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DILJA/226: Höchstes UN-Gericht rechtfertigt Abspaltung der serbischen Provinz Kososo (SB)


Gefälligkeitsgutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Frage der Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo

Die mit militärischen Mitteln und unter Bruch internationalen Rechts vollzogene Abspaltung wird vom höchsten UN-Gericht gutgeheißen


Der Internationale Gerichtshof (IGH) mit Sitz in Den Haag ist die höchste rechtliche UN-Instanz, genauer gesagt das "richterliche Hauptorgan" der Vereinten Nationen, wie es in Art. 92 der UN-Charta heißt. Vor ihm können alle UN-Mitglieder oder auch weitere Staaten, die sich seinem Statut unterworfen haben, klagen oder verklagt werden. Von dieser Option machte die Republik Serbien, Rechtsnachfolgerin der Bundesrepublik Jugoslawien, Gebrauch, um zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung der serbischen Provinz Kosovo die Rechtmäßigkeit dieser Sezession von diesem Gericht prüfen zu lassen. Der Gerichtshof besteht aus 15 Richtern, die durch die UN-Vollversammlung bzw. den Weltsicherheitsrat bestimmt werden, was zur Folge hat, daß in diesem Gremium Juristen dominieren, die aus NATO-Staaten stammen, die 1999 den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die inzwischen nicht mehr existierende Bundesrepublik Jugoslawien geführt haben.

Diese Vorbemerkung ist wesentlich, um das an diesem Donnerstag durch den Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs, Hisashi Owada, bekanntgegebene Rechtsgutachten dieses "Weltgerichts" zur Abspaltung des Kosovo von Serbien in seiner politischen Zweckgebundenheit einschätzen zu können. Mit der Erstellung eines solchen, nicht bindenden und doch politisch höchst wirksamen Gutachtens war das Gericht auf Antrag Serbiens von der UN-Vollversammlung beauftragt worden. Das Ergebnis ist verheerend nicht nur in Hinsicht auf das nur zu begründete und berechtigte Anliegen Serbiens, auf diesem Weg eine Neuverhandlung über den Status der Provinz Kosovo zu erwirken, sondern für die Gesamtheit der 192 UN-Staaten, weil mit diesem Schritt das bisherige Völkerrecht - ohnehin schon stark strapaziert und seines Kerninhalts, den internationalen Frieden durch die strikte Einhaltung der Prinzipien der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates sowie der Wahrung der territorialen Integrität, zu sichern, bereits verlustig gegangen - damit endgültig zur Makulatur erklärt wurde.

Die mit 10 zu 4 Stimmen ergangene Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs lautet, daß die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 nicht gegen das Völkerrecht verstoße und internationalem Recht, das, so Owada zur Begründung, kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen kenne, entspreche. Mit dieser Bewertung unterschlägt der Gerichtshof die bisherige in der UN-Charta vorgenommene Regelung, derzufolge die Abspaltung eines territorialen Gebietes nur im Einverständnis beider beteiligten Seiten möglich ist. Dies ist dem hohen Stellenwert geschuldet, den die nach dem Zweiten Weltkrieg begründete internationale Ordnung der Wahrung des Status quo einzuräumen suchte durch die Prinzipien der unter allen Umständen zu respektierenden nationalen Souveränität der UN-Mitgliedstaaten, die, um bewaffnete Konflikte und Kriege zu vermeiden, vor Angriffen auf ihre Grenzen geschützt sein sollten.

Eben dies hat die Republik Serbien geltend zu machen versucht, war und ist sie doch überhaupt nicht einverstanden mit der Abspaltung und Unabhängigkeitserklärung ihrer Provinz Kosovo, die immerhin 15 Prozent ihres Territoriums und noch dazu das historische Stammland Serbiens ausmacht. Formal gesehen mag es zutreffend sein, daß Unabhängigkeitserklärungen in der UN-Charta nicht (generell) verboten sind. Gleichwohl offenbart diese Formulierung des IGH-Vorsitzenden das Bestreben dieses Gerichtshofs, einer mit militärischen Mitteln, sprich durch den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 sowie die anschließende Besetzung des noch dazu unter UN-Verwaltung gestellten Kosovo durch die NATO-Truppen der sogenannten internationalen Kosovo-Schutztruppe (KFOR), durchgesetzten Abspaltung ungeachtet massivster Rechtsbrüche nachträglich eine juristische Unbedenklichkeitserklärung auszustellen.

