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DILJA/205: Wie der Berliner Staatsschutz Haftbefehle und Strafverfahren produziert (SB)


Berliner Strafjustiz sucht Exempel zu statuieren

Zwei junge Linksaktivisten nach mehrmonatiger Untersuchungshaft nach entlastenden Aussagen der Hauptbelastungszeugen entlassen


Was macht eine Brandstiftung an einem Kraftfahrzeug zu einer politischen Straftat, die bei Polizei und Staatsanwaltschaft in die Zuständigkeit des Staatsschutzes fällt? Kann überhaupt durch das bloße Inbrandsetzen eines parkenden Fahrzeugs in zumeist menschenleerer Umgebung, so sie verübt wird, ohne Menschen zu gefährden, die gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Bestand gefährdet werden? Fragen dieser Art werfen zwei Strafverfahren auf, die derzeit in Berlin verhandelt werden und die eine erstaunliche Synchronizität hinsichtlich ihres bisherigen Verlaufs sowie ihres zu vermutenden Abschlusses aufweisen. In dem einen Verfahren, über das an dieser Stelle im Schattenblick bereits berichtet wurde [1], wird vor dem Amtsgericht Tiergarten seit dem 29. September gegen die 21jährige Alexandra R. wegen versuchter Brandstiftung an einem Pkw verhandelt; während dem 23jährigen Christoph T. seit dem 20. Oktober vor dem Landgericht Berlin der Prozeß gemacht wird, weil er ein Kraftfahrzeug angezündet haben soll.

T.'s Verteidigung hatte die eingangs angesprochenen Fragen am ersten Prozeßtag thematisiert und, bezugnehmend auf Angaben des Berliner Innensenators Körting, denen zufolge es im Berliner Raum in diesem Jahr bereits über 200 Kfz-Brandstiftungen gegeben habe, von denen allerdings nur 99 als "politisch" eingestuft worden waren, eine Polizeizeugin dahingehend zu befragen gesucht. Die 50jährige LKA-Beamtin K., die seit 18 Jahren beim Staatsschutz als Brandermittlerin für politisch motivierte Brand- und Sprengstoffanschläge tätig ist, gab auf Befragen an, daß ihre Abteilung seit etwa einem Jahr sämtliche Kfz-Brandstiftungen bearbeite und die Entscheidung darüber träfe, ob eine politische Motivation vorläge oder nicht. Um eine solche Einstufung vornehmen zu können, werden, so die Zeugin, die Marken und Firmen der geschädigten Fahrzeuge ebenso berücksichtigt wie Informationen über deren Eigentümer.

Desweiteren erklärte die Beamtin auf die Frage, ob in bestimmten Gebieten die Wahrscheinlichkeit politisch motivierter Brandstiftungen als besonders hoch angesehen werde und ob die Ermittlungsbeamten von bestimmten Tätergruppen und -profilen ausgingen, daß "linksgerichtete" Personen vermutet werden, die insbesondere in den Stadtteilen Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain zuschlügen. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, wie leicht Personen, auf die dieses Täterprofil zuzutreffen scheint, in die Fänge einer Strafjustiz geraten können, auf die der politische Staatsschutz einen seine rechtlichen Befugnisse womöglich weit überschreitenden Einfluß nimmt, um angesichts der hohen Zahl unaufgeklärter Kfz-Brandstiftungen Ermittlungserfolge und, besser noch, rechtskräftige Aburteilungen vorweisen zu können.

Dazu ist es bislang allerdings in den seltensten Fällen, wenn überhaupt, gekommen. In dem Verfahren gegen Alexandra R. wurde der 37jährige Kriminaloberkommissar M. vernommen, der nach ihrer Freilassung am 18. Mai 2009 die Leitung der Ermittlungen übernommen hatte und beim LKA 533 für politisch motivierte Straftaten und insbesondere auch Kfz-Brandstiftungen zuständig ist. In seiner Zeugenvernehmung gab M. an, daß es in den rund 20 Ermittlungen, die er wegen Autobrandstiftungen geführt habe, weder zu einer Festnahme noch zu einer Verurteilung gekommen sei. In Ermangelung konkreter Spuren oder Verdächtiger ist es vorstellbar, daß der Staatsschutz jeden Strohhalm erfaßt, um der Öffentlichkeit einen mutmaßlichen Täter präsentieren und zu einer Verurteilung kommen zu können.

