Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/188: Rebellisches Schleswig-Holstein widersetzt sich seiner Entmachtung (SB)


Schleswig-Holstein kündigt Verfassungsbeschwerde gegen Beschneidung des Etatrechts des Landtages an

Das nördlichste Bundesland vollzieht Aushöhlung des Föderalismus-Prinzips nicht mit


Die Aushöhlung grundgesetzlicher Garantien und Prinzipien kann insbesondere dann nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und reibungslos im Ablauf vonstattengehen, wenn alle am parlamentarischen Geschehen beteiligten Politiker und Fraktionen den Einschnitt in die demokratische und rechtsstaatliche Substanz der Bundesrepublik im Gleichschritt mitzuvollziehen bereit sind. Das Sozialstaatsprinzip, niedergelegt in Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes ("Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat") beispielsweise steht formal selbstverständlich nicht zur Disposition, wird jedoch seit Jahren, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten, mit vereinten parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften ausgehöhlt. Wäre dem nicht so, wären Obdachlosigkeit, mehr oder minder verdeckte Mangelernährung, Armut und Verelendung von Millionen Menschen nicht zu erklären.

Die Liste faktischer Aushöhlungen und inoffizieller Aufhebungen verfassungsrechtlich verankerter Werte oder vielmehr Versprechen ließe sich noch um etliches erweitern. Ein Kernprinzip der Bundesrepublik Deutschland, das von den administrativen Eliten zunehmend als hinderlich bei der Durchsetzung ihrer sachzwangsbegründeten Mangelverwaltungspolitik eingeschätzt wird, ist der Föderalismus. In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich eine aus Bundesregierung, Bundestag und den 16 Bundesländern gebildete gemeinsame Kommission ("Föderalismuskommission II") vorgeblich um die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern bemüht. Am vergangenen Freitag befaßte sich der Bundestag in erster Linie mit dem in der Kommission erzielten Kompromiß, der noch in der laufenden Legislaturperiode, also noch vor der Sommerpause, mit den für eine Grundgesetzänderung erforderlichen Zweidrittel-Mehrheiten durch Bundestag und Bundesrat geboxt werden soll.

Die sogenannte Weltwirtschaftskrise mit den desaströsen Entwicklungen am Finanzmarkt, gepaart mit einer allgemeinen Verunsicherung und den zutiefst begründeten Existenzsorgen vieler Bundesbürger scheint in diesem Frühjahr eine allgemeine Konsenslage für eine Finanzneuregelung geschaffen zu haben, die wie der nun in der Föderalismuskommission II beschlossene Kompromiß eine "Schuldenbremse" bei den öffentlichen Ausgaben vorsieht. Sollte das Gesetzgebungs- bzw. Verfassungsänderungsverfahren wie geplant durchgeführt werden können, würde im Grundgesetz festgelegt werden, daß Bund und Länder ihre Haushalte ohne Kreditaufnahmen ausgleichen müssen. Die Bundesländer dürften ab 2020 keine Schulden mehr machen, der Bund wäre ab 2016 an eine Obergrenze für die Nettokreditaufnahme gebunden, die 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten darf.

Ärmeren Bundesländern, das sieht die Reform vor, sollen nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel Konsolidierungshilfen aus einem insgesamt 800 Millionen Euro umfassenden, von Bund und reicheren Ländern gemeinsam gefüllten Topf gewährt werden. Nach derzeitigem Verschuldungsstand würden Bremen und das Saarland die höchsten Beträge (300 bzw. 260 Millionen Euro) erhalten können, während Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt mit je 80 Millionen Euro rechnen könnten. Diese Hilfen haben jedoch einen Haken, sind sie doch an die Bereitschaft der jeweiligen Landesparlamente und -regierungen geknüpft, eine nach Auffassung derer, die über die Mittelvergabe entscheiden, ausreichende Sparpolitik zu betreiben. Auf leisen Sohlen wird mit dieser Regelung wie auch der nun beschlossenen Finanzreform insgesamt die Eigenstaatlichkeit der einzelnen Länder ausgehöhlt, weil sie in ihrer Haushaltspolitik nicht mehr frei entscheiden können.

An diesem Punkt entzündete sich auch die Kritik Schleswig-Holsteins, das, wie Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) am vergangenen Freitag im Mittagsecho von WDR 5 und NDR Info ankündigte, der Reform in der abschließenden Sitzung im Bundesrat nicht zustimmen wird und gegen die angestrebte Verfassungsänderung, sollte sie gleichwohl von Bundestag und Bundestag beschlossen werden, durch einen Gang vors Bundesverfassungsgericht vorzugehen. Kayenburg, der sich in dieser Frage mit allen Fraktionen des schleswig-holsteinischen Landtages einig weiß und auch die Landesregierung, die bereits zugesichert hat, sich "selbstverständlich" an die Beschlüsse des Landtages zu halten, hinter sich weiß, machte die Position des nördlichsten Bundeslandes wie folgt deutlich:

Es geht überhaupt nicht darum, ob man in Schleswig-Holstein Schulden machen darf oder muß, sondern uns geht es darum, daß die Eigenstaatlichkeit der Länder geradezu verlangt, daß die Länder selbst eine Schuldenbremse, wenn sie es denn wollen, in ihre eigene Verfassung hineinschreiben. Wir wehren uns dagegen, daß uns eine Schuldenbremse durch das Grundgesetz übergestülpt werden soll. Nach unserer Auffassung ist gerade das Budgetrecht konstitutiver Bestandteil der Eigenstaatlichkeit der Länder. Und vor dem Hintergrund sind wir der Auffassung, daß wir uns im Klagewege gegen die Berliner Beschlüsse werden wehren müssen.

