesem trügerischen Spiel abzufinden und stillzuhalten, zu gewährleisten und allen Negativerfahrungen zum Trotz durch das schlichte Prinzip Hoffnung aufrechtzuerhalten. Die Perspektive, am Ende eines langen Instanzenwegs, genauer gesagt vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe, doch noch "Recht" zu bekommen, gehört zu den Treibmitteln, die eine Demokratie vom Schlage der Bundesrepublik Deutschland am Laufen halten.

So hatte das Bundesverfassungsgericht, um nur ein Beispiel zu nennen, in einer am 30. März dieses Jahres ergangenen Entscheidung, wie der Presse zu entnehmen war, das Demonstrationsrecht gestärkt. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit könne, so befand Karlsruhe, nachdem mehr als sieben Jahre seit dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Vorfall vergangen waren, auch Sitzblockaden einschließen. Ein Frankfurter, der wegen einer Sitzblockade im März 2004 vor der Zufahrt zu einem US-Stützpunkt aus Protest gegen den damaligen Irakkrieg teilgenommen und deshalb wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, hatte vor dem Bundesverfassungsgericht "Recht" bekommen durch dessen Entscheidung, daß diese Verurteilung das Grundrecht des Angeklagten auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG verletzt habe.

Sollte die "Karawane gegen den Papst" ohne behördliche Erlaubnis durch Berlin rollen oder auch in anderen Städten Protestaktionen ungeachtet ihrer fehlenden behördlichen Legitimierung durchgeführt werden, müssen die Beteiligten mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen nicht etwa, weil sie eine konkrete Straftat wie beispielsweise eine Handlung, die als Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Landfriedensbruch zu den klassischen Demonstrationsdelikten gehört, begangen hätten, sondern weil die bloße Durchführung einer politischen Demonstration durch die Weigerung der Behörden, ihre Anmeldung zu akzeptieren, zur Kriminalisierung aller Beteiligten führen kann, die, so sie sich dagegen zur Wehr setzen wollen und im unerschütterten Glauben an rechtsstaatliche Versprechen den Rechtsweg "bis nach Karlsruhe" beschreiten, durchaus die Aussicht haben, nach vielen Jahren schwarz auf weiß bescheinigt zu bekommen, daß ihre Versammlungsfreiheit an diesem oder jenem Tage von dieser oder jener Behörde verletzt worden sei.

31. August 2011