Dies könnte sowohl bei Alexandra R. als auch bei Christoph T. geschehen sein. R. war am 18. Mai festgenommen, jedoch am darauffolgenden Tag aus dem Polizeigewahrsam wieder entlassen worden, weil kein dringender (und für einen Haftbefehl unerläßlicher) Tatverdacht vorlag. Ihr war vorgeworfen worden, in der Friedrichshainer Liebigstraße drei brennende Grillanzünder auf den Reifen eines Geländewagens gelegt zu haben. Am 29. September, dem ersten Verhandlungstag, mußte eine Polizeizeugin, die Polizeiobermeisterin L., die R. mit einem Kollegen seinerzeit verhaftet hatte, jedoch einräumen, daß die Angeklagte bei der ihr zur Last gelegten Tat keineswegs beobachtet worden war. Wie hatte es dann jedoch zwei Tage, nachdem sie wieder freigelassen worden war, doch zu ihrer Verhaftung kommen können und dazu, daß die 21jährige bis zum 23. Oktober 156 Tage in Untersuchungshaft verbringen mußte?

Das LKA hatte sich eingeschaltet und die beteiligten Polizeibeamten noch einmal nachvernommen, um noch "offene Fragen zu klären". Bei Alexandra R. wurde eine Wohnungsdurchsuchung durchgeführt, bei der neben Grillanzündern Zeitungsartikel und Flyer sichergestellt wurden, die, wie der Ermittlungsführer M. später vor Gericht aussagte, die Angeklagte "eindeutig als Linke kennzeichneten". Eine solche Aussage kommt einem eigentlich erstaunlichen Eingeständnis einer politisch begründeten Strafverfolgung gleich, weil sie erkennen läßt, daß die zuständigen Staatsschutzbeamten in von ihnen als "Linke" identifizierten Menschen auch schnell Brandstifter vermuten. Der Tatnachweis wird der politischen Einschätzung nachgeordnet und soll, so erst einmal eine Verdächtige wie R. zur Hand ist, die das Täterprofil zu erfüllen scheint, auf Biegen und Brechen erzeugt werden.

Dabei allerdings sehen sich die staatsschützenden Ermittler vor immense, schier unlösbare Probleme gestellt, weil sie mit Gutachten und Angaben beteiligter Polizeibeamter konfrontiert sind, die der von ihnen verfolgten Strategie entgegenstehen. So stellte sich bei der kriminaltechnischen Untersuchung heraus, daß die in ihrer Wohnung sichergestellten Grillanzünder keineswegs identisch mit jenen gewesen waren, die an dem Fahrzeug vorgefunden worden waren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte dieser Fund die ihr zur Last gelegte Täterschaft nicht bewiesen. Auch über die Sprühköpfe in ihrer Hosentasche konnte die Kriminaltechnik keinen Zusammenhang zu den am Tatort aufgefundenen Spraydosen herstellen. Im Fall Alexandra R. hat eine Brandstiftung zudem genaugenommen gar nicht stattgefunden. Die Beamten, die die 21jährige später in einem Einkaufsgeschäft ("Spätkauf") festnahmen, hatten das Feuer gelöscht, bevor ein Schaden an den Fahrzeug entstanden war, wie dessen Eigentümerin in ihrer Zeugenaussage vor Gericht trotz mehrmaligen Nachfragen der Staatsanwältin erklärte.

Der 27jährige Polizeikommissar S., der R. mit einer Kollegin am 18. Mai festgenommen hatte, hatte in seiner ersten Vernehmung erklärt, in der Verdächtigen lediglich aufgrund ihrer Statur und ihrer dunklen Kleidung die Person wiedererkannt zu haben, die er zuvor im Umfeld des Tatort gesehen habe. Für einen Haftbefehl hatte diese, kaum als vage zu bezeichnende Identifizierung nicht ausgereicht. Am 19. Mai jedoch, unter der Regie des LKA, gab derselbe Polizeibeamte dann zu Protokoll, er habe R.‹s Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde am Tatort gesehen. Dies stellte dann die Grundlage für den Haftbefehl dar, der im übrigen ausgestellt wurde, noch bevor die Wohnungsdurchsuchung bei R. durchgeführt worden war. Rückstände von Brandbeschleunigern, die den gegen R. erhobenen Verdacht hätten erhärten können, konnten weder an ihren Händen noch an ihrer Kleidung sichergestellt werden. Vor Gericht verhedderte sich der Polizeizeuge, der durch seine belastenden Angaben den Haftbefehl ermöglicht hatte, in zahlreiche Widersprüche, so daß am dritten Prozeßtag, dem 23. Oktober 2009, wohl niemand im Gerichtssaal mehr wußte, worauf die Anklage eigentlich ihren Tatvorwurf noch stützen wollte.