Namhafte Völker- und Verfassungsrechtler haben zu den in diesem Gutachten behandelten Fragen schon mit diametral entgegengesetzten Ergebnissen Stellung genommen. So hatte der damalige außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, der Hamburger Rechtsprofessor Norman Paech, unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo diese für völkerrechtswidrig erklärt und dazu ausgeführt, daß das Völkerrecht kein "allgemeines Recht auf Sezession" kenne und Minderheiten wie den Albanern in Serbien keineswegs das Recht auf einseitige Abspaltung gebe [1]. Letzteres erklärt, warum auch zwei Jahre nach erfolgter, aber höchst umstrittener "Unabhängigkeitserklärung" diese noch immer nicht von einer klaren Mehrheit der UN-Staatengemeinschaft anerkannt wurde. Im Februar 2008 fanden sich nur 43 der 192 UN-Mitgliedstaaten bereit, in diesem bis dahin völlig einmaligen Fall einer Sezession die Anerkennung zu gewähren, die der vermeintliche Staat Kosovo benötigt, um seinerseits in die Vereinten Nationen aufgenommen werden zu können.

Zu den Sofort-Anerkennern gehörten selbstverständlich die NATO-Staaten, die auf die Abspaltung der Provinz aktiv hingearbeitet haben und ohne deren Mitwirken dieser Schritt nie und nimmer von den insofern instrumentalisierten Kosovo-Albanern hätte vollzogen werden können. Deutschland und die USA gehörten selbstverständlich dazu sowie eine Mehrheit der EU-Staaten, aber auch Kanada, Japan, die Türkei und Saudi-Arabien. Doch auch zwei Jahre später beträgt die Zahl der diese Sezession als Staatsgründung anerkennenden Staaten noch immer nur 69, und selbst nach dem gutachterlichen Urteil des höchsten UN-Gerichtshofes bleiben die maßgeblichen Gegner bei ihrem Nein. "Wir werden niemals die Unabhängigkeit des Kosovos anerkennen", erklärte der serbische Außenminister Vuk Jeremic im Belgrader Fernsehen [2]. Doch nicht nur die Republik Serbien, auch deren traditionelle Schutzmacht Rußland äußerte Kritik an diesem als "juristisch nicht sauber und rein politisch" [2] bewerteten Richterspruch.

"Juristisch nicht sauber" ist noch eine sehr dezente Umschreibung für das, was hier von höchstrichterlicher Seite aus vollzogen wurde. An der juristischen Einschätzung der dem Gutachten zugrundeliegenden Fragen hat sich in den vergangenen beiden Jahren nichts wesentliches geändert, weshalb die damalige Stellungnahme der Deutschen Sektion der "International Association of Lawyers Against Nuclear Arms" (IALANA) heute noch weitaus mehr Plausibilität und völkerrechtliche Relevanz aufweist als die gutachterliche Entscheidung eines Gremiums, dessen fachliche Reputation durch den sich aufdrängenden Eindruck, eine Auftrags- oder Gefälligkeitsarbeit abgegeben zu haben, massiv beeinträchtigt ist. Unter dem Titel "Kosovo: Mißachtung des Völkerrechts" hatte die deutsche Sektion der IALANA am 19.6.2008 eine Presseerklärung veröffentlicht, in der unter anderem folgende Überlegungen angestellt worden waren [3]:

