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DILJA/189: Drohender Justizmord an Mumia Abu-Jamal - Wiederaufnahmeantrag abgeschmettert (SB)


Hinrichtungsgefahr

Politische Justiz gegen Mumia Abu-Jamal in letzter Instanz


"Recht ist Politik mit anderen Mitteln. Die US-Verfassung ist deshalb vor allem für Schwarze bedeutungslos. Das Recht auf eine faire Jury ist hohl." [1] Mit diesen Worten kommentierte Mumia Abu-Jamal [2], der weltweit populärste politische Gefangene in den USA, dessen von seinen Gegnern mit Hochdruck betriebene Hinrichtung in den zurückliegenden Jahren zweimal nur durch internationalen Druck abgewendet werden konnte, die vom US Supreme Court, dem höchsten Gericht der Vereinigten Staaten, am Montag gefällte Entscheidung. Den Antrag der Verteidigung auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens, der juristisch einzigen Möglichkeit, für den 1982 zum Tode verurteilten und seitdem in der Todeszelle sitzenden Abu-Jamal einen Freispruch und damit seine Freilassung zu erwirken, wurde vom Supreme Court mit dem schlichten Wort "abgelehnt" niedergeschmettert.

Für diese Entscheidung gibt es für das US-amerikanische, im wesentlichen auf den Achsen Polizei und Justiz stehende Repressionssystem und seinen politisch-administrativen Appendix zwingende Gründe. Mumia Abu-Jamal, der bei einem Zwischenfall mit der Polizei von Philadelphia im Dezember 1981 selbst fast erschossen wurde und anschließend, so als wäre dies ein Plan B, um den staatlicherseits verhaßten Journalisten und früheren Black-Panther-Aktivisten im engsten Wortsinn aus dem Weg zu schaffen, wegen der angeblich von ihm begangenen Erschießung eines Polizisten zum Tode verurteilt wurde, soll nach Ansicht seiner Gegner noch immer hingerichtet werden. Das gegen ihn angestrengte Verfahren wies seinerzeit alle Attribute eines "unfairen Prozesses" auf, und so stützte Abu-Jamals Verteidigungsteam den seit vielen Jahren beantragten Wiederaufnahmeantrag im wesentlichen auf die durch die rassistische Auswahl der Geschworenen vollendete Verletzung US-amerikanischer Verfassungsgrundsätze.

Der Rückschluß, es hätte materiell-rechtlich, also auf der verfahrensrelevanten Ebene der Sachbeweise und Zeugenaussagen, nicht minder schwerstwiegende Argumente und Gegenbeweise gegeben, die nach dem Rechtsempfinden der meisten Menschen eine Neuverhandlung des Mordprozesses geradezu zwingend nach sich ziehen müßten, darf daraus, daß der Wiederaufnahmeantrag im wesentlichen verfassungsrechtlich begründet wurde, keineswegs gezogen werden. Nach Ansicht vieler Experten könnte ein neues Verfahren, in dem die Verteidigung tatsächlich die Gelegenheit hätte, alle inzwischen angesammelten Beweise und Zeugen vorzubringen bzw. vor Gericht zu befragen, nur mit einem Freispruch enden. Die Faktenlage, entkleidet von der politischen Dimension dieses Falles, ist so eindeutig und im wahrsten Sinne des Wortes "belastend" für die Justiz wie auch die Polizei von Pennsylvania bzw. Philadelphia, daß dies, so paradox dies erscheinen mag, die Situation für Mumia Abu-Jamal erheblich erschwert und sein Leben unter Umständen extrem gefährdet.

Mit anderen Worten: Die Sachverhalte, die in einem neuen Verfahren gegen Abu-Jamal, das nur in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung durchgeführt werden könnte, zur Sprache gebracht werden würden, sind von einer solch niederschmetternden Qualität für das US-amerikanische Repressionssystem, daß sich der ohnehin in enger Verzahnung stehende Justiz-, Polizei- und Regierungsapparat aus purem Selbstschutz gezwungen sehen muß, jedes erdenkliche, und sei es die US-Verfassung noch so sehr verletzende Mittel einzusetzen, um eine Veröffentlichung all dieser Fakten und Machenschaften zu verhindern. All dies wird Mumia Abu-Jamal mit den knappen Worten "Recht ist Politik mit anderen Mitteln" womöglich gemeint haben, hätte er doch ohne ein solches, grundlegend kritisches Verständnis von Recht und Gesetz schwerlich die bisherigen 27 Jahren in der Todeszelle überstehen können, ohne durch die gegen ihn verhängten Maßnahmen gebrochen zu werden.

Die faktischen Argumente für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sind in seinem Fall so gravierend, daß sogar einer drei Richter der nächstniedrigeren Instanz, des Bundesberufungsgerichts, im März vergangenen Jahres in einem Minderheitsvotum seine Auffassung zum Ausdruck brachte, daß Abu-Jamal wegen des eindeutig rassistisch begründeten Ausschlusses von Geschworenen eine neue Verhandlung gewährt werden müsse. Wie der Hauptanwalt Abu-Jamals, Robert R. Bryan, in einem Gespräch [1] ausführte, ist die Verteidigung über die jetzige Entscheidung des US Supreme Court "überrascht und entsetzt" aufgrund der Erwartung, daß das höchste US-Gericht sich der Einschätzung des weißen und konservativen Bundesrichters hätte anschließen müssen, zumal dies eine Fortsetzung seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung gewesen wäre.

