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DILJA/192: Günter Nooke - Menschenrechtsbeauftragter mit DDR-Sozialisation (SB)


Günter Nooke, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, propagiert ein Menschenrecht, das es gar nicht gibt

Welcher Staat möchte schon dafür verantwortlich gemacht werden, daß "jeder genug zu essen hat"?


Der CDU-Politiker Günter Nooke, seines Zeichens Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, hat sich, womöglich unwillentlich oder unwissentlich, weit aus dem Fenster gelehnt und ein Menschenrecht bzw. Menschenrechtsversprechen als existent vorausgesetzt, für das sich weder die deutsche Bundes- noch irgendeine andere Regierung tatsächlich haftbar machen lassen möchte. Die Doppelzüngigkeit, die der Menschenrechtsrhetorik in ihrem Kern und Grundsatz ohnehin anhaftet - wären die Menschenwürde und all die anderen, im deutschen Grundgesetz in den Grundrechten festgeschriebenen Freiheiten Selbstverständlichkeiten, bräuchte es keine staatliche Institution, die sie auf der Basis ihrer Machtfülle und ihres Gewaltmonopols zu gewähren sich bereit erklärt -, findet in Nookes Worten lediglich einen weiteren Höhepunkt.

In einem mit Bettina Klein geführten und im Deutschlandfunk am 7. Juni gesendeten Gespräch betonte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung - in einem Kontext, in dem es um die Arbeit des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen ging, von der Nooke sagte, daß es dort schwierig sei, "über Menschenrechtsverletzungen an verschiedenen Ecken der Welt zu reden", wobei die Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz meinten, "dass sie an den Pranger gestellt werden und islamische Werte verteidigt werden müssen" -, die Wirksamkeit der als universell konzipierten Menschenrechte für jeden einzelnen Menschen [1]:

Nooke: [...] Aber islamische Werte sind an vielen Stellen eben nicht kompatibel mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wie sie 1948 bei den Vereinten Nationen beschlossen wurde und wie sie eben alle Mitgliedstaaten der UN auch akzeptiert haben.

Klein: An welchen Stellen nicht kompatibel?

Nooke: Ja, es gibt eine islamische Erklärung der Menschenrechte von Kairo 1990, und da wird immer ein Scharia-Vorbehalt gemacht. Das heißt, dieses Gottesrecht steht vor den elementaren Menschenrechten, vor dem Schutzinteresse des Einzelnen. Und das Grundproblem bei den Menschenrechten, wenn wir in anderen Kulturen darüber reden, ist natürlich, dass es schon eine extreme, auch moralische Anstrengung braucht, um einzusehen, dass der einzelne Mensch Träger von Rechten ist, dass er an Recht und Würde gleich und frei geboren ist - ob Frauen oder Kinder, alle haben die gleichen unveräußerlichen Rechte.

Und das bedeutet Religionsfreiheit, das bedeutet Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, das bedeutet natürlich aber auch, dass jeder genug zu essen hat, dass der Staat sich darum kümmern muss, dass dieses Recht nicht verletzt wird und dass es darüber keine Kollektivinteressen gibt, keine Gruppeninteressen, weder von Minderheiten, noch von Mehrheiten, noch von Religionen, die dieses Recht jedes einzelnen, nämlich den Schutz seiner elementaren Menschenrechte durch den Staat gewährleistet zu bekommen, dass das gefährdet wird.

Ungeachtet der Frage, ob der Scharia-Vorbehalt der islamischen Erklärung der Menschenrechte tatsächlich, wie von Nooke wohl intendiert, gegenüber der von der führenden westlichen Welt dominierten UN-Erklärung von 1948 eine Verwässerung, Abwertung oder dergleichen mehr darstellt, hat Nooke hier Ausführungen gemacht, die bei Lichte betrachtet von der deutschen Bundesregierung nicht unbedingt freudig aufgenommen worden sein dürften. Die Konzeption der Menschenrechte, wie sie 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt wurde, setzt ein eindeutig von der westlich-kapitalistischen Welt geprägtes Menschen- und Gesellschaftsbild voraus, zu dem noch weitaus mehr Alternativen denk- und entwickelbar wären als die bereits erwähnte islamische Erklärung, die in den Sprach- und Kulturwelten, aus denen sie womöglich noch stammen könnten, einen ununterscheidbar hohen Stellenwert genießen könnten.