Die kosovarische Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 ist unvereinbar mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1244/99 vom 10. Juni 1999, der UN-Charta und dem Völkergewohnheitsrecht. Die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo durch die Erklärungen der deutschen Bundesregierung und weiterer Regierungen anderer Staaten verstößt gegen die UN-Sicherheitsratsresolution 1244/99 und gegen das völkerrechtliche zwischenstaatliche Interventionsverbot. Nach der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung ist die Rechtsgrundlage für das aktuelle völkerrechtliche Mandat der Bundeswehr im Rahmen von KFOR im Kosovo und auch für die künftige Bundeswehrentsendung in den Kosovo im Rahmen der EU völkerrechtlich und verfassungsrechtlich sehr zweifelhaft geworden. Dieses hat deutliche Auswirkungen auf die Stationierung deutscher Truppen: Völkerrechtliche Grundlage für die Stationierung von militärischen Verbänden der Bundeswehr im Kosovo war bisher die UN-Sicherheitsratsresolution 1244/99 vom 10. Juni 1999. Davon ging zu Recht zuletzt auch der konstitutive Beschluß des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 2007 zur Entsendung der Bundeswehr als Teil der KFOR in den Kosovo aus.

Die hier angesprochene UN-Resolution 1244/99 ist wesentlich für das Verständnis und die Bewertung der gesamten Fragestellung, wurde in ihr doch explizit eine Garantie bezüglich des Kosovo ausgesprochen, um unter der unmittelbaren Wirkung eines 78tägigen Luftkrieges der NATO-Staaten gegen Jugoslawien bzw. Serbien und die serbische Armee den damaligen Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, zur Aufgabe zu zwingen bzw. ihn unter der kaum verhohlenen Drohung, andernfalls den Luftkrieg in einen Bodenkrieg überzuführen, dem noch weitaus mehr Menschen zum Opfer fallen würden, zu den verlangten Zugeständnissen zu nötigen. Es darf angenommen werden, daß Milosevics Einlenken ohne den Wortlaut der das Kriegsende besiegelnden Resolution 1244/99 nicht auf diese Weise zu erwirken gewesen wäre, weshalb aus jugoslawischer bzw. serbischer Sicht die darin gegebene Bestandsgarantie so wichtig und unverzichtbar war.

Doch die Binsenweisheit, daß Verträge nur gemacht werden, damit sie vom Stärkeren gebrochen werden können, sollte sich auch in diesem Fall bewahrheiten. Der Begriff "Unabhängigkeit" kam in dieser Resolution hinsichtlich der serbischen Provinz Kosovo überhaupt nicht vor. In seiner Präambel wurde explizit die "territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien" festgelegt bzw. bestätigt und in Artikel 10 wurde der UN-Generalsekretär ermächtigt, eine "zivile Präsenz" einzurichten, "unter der die Bevölkerung des Kosovo substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen kann" [4]. Dem Kerninhalt dieser Resolution entsprechend zeigte sich die serbische Seite bereit, mit den Kosovo-Albanern über eine weitgehende Autonomie innerhalb der bestehenden serbischen Provinz zu verhandeln. Doch dazu sollte es niemals kommen, was an der Weigerung der Kosovo-Albaner, aber mehr noch an dem Wirken der NATO-Staaten gelegen haben dürfte, die dem Wortlaut der UN-Resolution entgegengesetzt keineswegs beabsichtigten, die territoriale Integrität des zum Zeitpunkt des Kriegsendes bereits durch frühere Sezessionen verkleinerten Gebiets Rest-Jugoslawiens und damit auch Serbiens zu respektieren.