Doch im Fall Mumia Abu-Jamal, der Eindruck drängt sich auf, ticken die juristischen Uhren plötzlich anders, werden Grundsätze und Rechtsgepflogenheiten außer Kraft gesetzt, in deren Fortbestand viele Bürger der USA wie auch Menschen weltweit gemeinhin ihr Vertrauen setzen. Mumia Abu-Jamal hingegen wäre nicht ein politischer Störfaktor ersten Grades, den zu beseitigen namhafte Repräsentanten des US-Systems wie etwa der Gouverneur von Pennsylvania, Ed Rendell, der alle Hebel in Bewegung setzt, um die juristischen Voraussetzungen für die von ihm lieber heute als morgen anzuordnende Hinrichtung zu erwirken, in aller Offenheit angetreten sind, würde er nicht auch hier die Dinge beim Namen nennen. So hat er schon in den zurückliegenden Jahren, wenn seine Freunde und Unterstützer immer wieder entsetzt und verzweifelt darüber waren, daß speziell in seinem Fall ein eigenes, inoffizielles "Gesetz" zu wirken scheint, das immer wieder verhindert, daß die eigentlich geltenden US-Gesetze und -Verfassungsgrundsätze zu seinen Gunsten in Anspruch genommen werden können, dieser Deutung widersprochen.

Es gäbe keine "Lex Mumia Abu-Jamal", argumentierte der weltweit renommierte Publizist, auch wenn es an so vielen Stellen ganz danach aussähe. Die Justiz zeige in seinem Fall bestenfalls ihr wahres Gesicht, so Abu-Jamal, der nach Angaben seines Anwalts gleichwohl sehr aufgebracht über die jetzige Entscheidung des Supreme Court war, mit der ihm in letzter Instanz das Recht auf ein faires Verfahren verweigert wird. Sein Anwalt kündigte an, die letzten verbliebenen juristischen Schritte gehen zu wollen. Konkret bedeutet dies, daß die Verteidigung innerhalb der ihr zustehenden Frist von 25 Tagen abermals beim Supreme Court beantragen wird, daß es sich mit dem Rassismus dieses Todesurteils beschäftigen muß. Es gibt allerdings keinen plausiblen Anhaltspunkt für die Annahme, daß die höchste gerichtliche Instanz bei einem zweiten Mal anders entscheiden wird.

Die von Bryan erwähnten "bedeutenden neuen Beweise", mit denen die Verteidigung Mumia Abu-Jamals Unschuld gerichtlich bestätigen lassen will, könnten dazu führen, daß der Supreme Court ihm nur umso entschlossener seine Verfassungsrechte vorenthält und vorzuenthalten müssen glaubt. Aus Gründen der Staatsraison, wie hinzuzufügen wäre, denn kämen die neuen und auch schon älteren, der Verteidigung zur Verfügung stehenden, jedoch noch nie vor Gericht verhandelten Beweise tatsächlich öffentlich zur Sprache, wäre dies eine Demaskierung des Polizei- und Justizapparates erster Güte, denn auf einen Schlag würde für jeden Interessierten ersichtlich werden, warum die zuständigen Gerichte über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer ein- und dieselbe Strategie verfolgt haben. Eine faire Chance hatte Mumia Abu-Jamal tatsächlich nie, doch faire Chancen haben, und diese Schlußfolgerung wäre ganz im Sinne des streitbaren Afroamerikaners, die der US-amerikanischen Klassen- und Rassenjustiz unterworfenen Menschen ganz generell nicht.

Mit der jetzigen Entscheidung des Supreme Court ist das Leben Mumia Abu-Jamals noch nicht unmittelbar in akuter Gefahr. Über die von der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia gegen die Entscheidung des Bundesberufungsgerichts, das Todesurteil gegen Abu-Jamal bis zu einer erneuten Verhandlung über das Strafmaß (Lebenslänglich oder Todesstrafe) auszusetzen, eingelegte Berufung hat das oberste US-Gericht noch nicht entschieden. Nach Einschätzung Bryans könnte dies noch vor der Sommerpause geschehen. Sollte sich der Supreme Court auch in diesem Berufungsverfahren gegen Mumia Abu-Jamal stellen, könnte dieser, sobald alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, hingerichtet werden. Ein Justizmord stünde dann zu befürchten, der einzig und allein mit politischen Mitteln, sprich dem massenhaften Einspruch und Protest US-amerikanischer Bürger wie auch internationaler Kritiker zu verhindern sein dürfte, wobei der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Barack Obama für Abu-Jamal noch negativ zu Buche schlagen wird aufgrund des Prestigegewinns, den das US-Imperium aus seinem ersten "schwarzen" Präsidenten bereits gezogen hat.

[1] "Die Lage für Mumia ist sehr, sehr ernst", Gespräch mit Robert R. Bryan, von Jürgen Heiser, www.freedom-now.de und junge Welt vom 8.4.2009, S. 2, im Schattenblick unter BÜRGER & GESELLSCHAFT\FAKTEN:
MUMIA/269: Robert R. Bryan - "Die Lage für Mumia ist sehr, sehr ernst" (ivk)

[2] Weitere Beiträge zu Mumia Abu-Jamal im Pool RECHT\MEINUNGEN:
DILJA/178: Lebensgefahr - Mumia Abu-Jamals Hauptanwalt schlägt Alarm (SB)
DILJA/180: Mit oder gegen Obama um das Leben Mumia Abu-Jamals kämpfen (SB)

8. April 2009



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