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DILJA/190: Mumia Abu-Jamal - US-Justiz längst zur Hinrichtung entschlossen (SB)


Hinrichtungsgefahr - Der Tag X könnte schon festgelegt sein

Der US-amerikanische Justizapparat beseitigt letzte Hindernisse für die staatlich legalisierte Ermordung Mumia Abu-Jamals


Rund 3000 inhaftierte Menschen müssen in einem Land, das für sich die Rolle eines bis an die Zähne bewaffneten und mit weltweiten Zugriffsrechten versehenen Hüters von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten beansprucht, in der Gewißheit leben, eines nahen oder auch ferneren Tages gewaltsam getötet zu werden. Viele von ihnen haben "ihren" Hinrichtungstermin noch nicht, etwa weil noch nicht alle rechtlichen Möglichkeiten gegen das ihr Leben bedrohende Todesurteil ausgeschöpft wurden. Andere, für die der Tag X schon einem konkreten, unerbittlich Tag für Tag näherrückenden Todestermin gewichen ist, durchleben Höllenqualen, die sich wohl kaum ein Mensch, der nicht selbst betroffen ist oder einem Todeskandidaten nahesteht, vorstellen kann oder will. Aus diesen und vielen weiteren Gründen hat sich in den USA eine Bewegung für die Abschaffung der Todesstrafe konstituiert, zu deren prominentesten Mitstreitern der ebenfalls zum Tode verurteilte afroamerikanische Journalist und frühere Black-Panther-Aktivist Mumia Abu-Jamal gehört.

Abu-Jamal hat sich zeit seines politischen und journalistischen Lebens den US-Polizei- und Justizapparat sowohl in seiner Heimatstadt Philadelphia als auch ganz generell zu einem erbitterten Feind gemacht durch die schonungslose und auf einer parteilichen Stellungnahme für die der repressiven Gewalt ausgesetzte arme und schwarze Bevölkerung beruhende Demaskierung der amerikanischen Sicherheitsbehörden. Seit 27 Jahren befindet er sich in der Todeszelle des Hochsicherheitsgefängnisses von Waynesburg, Pennsylvania, und wäre, hätte es nicht eine massive internationale Solidaritäts- und Protestbewegung gegeben, 1995 bzw. 1999 auf der juristischen Grundlage eines 1982 gegen ihn verhängten Todesurteils hingerichtet worden. Politischer Druck - und keineswegs juristische Hürden, die als Ausfluß der Grundsätze der US-amerikanischen Verfassung, die allen US-Bürgern Schutz vor staatlicher Willkür und rassistischer Behandlung verspricht, in seinem Fall gegriffen hätten - konnte das Leben Mumia Abu-Jamals bislang zweimal retten.

Die - im Laufe der Zeit wechselnden - Anwälte Abu-Jamals haben ungeachtet dessen nichts unversucht gelassen, um auf juristischen Wegen nicht nur die Hinrichtung ihres Mandanten zu verhindern und das Todesurteil aufzuheben, sondern seine Freilassung zu erstreiten durch eine völlig neue Verhandlung des gegen ihn von der Polizei und Justiz Philadelphias erhobenen Vorwurfes des Polizistenmordes. Der juristische Instanzenweg hat sich allerdings als eine Sackgasse erwiesen. Wie auch im Schattenblick bereits berichtet [1], hat die höchste juristische Instanz des gesamten Rechtssystems der USA, der Oberste Gerichtshof oder auch US Supreme Court, in einer am 3. April 2009 getroffenen und am 6. April veröffentlichten Entscheidung festgelegt, daß der von der Verteidigung Abu-Jamals beantragte Berufungsantrag gegen die Ablehnung des Wiederaufnahmeantrages abgelehnt wird.

Damit ist auf der juristischen Bühne in letzter Instanz der Fall eingetreten, zu dem Abu-Jamals Hauptverteidiger, Robert R. Bryan, am 5. November vergangenen Jahres in einem mit Jürgen Heiser geführten Gespräch [2] folgendes ausführte:

Wenn der Oberste Gerichtshof uns einen neuen Prozeß verweigert und auch das Todesurteil bestätigt, dann könnte Mumia innerhalb eines Jahres hingerichtet werden.

Stehen dann noch weitere Berufungsmöglichkeiten offen?

