Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/171: Die Transformation Deutschlands in einen Militärstaat (SB)


Es darf geschossen werden

Kriegseinsätze der Bundeswehr im Innern entlarven legalistische Prinzipien als bloße Herrschaftsinstrumente


In einem Staat mit einem demokratischen und rechtsstaatlichen Gründungsmythos wie der Bundesrepublik Deutschland ist der Glaube an die Wirksamkeit der Verfassung als einer unverbrüchlichen Selbstverpflichtung aller staatlichen Gewaltorgane weit verbreitet. Was im Grundgesetz und speziell in den als für alle Zeiten als unabänderlich konzipierten Grundrechtsartikeln geschrieben steht, erfährt in der Bevölkerung eine hohe Glaubwürdigkeit mit der Folge, daß jede Verletzung als Fehlgriff einzelner Träger staatlicher Gewaltbefugnisse nicht nur dargestellt, sondern im allgemeinen auch akzeptiert wird. So wird in Artikel 1 Absatz 1 "die Würde des Menschen" für "unantastbar" erklärt, während in Artikel 2 Absatz 2 unmißverständlich klargestellt wird: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit."

Tatsächlich bedeutet das verfassungsrechtlich an vorderster Stelle verankerte "Recht auf Leben" keineswegs, daß die mit der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols befaßten Organe sich nicht anmaßen würden, Menschen zu töten. Dies mag provozierend klingen und zum Widerspruch schon allein deshalb verleiten, weil die Todesstrafe, wie in Artikel 102 des Grundgesetzes explizit festgelegt, in der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft ist. Die jüngst von den Ministern Jung und Schäuble in wohlorchestrierter zeitlicher und inhaltlicher Abstimmung losgetretene "Diskussion" über den Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln auch im Innern der Republik hätte mit keiner Silbe entstehen können, wäre das Grundgesetz der unumstößliche Wertekonsens, als der es zugunsten der herrschenden Ordnung seit Bestehen der Bundesrepublik aufgebaut wurde.

Tatsächlich findet in diesen Tagen eine Zäsur statt, wie sie tiefgreifender und unheilankündigender kaum sein könnte. Gestandene Verfassungsrechtler und verfassungsgläubige Politiker stehen kopfschüttelnd vor den jüngsten Äußerungen eines Ministerduos, dessen Kompetenzen zunehmend ineinandergreifen, weil "das Militärische" auf das "Innenpolitische" ausgeweitet wird ganz so, als sei im Grundgesetz niemals eine strikte Beschränkung der Bundeswehr auf die "klassische" Aufgabe der Landesverteidigung installiert worden.

So erklärte der FDP-Politiker Burkhard Hirsch in Hinsicht auf die Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Jung, den Abschuß einer gekaperten Passagiermaschine im Notfall auch ohne gesetzliche Grundlage zu befehlen: "Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, daß ein Minister offen erklärt, er werde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mißachten und ein Verbrechen anordnen, wenn er es für richtig hält." Eine solche Kritik an den in der Tat ohne Wenn und Aber kritikwürdigen Plänen des Duos Schäuble/Jung greift indes zu kurz, wenn sie auf das Bundesverfassungsgericht gestützt wird.

Wolfgang Neskovic, ehemaliger Bundesrichter und rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, nahm in seiner recht scharfen Kritik ebenfalls Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2006 zum sogenannten Luftsicherheitsgesetz, mit dem der Dammbruch zu militärischen Einsätzen der Bundeswehr im Innern schon durchgesetzt werden sollte anhand des Falles einer von Terroristen entführten Passagiermaschine, die von diesen gezielt als Waffe benutzt werden würde. In einer von der Linksfraktion veröffentlichten Presseerklärung führte Neskovic aus:

Jung macht sich mit dieser Äußerung als Minister untragbar und riskiert eine lebenslange Freiheitsstrafe, wenn er seine Ankündigung tatsächlich umsetzen würde. Der Abschuss eines Passagierflugzeuges mit Raketen erfüllt das Mordmerkmal der Tötung mit "gemeingefährlichen Mitteln" im Sinne des Paragraphen 211 StGB.

Dabei könnte Herr Jung sich auch nicht auf einen so genannten übergesetzlichen Notstand oder andere strafrechtliche Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe berufen. Entsprechende Erklärungen von Herrn Jung erweisen sich juristisch als "grober Unfug". Denn das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Aufrechnung Leben gegen Leben "schlechterdings unvorstellbar" ist. Damit ist dieser Bereich abwägungsfest.

Unverantwortlich und eine grobe Verletzung seiner dienstlichen Fürsorgepflicht ist es auch, dass Jung bei einer Umsetzung seiner Erklärung eine entsprechende Strafbarkeit der eingesetzten Soldaten riskierte. Er wäre gut beraten, sich von besser informierten Mitarbeitern seines Ministeriums juristisch aufklären zu lassen.

An der juristischen Aufklärung im Ministerium Jung wird es wohl kaum gemangelt haben. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2006 entschieden, daß der Abschuß einer entführten Maschine nur dann zulässig sei, wenn keine Unschuldigen an Bord wären und klargestellt, daß eine Aufrechnung Leben gegen Leben "schlechterdings unvorstellbar" sei. Zudem traf es die Feststellung, daß das Grundgesetz zwar einen Einsatz der Bundeswehr im Innern erlaube, jedoch nur zur Unterstützung der Polizei, weshalb eben auch nur polizeiliche und nicht militärische Mittel wie etwa Kampfflugzeuge erlaubt seien. Das Nein des Bundesverfassungsgerichts wurde in den besagten Ministerien ganz offensichtlich nicht akzeptiert, sondern zum Anlaß genommen, die bevorstehende Militarisierung der Innenpolitik nicht nur per einfachem Gesetz, sondern dann gleich mit einer Verfassungsänderung durchzusetzen.