Wohlwissend, daß eine weitere, die Sezession gutheißende Resolution im Weltsicherheit am Veto Rußlands, aber auch Chinas scheitern würde, verlegten sich die westlichen Strategen auf eine Uminterpretation, um nicht zu sagen völlige inhaltliche Verkehrung der Resolution 1244/99. Im April 2007 hatte sich der russische UN-Botschafter Vitaly I. Churkin über das Vorgehen der auf der Basis dieser Resolution im Kosovo implantierten UN-Verwaltung und ihren Chef, den deutschen Diplomaten Joachim Rücker beschwert, weil dieser "Unabhängigkeit gepredigt [habe], statt die Implementierung der Resolution 1244 zu diskutieren" [5]. Der finnische UN-Vermittler Martti Ahtisaari propagierte zu dieser Zeit bereits die Idee einer "überwachten Unabhängigkeit" [5] des Kosovo und damit einen völligen Widersinn und logischen Bruch, weil die Unabhängigkeit einer Entität mit der (militärischen und administrativen) Überwachung durch ausländische Kräfte einfach nicht zu vereinbaren ist.

Doch dieser Widersinn hat Zweck und Systematik, war er doch genau auf Resolution 1244/99 zugeschnitten, die die Okkupation des Kosovo durch KFOR-Truppen sowie dessen Verwaltung durch die UN-Verwaltung (UNMIK) ermöglichte. Da es den NATO-Staaten zu keinem Zeitpunkt um die Autonomie bzw. Eigenstaatlichkeit der Kosovo-Albaner gegangen war, sondern dieser vermeintlich ethnisch zu begründende Konflikt lediglich geschürt und instrumentalisiert worden war, um den sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien zerschlagen zu können, sollten auch die Albaner nicht die faktische Unabhängigkeit bekommen. Tatsächlich sind auch nach der "Unabhängigkeitserklärung" vom Februar 2008 dieselben westlichen Soldaten in der Provinz stationiert wie zuvor. Hinzu gekommen sind nun sogar noch Polizei- und Justizkräfte der Europäischen Union, die in dem angeblich jüngsten Staat Europas und faktischen EU- bzw. NATO-Protektorat mit der Kommission EULEX präsent sind, obwohl es dafür nicht die allergeringste Legitimation in Resolution 1244 gibt.

Es versteht sich von selbst, daß nach der jetzigen, die völkerrechtswidrige Abspaltung der Provinz Kosovo gutheißenden Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs sich all jene Staaten hochzufrieden zeigen, die mit diesem Schritt den letzten juristischen Schliff an einer langfristig angelegten Destabilisierungs- und Destruktrionsstrategie feiern, die in der europäischen Nachkriegsgeschichte bislang einmalig ist und dies vermutlich auch bleiben wird, da es, vom früheren Jugoslawien einmal abgesehen, keinen Staat gibt, den zu zerstören zur Erhaltung des vorherrschenden Status quo sich lohnen würde. Und so ist auch unschwer vorherzusagen, daß der an dieser Stelle vollzogene Bruch mit der im übrigen von allen Staaten gemeinsam bezogenen Position, Autonomie- und Sezessionsbestrebungen unter keinen Umständen zum Erfolg kommen zu lassen, die aus spezifischen Gründen von den dominierenden Kräften innerhalb der sogenannten internationalen Gemeinschaft zugelassene und die eiserne Regel bestätigende Ausnahme bleiben wird.


Anmerkungen

[1] Kosovos Unabhängigkeitserklärung völkerrechtswidrig. Erklärung von Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, zur Sezession des Kosovo, junge Welt, 19.02.2008, S. 8

[2] Gerichtshof bestätigt Unabhängigkeit Kosovos, stern.de, 22.07.2010,
http://www.stern.de/politik/ausland/gerichtshof-bestaetigt-unabhaengigkeit-kosovos-1585968.html

[3] Mißachtung des Völkerrechts. Pressemitteilung der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (Deutsche Sektion) IALANA vom 19.06.2008, veröffentlicht in junge Welt, 20.06.2008, S. 8

[4] Unabhängigkeitserklärung des Kosovo destabilisiert Europa, Von Chris Marsden, WSWS/DE, 19.02.2008, aus dem Englischen (18.02.2008)

[5] Mission impossible, Eine Lösung des Kosovo-Konflikts ist auch nach der Sitzung des UN-Sicherheitsrates nicht in Sicht, von Boris Kanzleiter, telepolis, 06.04.2007

23. Juli 2010