Wer mich kennt und weiß, wie ich in anderen Fällen gekämpft habe, der weiß, daß ich nie aufgeben werde. Aber nach dem Obersten Gerichtshof gibt es keine höheren Instanzen mehr.

Was braucht die Verteidigung jetzt?

Mumias Leben hängt jetzt am seidenen Faden. Seit er am 9. Dezember 1981 unter dem Vorwurf des Polizistenmordes verhaftet wurde, war er nie so nahe an der dünnen Trennlinie zwischen Leben und Tod wie heute. Deswegen braucht er jetzt jede denkbare Unterstützung der Öffentlichkeit. Die Unterstützer müssen jetzt wirklich Krach schlagen und der internationale Druck verstärkt werden!

Der internationale Druck war in den darauffolgenden Monaten allerdings noch nicht stark genug, um, vermittels welcher administrativen Wege auf den angeblich von Weisungen der Exekutive völlig unabhängigen höchsten US-Gerichtshof auch immer, diesen dazu zu veranlassen, eine Neuverhandlung des Mordvorwurfs zu ermöglichen. Wenige Wochen vor der nun getroffenen Entscheidung des Supreme Court hatte Rechtsanwalt Bryan gegenüber der jungen Welt [3] abermals versucht, die Dringlichkeit und Brisanz der gegenwärtigen Situation eindrücklich deutlich zu machen:

Was in den nächsten Wochen vor dem Obersten Gerichtshof passiert, wird darüber entscheiden, ob Mumia einen neuen Prozeß bekommt oder unter den Händen seiner Henker sterben wird.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die größte US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation, die "National Association for the Advancement of Colored People" (NAACP), in einer Petition an den Supreme Court gewandt, um den von Abu-Jamal und seinen Verteidigern gestellten und im wesentlichen mit dem Ausschluß schwarzer Geschworener in der damaligen Jury begründeten Wiederaufnahmeantrag zu unterstützen. Doch all die Hoffnungen, die die Verteidigung sowie der weltweite Unterstützerkreis Abu-Jamals auf diese und andere Fürsprachen gerichtet haben mag, wurden vom Obersten Gerichtshof wenig später zerschlagen. Es zeichnete sich ab, was die wenigsten Todesstrafengegner noch überraschen dürfte, nämlich daß die US-Justiz Hand in Hand bzw. Instanz für Instanz zusammenarbeitet, um eine womöglich längst beschlossene Hinrichtung gegen die allerletzten Reste verbliebener Einspruchsmöglichkeiten durchzusetzen.

Jedes Postulat eines "fairen Verfahrens" oder einer Suche nach "Wahrheit" oder "Gerechtigkeit" läßt sich durch eine legalistische Grundpositionierung zwar erklären, am Beispiel des "Falles" Mumia Abu-Jamals jedoch geradezu lehrbuchartig als ein leeres juristisches Versprechen bloßstellen. Die Haltung des ohnehin als erzkonservativ bekannten US Supreme Court, der sich aus auf Lebenszeit bestellten Richtern zusammensetzt, die, wie der Vorsitzender Richter John Roberts und Richter Samuel Alito, von Präsident George W. Bush oder wie zwei weitere Richter vom früheren US-Präsidenten Ronald Reagan ernannt wurden, ist seit langem bekannt. Dieser Gerichtshof hat sich noch nie als Vorstreiter im Kampf um die Durchsetzung und Wahrung der Menschenrechte oder als antirassistisches Bollwerk hervorgetan.

Das absolute Hochhalten der Erfordernisse der Staatsräson war von ihm nicht anders zu erwarten. Dieser Staatsräson steht jede Sachaufklärung der Frage, wie der Polizist Daniel Faulkner in der Nacht zum 9. Dezember 1981 in Philadelphia tatsächlich ums Leben kam, diametral entgegen. Die innerhalb des gesamten Justiz- und Polizeiapparates der USA unanfechtbaren Position dieses Gerichtshofes obliegt entgegen anderslautender Behauptungen zuerst und zuletzt die Verteidigung dieser Staatsinteressen. Im Fall Mumia Abu-Jamal deutete sich bereits im Oktober vergangenen Jahres an, daß der Supreme Court von dieser ihm obliegenden inoffiziellen Pflicht keine Ausnahme machen würde, und schon gar nicht in einem solch "politischen" Fall. Die immer näherrückende Katastrophe - nach Einschätzung Bryans könnte Mumia Abu-Jamal, wenn die letzten Fristen verstrichen sind und der Supreme Court das Todesurteil bestätigt, noch in diesem Jahr getötet werden - bahnte sich im vergangenen Jahr schon mit einer Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts in Philadelphia an.