Somit beantragte die Verteidigung an diesem Tag, einem Freitag, die Aufhebung des Haftbefehls und die sofortige Freilassung ihrer Mandantin. Hier geschah nun folgendes: Das Gericht sah sich zu einer Entscheidung dieses Antrages nicht in der Lage und schloß die Hauptverhandlung mit der Ankündigung, über die Freilassung "spätestens" am darauffolgenden Montag zu entscheiden. Eine mehrtägige Beratungszeit für einen juristisch recht überschaubaren Sachverhalt? Plausibler wäre demgegenüber wohl die ebenso schwer zu bestätigende wie zu widerlegende Annahme, der Vorsitzende Richter habe vor einer solchen Entscheidung mit einer dritten Stelle, von der er nicht wußte, ob er sie vor dem Wochenende noch erreichen würde, Rücksprache halten wollen. Tatsächlich wurde Alexandra R. nach am Abend desselben Tages aus der Justizvollzugsanstalt Pankow entlassen. Demnach hätte das Gericht - was in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland, in dem das Postulat der Unabhängigkeit der Gerichte zu den Grundfesten der verfassungsmäßigen Ordnung gehört, selbstverständlich unter keinen Umständen sein darf - das Okay von wem auch immer bekommen.

Das Strafverfahren gegen Alexandra R. ist damit allerdings noch nicht beendet, wiewohl diese nach dem Ende der Beweisaufnahme gefällte Entscheidung einen Freispruch vermuten läßt, mit dem am nächsten Verhandlungstag, dem 3. November, insofern zu rechnen ist. Alles andere als ein Freispruch käme dem offenen Eingeständnis einer ausschließlich politisch begründeten Strafverfolgung gleich. Gegen Alexandra R. könnte vorgebracht werden, daß sie eine linke Aktivistin ist, nicht jedoch, daß sie die ihr zur Last gelegte, versuchte Brandstiftung tatsächlich begangen hat. Wenn Strafurteile völlig losgelöst von der materiell-rechtlichen Basis verhängt werden, wäre der Vorwurf der Gesinnungsjustiz nicht einmal mehr annäherungsweise zu entkräften. Da der Berliner wie auch insgesamt der bundesdeutschen Justiz nicht daran gelegen sein kann, auf solch krasse Weise als politisches Repressionsinstrument identifiziert zu werden, scheinen sich die Verantwortlichen beim Staatsschutz darauf versteift zu haben, das juristische Mittel der U-Haft exzessiv und zum Ersatz der Strafhaft anzuwenden.

Dies würde erklären, warum Alexandra R. kein Einzelfall geblieben ist und warum sich in dem Vorgehen der Berliner Ermittlungsbehörden gegen Christoph T. ein nahezu identisches Muster abzeichnet. T. war am 17. Juni zusammen mit einem weiteren Beschuldigten, Tim H., festgenommen worden unter dem Verdacht, in der Pettenkofer Straße in Berlin-Friedrichshain ein Fahrzeug in Brand gesetzt zu haben. T. wurde wie R. am selben Tag wieder freigelassen, weil auch bei ihm kein dringender Tatverdacht festzustellen war. Die zuständige Staatsanwaltschaft ging in seinem Fall gleich mehrmals in Berufung, um einen Haftbefehl durchzusetzen, was ihr schließlich gelang. Am 13. Juli erließ das Kammergericht Berlin einen Haftbefehl, der zwei Tage später vollstreckt wurde und den 23jährigen in die Justizvollzugsanstalt Moabit brachte.

Dort mußte er 97 Tage zubringen, bis am ersten Verhandlungstag in dem am 20. Oktober gegen ihn vor dem Landgericht Berlin eröffneten Prozeß sogleich die Aufhebung des Haftbefehls beschlossen wurde bzw. werden mußte. Was war geschehen? Einen konkreten Tatbeweis sucht man auch im Fall Christoph T. vergeblich. Vor Gericht wurden in der sogenannten Beweisaufnahme stattdessen zunächst die Protokolle über die Wohnungsdurchsuchungen verlesen, die nach der Festnahme von Christoph T. und Tim H. bei diesen durchgeführt worden waren. Sie hatten nichts Erhellendes zu Tage befördert, was die ihnen zur Last gelegte Brandstiftung betraf, wohl aber, wie es hieß, szenetypische Bekleidungsstücke "der Antifa" sowie Plakate und Schriften mit "Hassparolen gegen den Staat". Selbstverständlich stellen "Haß-Parolen", was auch immer darunter zu verstehen sein mag, keine strafrechtlich relevanten Spuren dar; für den Staatsschutz jedoch sind sie allem Anschein nach die Bestätigung, hier auf Personen mit dem erforderlichen Täterprofil links gestoßen zu sein.

