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DILJA/167: Knast ohne Straftat bald auch gegen junge Menschen (SB)


Auf Verdacht Knast - schwerer Einbruch ins Jugendstrafrecht

Bundeskabinett weitet "Sicherungsverwahrung" auf Jugendliche aus


Es müsse die Möglichkeit geben, "bestimmte Menschen eben nicht wieder freizulassen." Dieses Zitat stammt keineswegs, wie man ob der darin unverhohlen zum Ausdruck gebrachten Absicht, die Obrigkeit mit der Lizenz zur bedingungslosen Inhaftierung ihr mißliebiger Menschen auszustatten, argwöhnen könnte, aus der NS-Zeit. Diese Auffassung vertrat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) schon im Oktober 2003 anläßlich mündlicher Anhörungen vor dem Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob die 1998 aufgehobene zeitliche Begrenzung der sogenannten Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre sowie die von einigen Bundesländern im Polizeigesetz eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungskonform sind oder nicht. Bekanntlich stellte das höchste, angeblich mit der Wahrung der Verfassung befaßte deutsche Gericht der Justizministerin mit seiner Entscheidung vom 10. Februar 2004 einen Persilschein aus, indem es die Inhaftierung Strafgefangener über die Zeit der gegen sie verhängten Freiheitsstrafen hinaus für verfassungsgemäß erklärte.

Dies gelte, so befand das Bundesverfassungsgericht, auch für Ersttäter, nicht minder für die erst nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung und sogar zeitlich unbefristet. Der Anforderung der Bundesjustizministerin, es müsse möglich sein, "bestimmte Menschen eben nicht wieder freizulassen", schien damit vollauf Genüge getan worden zu sein - wenn da nicht das Jugendstrafrecht gewesen wäre. Dies schloß bislang eine Sicherungsverwahrung für Jugendliche (im Alter zwischen 14 und 18 Jahren) wie für Heranwachsende (zwischen 18 und 21 Jahren) kategorisch aus und begrenzte die Höchstdauer einer Gefängnisstrafe auf maximal zehn Jahre Jugendstrafe. Damit sollte, so die ursprüngliche, auf eine "Resozialisierung" straffällig gewordener junger Menschen ausgerichtete Konzeption, dem Umstand Rechnung getragen werden, daß diese unter für ihre Entwicklung ungünstigen gesellschaftlichen oder auch familiären Verhältnissen aufgewachsen sein könnten.

In dem vom Reformliberalismus der 70er Jahre geprägten Jugendstrafrecht wurde jugendliche Delinquenz durchaus als Ausdruck und Gradmesser sozialpolitischer Verhältnisse angesehen. Die Schuldzulastung an den kriminalisierten jungen Menschen sowie die damit einhergehende Entlastung der Gesellschaft blieben allerdings aufrechterhalten. Den gestrauchelten Jugendlichen und Heranwachsenden sollte jedoch eine (zweite) Chance eingeräumt werden, sich zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu entwickeln, was durch darauf ausgerichtete Therapie- und Ausbildungsangebote gerade auch in der Haftzeit unterstützt werden sollte.

All dies ist mittlerweile längst Schnee von gestern und einer Polizeistaatslogik überantwortet, derzufolge der Mensch per se als potentieller Gefährder dargestellt wird, gegen den repressive Maßnahmen legitim wären, sobald er unter den Verdacht gestellt wird, in Zukunft eine schwere Straftat zu begehen. Diese Möglichkeit trifft formallogisch auf jeden Menschen zu, weshalb zu vermuten ist, daß mit der jetzt vom Bundeskabinett beschlossenen Ausdehnung der "Sicherungsverwahrung" auf noch junge, nach dem Jugendstrafrecht verurteilte Menschen das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein wird. So erklärte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) angesichts der exzessiven Vorschläge von Bundesinnenminister Schäuble, die in einer Lizenz zur staatlichen Tötung Verdächtiger gipfelten, dies sei mit "unserem Rechtsstaat nicht vereinbar", nur um dann hinzuzufügen, es spräche nichts dagegen, Verdächtige in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen.