Dieses hatte vor etwa einem Jahr, am 27. März 2008, das gegen Abu-Jamal unter in jeder Hinsicht fragwürdigen und rechtsverletzenden Weise zustandegekommene Todesurteil bestätigt und lediglich eingeräumt, daß über das Strafmaß - Lebenslänglich oder Todesstrafe - vor einer anderen Jury neu verhandelt werden solle. Damit war von der zweithöchsten Gerichtsinstanz der USA eine wesentliche Entscheidung bereits getroffen worden. Allen Gegenbeweisen, Argumenten und Widerrufserklärungen früherer Zeugen zum Trotz sollte an der Verurteilung festgehalten werden. Am 22. Juni 2008 bestätigte dasselbe Gericht dieses Entscheidung noch einmal. Die Entscheidung Abu-Jamals und seiner Anwälte, dagegen beim Supreme Court Berufung einzulegen, stellte den einzigen, seinerzeit noch verbliebenen Weg innerhalb der US-Justiz dar, um entgegen all der bisherigen Negativentscheidungen doch noch die Möglichkeit zu erstreiten, den gesamten Fall noch einmal von vorne aufzurollen und einen Freispruch zu erwirken.

Am 6. Oktober 2008 lehnte der Supreme Court einen weiteren Antrag der Verteidigung, nämlich schon in das dort anhängige Berufungsverfahren Beweise und Zeugenaussagen einbringen zu können, ab. Die Gründe liegen auf der Hand: Auch das höchste US-Gericht wollte die von der Verteidigung vorgebrachten Beweise gar nicht erst zur Kenntnis nehmen (müssen), hätte dies doch die nun verfügte Ablehnung der beantragten Neuverhandlung nur erschweren können. Aus dem angebotenen Material wäre hervorgegangen, daß das Todesurteil von 1982 nur zustandekommen konnte, weil Akten manipuliert und Belastungszeugen von der Polizei zu Falschaussagen genötigt worden waren - worüber etliche Zeugen inzwischen auch vor Gericht und unter Eid auszusagen bereit sind. Die zuständigen Gerichte im US-Bundesstaat Pennsylvania werden wie auch der Supreme Court ganz genau gewußt haben, warum sie - in nahtloser, instanzenübergreifender Zusammenarbeit - all dies verhindern. Rechtsanwalt Bryan kommentierte die Entscheidung des Supreme Court vom Oktober wie folgt [4]:

Obwohl wir triftige Beweise dafür vorbringen, daß der Prozeß von 1982 ein reiner Schwindel war, konnte der Oberste Gerichtshof den Antrag von Juli zurückweisen.

Der Oberste Gerichtshof kann dies aus einem brutal einfachen Grund tun: Er ist die letzte und höchste Instanz. Und aus genau demselben Grund gibt es jetzt, nach der jüngsten Entscheidung desselben Gerichts gegen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, auch keine begründete Hoffnung darauf, daß am Ende dieses juristischen Instanzenweges doch noch ein rettender Justiz-Engel auftauchen könnte, um Mumia Abu-Jamal zu seinem Recht zu verhelfen und vor allen Dingen erst einmal sein Leben zu retten. Die verbliebene Decke juristischer Einspruchsmöglichkeiten ist zudem so hauchdünn, daß eine gewisse Tragfähigkeit, wenn überhaupt, nur noch in Monaten oder gar Wochen angenommen werden kann. Nach der Bekanntgabe der Ablehnung bleibt der Verteidigung eine Frist von 25 Tagen, um dasselbe Gericht, den Supreme Court, noch einmal dazu aufzufordern, sich wegen der rassistischen Geschworenenauswahl mit dem Fall Abu-Jamal zu befassen.