Und wie schon bei Alexandra R. wurde die sogenannte Beweisführung dieser polizeilichen Vorverurteilung nachgereicht - mit Ergebnissen, die nicht den geringsten rechtstaatlichen Anforderungen standhalten. In dem gegen T. geführten Prozeß mußte sich die eingangs erwähnte Kriminalpolizistin und langjährige Brandermittlerin K. unangenehme Fragen seitens eines vom Gericht eigens bestellten Sachverständigen gefallen lassen. Zuvor hatte sie ausgesagt, daß in der Tatnacht eine halbe Stunde, nachdem Christoph T. und Tim H. festgenommen worden waren, eine weitere Brandstiftung, die mit der den beiden zur Last gelegten in der Pettenkofer Straße im Brandbild weitgehend übereinstimmte, verübt worden war. Die naheliegende Schlußfolgerung, daß beide Taten dann aller Wahrscheinlichkeit nach von einem dritten, bislang unidentifizierten Täter begangen wurden, zogen die Ermittler allerdings nicht.

Sie versuchten stattdessen, Christoph T. zu belasten. Brandermittlerin K. erklärte zudem, ein technischer Defekt als Brandursache sei bei beiden Fahrzeugbränden auszuschließen. Als der geladene Brandgutachter sie vor Gericht fragte, ob sie denn für die Erkennung solcher technischer Defekte ausgebildet sei, mußte K. dies verneinen, woraufhin der Gutachter erklärte, sie für befangen zu halten, weil sie ohne die erforderliche Sachkenntnis solche Aussagen träfe. Auf sein Befragen hin, mit welchen Methoden sie zu ihrer Einschätzung gekommen sei, erklärte die Beamtin, die Fahrzeughalterin gefragt zu haben, ob in der Vergangenheit bereits solche Probleme aufgetaucht seien. Da dies nicht der Fall gewesen sei und das Feuer im vorderen Bereich des Autos ausgebrochen sei, sei ein technischer Defekt auszuschließen gewesen, so die fachliche Einschätzung der langjährigen Brandermittlerin des LKA. Als der Brandgutachter sie dann auch noch fragte, ob sie sich mit Kabelbränden auskenne und wie sie diese ausgeschlossen haben wollte, kam der Vorsitzende Richter der Beamtin zu Hilfe und erklärte kurzerhand, es sei nicht Aufgabe des Gutachters, solche Fragen zu stellen.

Das betreffende Fahrzeug stand nicht mehr zur Verfügung, es war von der Polizei zurückgegeben worden. In der Tatnacht war das Fahrzeug angehoben worden, um Schuttproben entnehmen zu können. Deren kriminaltechnische Untersuchung förderte jedoch für die Ankläger denkbar ungünstige Ergebnisse zu Tage. Der promovierte Diplomchemiker G.-L. legte als Zeuge der Anklage die Ergebnisse seiner Untersuchungen vor Gericht dar. Er war vom Kriminaltechnischen Dienst des LKA mit der Untersuchung des Brandschutts sowie der chemischen Spurenanhaftungen an den Beschuldigten beauftragt worden. Er erklärte am ersten Prozeßtag zunächst, daß in dem Brandschutt keinerlei Spuren eines Brandbeschleunigers, weder von festen Grillanzündern noch von flüssigen Stoffen, festzustellen gewesen wäre, was seiner Erfahrung nach hätte der Fall sein müssen, wären bei dem Brand mit solchen Mitteln hantiert worden. Die Staatsanwaltschaft versuchte, diese Angaben in Zweifel zu ziehen und unterbrach die Ausführungen des vom LKA selbst beauftragten Sachverständigen.