In dem Bemühen, die islamische Erklärung eindeutig ins zweite Glied der Wertigkeiten zu manövrieren und damit der islamischen Welt auch auf diesem Gebiet den untergeordneten Stellenwert zu vermitteln, den die führenden westlichen Staaten ohnehin und in jeder nur denkbaren Hinsicht für sie vorgesehen hat, hat sich der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung im Schwunge seines Engagements zu Äußerungen verleiten lassen, von denen führende Repräsentanten auf bundesdeutscher wie auch internationaler Ebene nur hoffen können, daß nicht allzu viele Menschen sich veranlaßt sehen, sie ernst und in Anspruch nehmen zu wollen. Der einzelne Mensch, so Nooke, sei Träger von Rechten, er sei "an Recht und Würde gleich und frei geboren". Und schließlich zählte Nooke die Rechte, und zwar die "gleichen unveräußerlichen Rechte" aller, im einzelnen auf, wobei er anführte, das "bedeutet natürlich aber auch, dass jeder genug zu essen hat, dass der Staat sich darum kümmern muss, dass dieses Recht nicht verletzt wird ...".

Nun hat die Präsidentin der Welthungerhilfe, die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, erst vor wenigen Tagen bei der Vorstellung des Jahresberichts dieser privaten Hilfsorganisation in Berlin erklärt, daß in diesem Jahr die Zahl der hungernden Menschen erstmals eine Milliarde überschreiten wird. Schon jetzt hungern weltweit 963 Millionen Menschen; in Afrika gelten 212 und in Asien 584 Millionen Menschen als mangel- oder fehlernährt. Für diesen starken Anstieg machte Dieckmann die in den USA ausgelöste Finanzkrise verantwortlich, weil sie zu Kürzungen der Entwicklungshilfe, Exporteinbrüchen und einer steigenden Arbeitslosigkeit geführt habe. Hunger ist bereits die Todesursache Nr. 1. Weltweit verhungern schon jetzt 36 Millionen Menschen pro Jahr, dabei steht die vorhergesagte und wohl eher beschönigte Hungerkatastrophe von nie dagewesenen Ausmaßen noch bevor.

Nooke erweckte nun den Eindruck, als gäbe es sinngemäß so etwas wie ein Recht auf Nahrung. Selbstverständlich ist ein solches weder im Grundgesetz noch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Staatsrechtler würden argumentieren, daß in der deutschen Verfassung aus dem in Artikel 20 in Absatz 1 verankerten Sozialstaatsprinzip ("Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat") eine Verpflichtung des Staates, den Lebensunterhalt seiner Bürger sicherzustellen, herauszulesen sei. Das kleine Wort "sozial" ist nicht ohne Grund auslegungsbedürftig, und so ist die Option, aus Gründen der Staatsräson oder welcher Sachzwangslogik auch immer das grundgesetzlich verankerte Sozialstaatsgebot zu überdenken und neu zu interpretieren, schon in der Systematik des Grundgesetzes angelegt.

Auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung enthält keine unmißverständliche Verpflichtung der Unterzeichner-Staaten, zu garantieren, daß "jeder Mensch genug zu essen" habe. Hier wird ebenfalls "drumrum" geredet, so in Artikel 22, in dem es zum Stichwort "Recht auf soziale Sicherheit" heißt:

Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuß der für seine Würde und freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.

Ein Artikel, der "soziale Rechte", aber kein Brot verspricht, ist natürlich - gleiches gilt für alle anderen wie auch die Menschenrechtserklärung insgesamt -, bestens geeignet, Perspektiven auf eine bessere Welt und ein besseres Leben zu schüren, wo Mangel, Hoffnungslosigkeit, Not und Elend vorherrschen. So sind "Rechte" dieser Art in ihrer Wirkung und Anwendung sogar kontraproduktiv, weil sie es den herrschenden und von der weltweiten, auf Raub, Mangelproduktion und -verwaltung beruhenden Ordnung profitierenden Interessengruppen und ihren politischen Funktionsträgern erleichtern, die tatsächlichen Verhältnisse mit dem süßen Gift der Hoffnungen, die ihrer Natur nach nur fehlgeleitet sein können, zu überziehen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ist in dem Bestreben, dieses Versprechen am Leben zu erhalten, lediglich ein bißchen über das Ziel hinausgeschossen. Dies ist ihm ohne weiteres nachzusehen, da er in der DDR und damit einem Staat ausgewachsen ist, in dem es ein in der Verfassung verankertes und von der politischen Führung umgesetztes Recht auf Arbeit gab; und so mag Nooke es aufgrund seiner Sozialisation auch für selbstverständlich gehalten haben, daß ein Staat nicht einen seiner Bürger hungern lassen darf.

[1] Nooke: Keine Konfliktlösung in Nahost in Sicht. Menschenrechtsbeauftragter sieht Vermittlungsversuche Obamas nur als ersten Schritt. Günter Nooke im Gespräch mit Bettina Klein. Deutschlandfunk, 07.06.2009

9. Juni 2009



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