Tatsächlich spricht sehr, sehr vieles, um nicht zu sagen alles dagegen, Menschen auf bloßen Verdacht hin zu inhaftieren, wie es in jedem Polizeistaat, in jeder Diktatur gang und gäbe ist. Manche Kritiker, so der Deutsche Anwaltsverein, argumentieren recht verhalten, die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Freiheit und auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Artikel 5 eine Haftstrafe nur zuläßt, wenn sie auf einer "Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" beruht, nicht zu vereinbaren. Das Bundesverfassungsgericht hat sich unterdessen durch die Behauptung, die Menschenwürde werde "auch bei langdauernder Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist", selbst kompromittiert. Wenn die vermeintliche "Gefährlichkeit" eines Menschen dessen Inhaftierung legitimiert, wurde die Abkehr von dem ursprünglichen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen die Allmacht des Staates, längst vollzogen.

Die nun vom Kabinett beschlossene Ausweitung der sogenannten Sicherungsverwahrung auf Jugendliche kam unterdessen nicht so überraschend, wie vielleicht vermutet werden könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich schon im vergangenen Jahr auf einer Festveranstaltung anläßlich des 30jährigen Bestehens des Opferschutzvereins "Weißer Ring" in Berlin für eine Sicherungsverwahrung "schwerkrimineller Jugendlicher" ausgesprochen. Zur Begründung hatte sie, wohl um zu überdecken, daß von einem "Täter" in Hinsicht auf eine in die Zukunft projizierte Straftat gar nicht die Rede sein kann, weil es diese noch gar nicht gibt, angeführt, "Opferschutz" gehe vor "Täterschutz". Als am Donnerstag der vom Bundesjustizministerium zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen vorgelegte Gesetzentwurf angenommen wurde, nahm Bundesjustizministerin Zypries durchaus Bezug auf den einstigen Resozialisierungsgedanken des Jugendstrafrechts:

Sicherungsverwahrung ist eine der schärfsten Sanktionen, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter in Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll verbüßt hat. Vor diesem Hintergrund darf die Sicherungsverwahrung immer nur ultima ratio sein, also nur angewendet werden, wenn es kein anderes Mittel gibt, um die Allgemeinheit zu schützen. Das gilt umso mehr bei jungen Menschen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen und ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode während ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später ein gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, die die Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen.

Zypries scheint mit diesem Teil ihrer Argumentation, in dem sie vorgibt, die besondere Situation junger Menschen zu berücksichtigen, allerdings nur möglichen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Sie nivelliert ihre eigenen Ausführungen im unmittelbaren Anschluß durch folgende Behauptung:

Allerdings gibt es - wenn auch nur sehr wenige - junge Täter, die nach einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen. Mit entsprechendem Gefährdungspotential können solche Extremfälle eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschieden, für solche Fälle einen Regelungsvorschlag zu unterbreiten.

Bundesjustizministerin Zypries zeichnet das Bild einer Bestie in Gestalt eines noch jungen Menschen, um den bedingungslosen Anspruch des Staates, einen als "gefährlich" eingestuften Menschen inhaftieren zu können auch dann, wenn ihm keine Straftat nachgewiesen werden kann, durchzusetzen. Dabei weist ihre Argumentation einen schwerwiegenden logischen Bruch auf. "Allerdings gibt es", so Zypries, "junge Täter, die nach einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen". Eine solche Feststellung läßt sich ohne jede Ausnahme nur aus rückwärtiger Sicht treffen, also dann, wenn ein ehemaliger Gefangener nach verbüßter Jugendstrafe erneut eine schwere Straftat begangen hat. Zum Zeitpunkt seiner Haftentlassung läßt sich eine solche Feststellung jedoch niemals treffen. Zukünftige Ereignisse lassen sich nicht vorhersagen, auch wenn gerade in diesem Zusammenhang der Eindruck erweckt wird, durch Prognosen über das "Gefährdungspotential" von "solchen Extremfällen" (Zypries) irgendwie zutreffende Aussagen machen zu können.