Nach dessen Untersuchungsergebnissen ist jedoch nicht nur die Brandstiftung selbst in Zweifel zu ziehen, weil eine solche ohne Brandbeschleuniger schwerlich durchzuführen ist. Auch die Zuordnung vermeintlich bestehender strafrechtlicher Schuld an Christoph T. und den gesondert angeklagten Tim H. steht auf wackeligen, um nicht zu sagen gar keinen Füßen. Dem Gutachter zufolge weisen die Lampenölrückstände, die an ihnen festgestellt wurden, keineswegs auf eine von ihnen begangene Brandstiftung hin. Derlei Anhaftungen können auftreten, wenn sich jemand nur in der Nähe eines Grills oder einer Petroleumlampe aufgehalten hat; sie können an der Kleidung sogar ein bis zwei Wäschen überstehen. Als Beschleuniger für eine Kfz-Brandstiftung sei Lampenöl zudem ungeeignet wegen seiner verhältnismäßig hohen Zündtemperatur.

Der erste Prozeßtag gegen Christoph T. endete mit dessen Freilassung, denn inzwischen wußte auch der Vorsitzender Richter nicht mehr, worauf sich der angeblich bestehende dringende Tatverdacht in diesem Fall eigentlich gründen soll. Wie es zu seiner und Tim H.‹s Festnahme überhaupt gekommen war, ließ sich aus der Aussage eines anonym aussagenden Polizeizeugen einigermaßen rekonstruieren. Aufgrund einer Sperrerklärung des Innensenators wurde dieser Zeuge ohne Nennung seiner persönlichen Daten vernommen. Er hatte mit der mutmaßlichen Brandstiftung nur mittelbar zu tun und war in der Tatnacht beauftragt gewesen, als ziviler Fahnder in der Nähe die Versammlung von rund 300 Menschen vor einem besetzten Haus zu beobachten. Hier sei die Situation, so der Zeuge, unübersichtlich geworden, nachdem uniformierte Polizeikräfte zur Räumung angerückt seien. Die beiden Tatverdächtigen seien ihm aufgefallen, weil einer von ihnen sich Einweghandschuhe ausgezogen habe; daraufhin habe er mit einem Kollegen die beiden festgenommen.

Nachdem der erste Prozeßtag gegen Christoph T. mit dessen Freilassung geendet hatte, die wie auch im Fall Alexandra R. einen baldigen Freispruch vermuten läßt, wurde der zweite Verhandlungstag nach nur 25 Minuten abgebrochen. Wohl um den fälligen Freispruch hinauszuzögern, wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt mit der Begründung, ein "Obergutachten" eines BKA-Sachverständigen einzuholen, nachdem der vom LKA beauftragte Gutachter Untersuchungsergebnisse präsentiert hatte, die so gar nicht in das vorgefaßte Bild paßten und eine Verurteilung T.‹s geradezu unmöglich machten. Das Gericht machte hier eine "Aufklärungspflicht" geltend, nachdem die Verteidigung die Erstellung eines weiteren Gutachtens abgelehnt hatte. Allem Anschein nach spielen Staatsschutz und Gericht hier "auf Zeit" und wollen, so sich ein Freispruch auch in diesem Fall nicht verhindern läßt, diesen zumindest noch möglichst lange hinauszögern.

Die Unterstützer der beiden Angeklagten, die sich nach monatelanger Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß befinden und allem Anschein nach mit einem Freispruch rechnen können, werteten die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten, Alexandra R. zu entlassen, nachdem wenige Tage zuvor schon Christoph T. freigelassen werden mußte, als eine "schallende Ohrfeige" [2] für die Anklage, wovon genaugenommen nicht die Rede sein kann, weil die Ermittlungs- und Anklagebehörden ihrerseits nicht im mindesten Gefahr laufen, wegen ihres Vorgehens strafrechtlich zur Verantwortung, etwa wegen Freiheitsberaubung, gezogen zu werden. Im Fall Christoph T. lagen die ihn entlastenden Gutachterergebnisse dem LKA schon zu dem Zeitpunkt vor, an dem überhaupt erst gegen ihn Haftbefehl erwirkt worden war; was die sich ohnehin aufdrängende Schlußfolgerung erhärtet, daß die Berliner Strafjustiz das Instrumentarium der Untersuchungshaft zur politischen Repression einsetzt und ausweitet selbst dann, wenn von vornherein feststeht, daß die Beweislage für eine Verurteilung nicht reichen wird.

Anmerkungen

[1] www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN
DILJA/197: Wenn die U-Haft zur politischen Waffe wird... Der "Fall" Alexandra R. (SB)
DILJA/198: Nachtrag zu Alexandra R. - Berliner Kammergericht hält U- Haft aufrecht (SB)

[2] Alex aus U-Haft entlassen!, 23. Oktober 2009,
http://engarde.blogsport.de/

29. Oktober 2009



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