Sätze dieser Art könnten aus verfassungs- oder finanzrechtlichen Lehrbüchern stammen. Sie enthalten keinerlei aufmüpfige Tendenzen, um von politisch-radikalen oder auch nur reformistischen Ansätzen gar nicht erst zu reden. Sie sind im besten Wortsinn konservativ, da sie ein Verfassungs- und speziell auch Föderalismus-Verständnis in Anspruch nehmen, das in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland sowie den anschließenden Jahrzehnten der sogenannten Nachkriegszeit konstitutiv gewesen war. Nun jedoch ticken die Uhren längst anders infolge eines unheimlichen, weil nahezu lautlos vollzogenen Rechtsrucks in der gesamten Republik, in dessen Folge und weiterem Vollzug nun auch ganz offensichtlich die Axt an das Föderalismus-Prinzip anlegt werden soll.

Es stellt sich nämlich schnell heraus, daß Regierung und Landtag in Schleswig-Holstein keineswegs grundsätzlich abgeneigt sind, eine rigide "Sparpolitik", wie die tiefgreifenden Einschnitte in das System sozialer Leistungen und damit eine weitere Aushöhlung des Sozialstaatsprinzips nach außen hin verkauft werden, durchzuführen. Das vorgebliche Ziel, die Staatsverschuldung zu begrenzen und zu beenden, wurde vom schleswig-holsteinischen Landtagspräsidenten vollauf bestätigt. Auf die Frage, ob Schleswig-Holstein darauf bestehen wolle, Schulden machen zu dürfen, antwortete er gleichwohl:

Nein. Wir wollen einen Haushalt ohne Schulden gestalten. Wir haben aber eine Situation, wo wir zur Zeit ein strukturelles Defizit von zwischen 500 und 600 Millionen haben. Das wollen wir abbauen. Wir wollen auch grundsätzlich von einer Verschuldung weg. Das ist der eine Teil, da sind wir uns völlig einig auch mit all dem, was in der Kommission gelaufen ist. Aber wir wollen diese Bestimmung selbst gestalten und in unsere Verfassung hineinnehmen. Wir sehen uns in unseren Rechten eingeschränkt. Es geht nicht um die Sache, daß wir keine Schulden machen wollen. Es geht einfach darum, daß das Landesparlament selbst in unsere eigene Verfassung hineinschreibt, in welcher Form wir künftig diese Verschuldung beenden und begrenzen. Wir sind im Ziel einig.

Peter Struck, Verhandlungsführer des Bundestages in der Kommission und Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, behauptete in Hinsicht auf die durchaus kontroverse Diskussion um das Föderalismus-Prinzip sogar, die nun beschlossene Finanzreform sei "eine Sternstunde auch des Föderalismus". Dem steht die Position Kayenburgs weitaus plausibler gegenüber:

Wir sind aber der Auffassung, daß die Entschuldung durchaus getrennt werden muß von der Position der Eigenstaatlichkeit der Länder. Denn wenn wir das nicht mehr selbst gestalten können, wenn das Königsrecht der Landtage, das Budgetrecht, in dieser Form beschnitten wird, wozu brauchen wir dann noch Landesparlamente? Aber unser Staat ist so aufgebaut, daß die Landesparlamente den Bund gebildet haben und nicht etwa umgekehrt. Und vor dem Hintergrund kämpfen wir darum, daß diese Landesparlamente innerhalb des Föderalismus ihre Position auch wie sie bisher war behalten können.

In einem (Bundes-) Staat, in dem mit harter Hand möglichst widerspruchsfrei und reibungslos "von oben nach unten" durchregiert werden soll, entwickelt sich die föderale Struktur der Republik zwangsläufig zu einem Störfaktor, der umso größer und hinderlicher wird, je weiter der Abbau der demokratischen Kultur vorangeschritten ist. Dem "rebellischen" Schleswig-Holstein kommt ungeachtet der Tatsache, daß die von Landtag und Landesregierung in dieser Frage eingenommene Position strenggenommen ausschließlich konservativ ist und schon allein deshalb nicht ein Jota zur Lösung der immensen Probleme beitragen kann, die auf systemkonforme Weise nicht zu bewältigen sind, eine höchst unterstützungswerte Rolle zu. Mit den ihm zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln sucht Kiel nämlich eine Entwicklung zu ver- oder behindern, die der Etablierung eines zentralistischen Verwaltungsapparates mit zunehmend totalitären Zügen den Weg ebnet.

31. März 2009



Copyright 2009 by MA-Verlag
Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
Redaktion Schattenblick, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Telefon 04837/90 26 98 · Fax 04837/90 26 97
E-Mail:ma-verlag.redakt.schattenblick@gmx.de
Internet:www.schattenblick.de