Dabei machte das Ministerduo allerdings deutlich, keineswegs einen Diskussionsprozeß einleiten zu wollen, an dessen Ende sie dessen Ergebnis in bester demokratischer Tradition auch dann zu akzeptieren bereit sei, wenn es nicht mit seinen Absichten identisch sein sollte. Bundesverteidigungsminister Jung stellte klar, daß das Rechtssystem in all seinen scheinbar geteilten Gewalten den Vorgaben der Regierung zu folgen habe. Juristische Rückendeckung erhielt er dabei unter anderem auch durch den früheren Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch, der in Hinsicht auf das Verbot des Bundesverfassungsgerichts zum Abschuß entführter Passagiermaschinen erklärte, der Verteidigungsminister müsse sich dann eben "zunächst strafbar" machen und könne sich in dem Falle, daß es zu dem Versuch kommen sollte, ihn strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, auf einen "übergesetzlichen Notstand" berufen.

Der Zweck heiligt demnach die Mittel. Wird ein Verbrechen geadelt durch die Behauptung, mit ihm "die Bevölkerung" von Staats wegen "schützen" zu wollen, sind der Exekutive keine Grenzen gesetzt. Dies gemahnt unweigerlich an die auch von den berüchtigten Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts, so der chilenischen Militärjunta unter General Pinochet, die am 11. September 1973 die gewählte sozialistische Regierung Salvador Allendes stürzte und das Land einem blutigen Regime unterwarf, nicht minder aufgestellte Behauptung, die (chilenische) Republik "schützen" zu wollen. Die Kritik an der Verfassungswidrigkeit der jüngsten Vorschläge wurde unterdessen von dem überaus umtriebigen Bundesinnenminister auf seine Weise "beantwortet". Er wartete mit "Formulierungsvorschlägen" für eine Grundgesetzänderung auf, durch die das Verbot militärischer Kampfeinsätze im Innern endgültig durchlöchert werden soll.

Wie die "Passauer Neue Presse" zu berichten wußte, sieht der Katalog von "Formulierungsvorschlägen" des Bundesinnenministeriums eine Ergänzung des Grundgesetzartikels 87a dahingehend vor, daß künftig der Bundeswehreinsatz im Inland "in ganz außerordentlichen Extremsituationen" erlaubt werden solle "auch dann, wenn Tatunbeteiligte mitbetroffen wären". Schäuble postuliert eine Gefahrensituation, die er mit dem "klassischen Verteidigungsfall" verglichen sehen will, weshalb dann der Einsatz militärischer Mittel durch die Bundeswehr erlaubt werden müsse. Diese Anwendungsfälle für einen solchen Krieg im Innern sollen nun keineswegs mehr wie noch im Luftsicherheitsgesetz auf das ohnehin sehr konstruierte Fallbeispiel einer entführten Passagiermaschine, die zu einem Terrorwerkzeug umfunktioniert werden soll, beschränkt werden. Den jüngsten Vorschlägen zufolge soll die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden "im Fall der Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind." Dies soll zwar als "Ausnahmefall" verstanden werden, doch welcher denkbare Anwendungsfall wäre nicht ohnehin ein Ausnahmefall in einem Sicherheitsbereich, für den bislang Polizeibehörden und Geheimdienste allein die Verantwortung trugen?

Mit dem Auftauchen einer feindlichen Armee wie im klassischen Verteidigungsfall im Innern kann nur dann gerechnet werden, wenn mit so massiver Gegenwehr aus der eigenen Bevölkerung gerechnet wird, daß die keineswegs spärlichen Mittel und Einsatzbefugnisse der Polizei nicht mehr ausreichen. Erschwerend kommt noch hinzu, daß die Befehle für einen solchen Krieg im Innern im Unterschied zum Verteidigungs- und Spannungsfall keine Legitimation durch die Parlamente, sprich Bundestag und/oder Bundesrat, voraussetzen würden. Der Schäuble-Katalog sieht sogar eine "Eilkompetenz" vor, die es dem Bundesinnen- wie auch dem Bundesverteidigungsminister ermöglichen soll, ohne Rücksprache mit Dritten die tödlichen Befehle zu erteilen. Und wie um von vornherein der Kritik von seiten des Bundesverfassungsgerichts, das sich durch diese Pläne in seiner verfassungsmäßigen Kompetenz mehr denn je ignoriert sehen muß, vorzubeugen, soll eine "solidarische Einstandspflicht" installiert werden, worunter zweifellos eine Gleichschaltung aller staatlichen Organe auf das Primat der Herrschaftsausübung in schlechtester machiavellistischer Manier zu verstehen ist.

19. September 2007



Copyright 2007 by MA-Verlag
Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
Redaktion Schattenblick, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Telefon 04837/90 26 98 · Fax 04837/90 26 97
E-Mail:ma-verlag.redakt.schattenblick@gmx.de
Internet:www.schattenblick.de