Diesen Antrag wird die Verteidigung, wie Rechtsanwalt Bryan bereits angekündigt hat, auch stellen. Sobald dies geschehen ist, wird der Supreme Court auch diesen Antrag ablehnen können mit der Folge einer dann womöglich unmittelbar bestehenden Hinrichtungsgefahr. In dem zweiten, von Philadelphias Bezirksstaatsanwältin Lynn Abraham im Fall Mumia Abu-Jamal vor dem Supreme Court gestellten Berufungsantrag geht es nämlich um die Beschwerde ihrer Behörde gegen die vom 3. Bundesberufungsgericht verfügte Entscheidung, es müsse über das Strafmaß neu verhandelt werden sowie die daran verknüpfte, vorläufige Aufhebung des Todesurteils. In dieser Sache soll der Supreme Court, allerdings ohne die Öffentlichkeit über eine etwaige Entscheidung in Kenntnis gesetzt zu haben, bereits am 20. März eine nicht öffentliche Sitzung durchgeführt haben.

Das Interesse auf seiten der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia wie auch des Gouverneurs von Pennsylvania, Ed Rendell, der nur darauf wartet, den Hinrichtungsbefehl zu unterschreiben, ist erklärtermaßen auf eine schnellstmögliche Tötung Abu-Jamals gerichtet aus Beweggründen, die sich die zuständigen Gerichte des Staates und jetzt auch der letztinstanzliche Supreme Court ebenso zu eigen gemacht haben dürften. Im schlimmsten denkbaren Fall arbeiten die verschiedenen Funktionsträger des staatlichen Repressionsapparates so zusammen, daß zwischen der Bekanntgabe der zu befürchtenden Wiedereinsetzung der Todesstrafe ohne Neuverhandlung über das Strafmaß durch den Supreme Court und dem von Gouverneur Rendell angeordneten Hinrichtungstermin möglichst wenig Zeit bleibt, damit die weltweite Unterstützungs- und Solidaritätsbewegung gar nicht mehr eine Massenmobilisierung, wie sie noch 1995 und 1999 zum Hinrichtungsaufschub führte, durchführen kann.

Jedes weitere Hoffen auf ein den bisherigen gerichtlichen Entscheidungen entgegengesetzes Einlenken der US-Justiz oder anderer staatlicher Instanzen ist den Bemühungen, die Hinrichtung eines politisch denkenden und handelnden Menschen zu verhindern, der in 27 in der Todeszelle verbrachten Haftjahren seinen Kampf gegen die Todesstrafe sowie die US-Klassen- und -Rassenjustiz nie aufgegeben hat, entgegengesetzt. Das Warten auf ein solches Wunder am Ende des Instanzenweges kommt einem langfristig wirkenden Gift gleich, dessen Wirkung sich an der Verhaltenheit der Protestbewegung ablesen läßt, die derzeit noch längst nicht die 1995 und 1999 erreichte Qualität aufweisen kann.

Ein Abrücken von der bereits beschlossenen Hinrichtung Mumia Abu-Jamals, von der angesichts der bisherigen gerichtlichen Entscheidungen auch des US Supreme Courts ausgegangen werden muß, wird es seitens des Staatsapparates nur geben, wenn der politische Preis ihrer Durchsetzung von ihm als zu hoch eingeschätzt wird. Der juristische Instanzenweg seinerseits hat in seinem Umgang mit Mumia Abu-Jamal längst selbst für seine Demaskierung gesorgt.

[1] Siehe im Pool RECHT\MEINUNGEN unter DILJA/189: Drohender Justizmord an Mumia Abu-Jamal - Wiederaufnahmeantrag abgeschmettert (SB), vom 8. April 2009

[2] Zitiert aus: "Mumias Leben hängt am seidenen Faden". Der US-Bürgerrechtler könnte innerhalb eines Jahres hingerichtet werden, falls der Oberste Gerichtshof das Todesurteil bestätigt. Ein Gespräch mit Robert R. Bryan, junge Welt vom 05.11.2008, S. 2

[3] Zitiert aus: Unterstützung für Mumia. Größte US-Bürgerrechtsorganisation untermauert Rassismusvorwurf gegen Gericht, von Jürgen Heiser, junge Welt vom 10.03.2009, S. 7

[4] Zitiert aus: "Kampf für Mumia. Anwalt Bryan: Antrag auf Neuaufnahme des Prozesses in Vorbereitung", von Jürgen Heiser, junge Welt vom 09.10.2008, S. 7

14. April 2009



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