Dabei verwahren sich sogar psychiatrische Sachverständige mehr und mehr gegen die These, es ließen sich wissenschaftlich stichhaltige Gefährdungsanalysen erstellen. Bei den Anhörungen vor dem Bundesverfassungsgericht im Oktober 2003 hatten zwei als Sachverständige gehörte Psychiater, Norbert Nedopil aus München und Andreas Marneros aus Halle, erklärt, daß derartige Prognosen in etwa 60 Prozent aller Fälle mit besonderen Risiken behaftet seien. Marneros erklärte sogar, daß die "meta-analytischen Untersuchungen" bei gutachterlichen Prognosen eine Genauigkeit aufwiesen, die "nur unbedeutend höher als der Zufall" wären. Dr. Norbert Leygraf, ein weiterer Psychiater, bestreitet sogar im Kern die Behauptung, es ließe sich aus dem Verhalten eines Menschen in der Haft ableiten, wie dieser sich nach seiner Freilassung verhalten würde.

Auch die Bereitschaft zu einer Therapie in der Haft, die ihrerseits lediglich eine modifizierte Form der Schuldzuweisung sowie ein subtileres Mittel der Bestrafung darstellt, weil der Gefangene bestimmte, ihm auferlegte "Einsichten" nicht verweigern kann, ohne der an einen Therapie-"Erfolg" gekoppelten Chance auf Freilassung verlustig zu gehen, sagt Leygraf zufolge noch gar nichts über die "Zwanghaftigkeit eines Kriminalitätstypus'" aus. Leygraf glaubt, daß die als Sachverständige auftretenden Psychiater sich sogar in acht von zehn Fällen "täuschen" würden, womit er die Kernbehauptung, menschliches Verhalten sei vorhersagbar, allerdings unangetastet bestehen läßt. Dabei geht es hier keineswegs um Ungenauigkeiten oder das vermeintliche Problem, bei derlei Prognosen einen "Unschuldigen" treffen zu können.

Hier geht es um nicht weniger als eine als unwiderruflich konzipierte Umkehrung des mehr und mehr ineinanderfließenden Polizei- und Strafrechts, bei dem schwerste repressive Mittel, so die unbefristete und damit potentiell lebenslängliche Inhaftierung, um von der keineswegs ad acta gelegte Tötung Verdächtiger gar nicht erst zu reden, gegen mißliebige Menschen uneingeschränkt eingesetzt werden können. Fritz Rudolf Körper, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte anläßlich des jüngsten Kabinettsbeschlusses zur "Sicherungsverwahrung" gegen Jugendliche:

Die zusätzlich vom Gesetzentwurf geforderte umfassende Gefährlichkeitsprognose muß zudem die "hohe Wahrscheinlichkeit" der Begehung weiterer schwerer Verbrechen auf der Basis der Gesamtwürdigung aller Aspekte feststellen. Unter diesen engen Voraussetzungen ist der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor gefährlichen Gewalttätern vorrangig und rechtfertigt den Freiheitsentzug über die schuldangemessene Strafe hinaus allein aus Gründen der Prävention.

"Allein aus Gründen der Prävention" - damit bewegt sich die SPD in denselben Bahnen wie die Nazi-Juristen, die 1933 die "Sicherungsverwahrung" gegen "gefährliche Gewohnheitsverbrecher", wie es damals hieß, eingeführt hatten. Weder im deutschen Kaiserreich noch in der Weimarer Republik hatte die Sicherungsverwahrung Einlaß in das Strafgesetzbuch finden können. 1945 flog sie aus dem Strafrecht der DDR umgehend wieder heraus, während der westliche Frontstaat BRD sie nicht nur beibehielt, sondern immer weiter ausdehnte. Den heutigen "Sicherheitspolitikern" vom Schlage Schäubles kommt sie gerade recht, denn auf diesen langjährigen Stachel im Fleische eines Staates, der beansprucht, ein demokratisch verfaßter Rechtsstaat zu sein, läßt sich bestens aufsatteln, wenn es gilt, ganz generell eine Strafbarkeit unterstellter Absichten und zugelasteter zukünftiger Straftaten zu etablieren. Schließlich verfügen verurteilte Strafgefangene über keine Lobby, die willens und imstande wäre, der an ihnen vorexerzierten Verweigerung elementarster Freiheitsrechte nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen.

19. Juli 2007



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