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DILJA/161: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (1) (SB)


Mumia Abu-Jamal - seine Gegner wollen ihn tot sehen

Die US-Justiz zeigt im Fall des streitbaren Afroamerikaners ihr wahres Gesicht

Teil 1: Die Anhörung in Philadelphia vom 16. Mai 2007


Im 17. Jahrhundert wurde der lateinische Begriff "Justitia" (Gerechtigkeit, Recht) eingedeutscht zu "Justiz". Im 18. Jahrhundert, so zumindest ist es in heutigen etymologischen Nachschlagewerken nachzulesen, bürgerte sich auch der Begriff "Justizmord" in die deutsche Sprache ein, womit die "Hinrichtung eines aufgrund eines Fehlurteils unschuldig zum Tode Verurteilten" gemeint gewesen sei. Das Wort "Fehlurteil" wiederum läßt einen unabsichtlichen Irrtum vermuten, wie er bei größter Sorgfalt nicht gänzlich auszuschließen sei. Ein solches Begriffsverständnis ist allein der Justiz zuträglich in ihrem Bemühen um allgemeine Akzeptanz und gesellschaftliche Anerkennung. In dem 1963 herausgebrachten "Großen Duden - Etymologie" wurde jedoch die Anmerkung hinzugefügt, daß mit Justizmord eigentlich ein "Mord" gemeint sei, "den die Justiz begeht". In späteren Ausgaben fiel diese Deutung wohlweislich unter den Tisch. Der "Duden - Das Herkunftsbuch, Etymologie der deutschen Sprache" von 1989 ließ es bei der Formulierung eines durch ein Fehlurteil zu Unrecht Hingerichteten bewenden.

Nun stellt die Todesstrafe per se ein Verbrechen dar, auch wenn in Staaten wie den USA dafür rechtliche Grundlagen geschaffen wurden. Diese können den unauflösbaren Widerspruch zwischen der Selbstverpflichtung hoheitlicher Gewalt, das Leben und Wohl sowie die Sicherheit der Bürger zu schützen, und der Todesstrafe, durch die dem Menschen das höchste Gut, sein Leben, genommen wird, selbstverständlich nicht auflösen. Der Kampf gegen die Todesstrafe hat in den USA in jüngster Vergangenheit durchaus gewisse Erfolge gezeitigt. Von einer tatsächlichen Abschaffung des staatlich legitimierten Tötens unter höchster Grausamkeitsstufe kann jedoch nicht einmal annäherungsweise die Rede sein, da sich die vorwiegend weißen US-Eliten nicht vorstellen können, ihre Herrschaft ohne ein ihren Interessen gemäß ausgerichtetes und mit der Lizenz zum Töten bestücktes Justizwesen auszuüben und sicherstellen lassen zu können.

In den USA droht nun in naher Zukunft ein weiterer Justizmord verübt zu werden. Der Afroamerikaner Mumia Abu-Jamal wurde vor 25 Jahren wegen eines Polizistenmordes, den er nachweisbar nicht begangen hat, zum Tode verurteilt und befindet sich seitdem in einer Todeszelle. Schon zweimal, 1995 und 1999, wurden Hinrichtungstermine anberaumt. Doch dann schreckte die US-Justiz vor der Vollstreckung zurück, nicht zuletzt deshalb, weil innerhalb der USA wie auch international eine große Protestbewegung mobilisiert werden konnte. In den 90er Jahren gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße, um Abu-Jamals Leben zu retten. Der "Fall" erlangte eine so große Öffentlichkeit, daß die Verantwortlichen in der US-amerikanischen Justiz es angesichts der bei einer Hinrichtung des bekannten Bürgerrechtlers drohenden Protest- und Widerstandsbewegung vorzogen, die Tötung Abu-Jamals aufzuschieben.

Mit "Gerechtigkeit" können und dürfen diese taktischen Manöver - ganz abgesehen davon, daß "Gerechtigkeit" ohnehin nichts anderes als Propaganda darstellt, da Recht nur auf der Basis von Unrecht existieren kann - nicht verwechselt werden. Nach wie vor ist das Interesse der Gegner Mumia Abu-Jamals, diesen nicht nur bis an sein Lebensende inhaftiert zu halten, sondern töten zu lassen, ungebrochen und unvermindert. Im Jahre 2001 hatte der zuständige Bundesrichter William Yohn aus verfassungsrechtlichen Gründen das Todesurteil in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt, was jedoch aufgrund der sofort gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung der Staatsanwaltschaft niemals rechtskräftig wurde. Das Todesurteil hat somit nach wie vor Bestand.

Bei der Anhörung vor dem zweithöchsten Gericht in den USA, dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia/Pennsylvania, vom vergangenen Donnerstag ging es neben der von der Verteidigung eingereichten Berufung, die auf eine einen Freispruch ermöglichende Wiederaufnahme des Verfahrens abzielt, um den Antrag der Staatsanwaltschaft Pennsylvanias, das gegen Mumia Abu-Jamal 1982 verhängte Todesurteil wieder voll in Kraft setzen zu lassen. Würde dies geschehen, wird der Gouverneur von Pennsylvania, wie er bereits angekündigt hat, den Hinrichtungsbefehl sofort unterschreiben, damit die Todesstrafe schnellstmöglich vollstreckt werden kann. Mit einer Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts, das also über die Wiederinkraftsetzung der Todesstrafe wie auch die beantragte Verfahrenswiederaufnahme sozusagen in einem Atemzug beschließen wird, ist in nicht ferner Zukunft zu rechnen.

Die Einschätzungen der Verfahrenbeteiligten gehen hier ein wenig auseinander. Der Hauptanwalt des vor viereinhalb Jahren eingesetzten derzeitigen Verteidigungsteams Abu-Jamals, Robert R. Bryan, rechnet mit einer Entscheidung nach 45 bis 90 Tagen. Volker Ratzmann, Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, der der Anhörung am 17. Mai in Philadelphia als Prozeßbeobachter beiwohnte, glaubt, daß das Gericht innerhalb von nur 30 Tagen entscheiden wird. Eine Prognose wollte der Grünenpolitiker nicht abgeben. Der womöglich bevorstehende Justizmord an Mumia Abu-Jamal wurde von Ratzmann folgendermaßen skizziert:

Das Schlimmste wäre, wenn sie Abu-Jamals Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verwerfen würden. Dann gibt es so gut wie keine Chance mehr, und Mumia würde wohl sehr bald hingerichtet.

In einem solchen Fall besteht zwar theoretisch noch die Möglichkeit, das höchste US-Gericht, den Supreme Court, anzurufen. Dieser nimmt jedoch in 98 Prozent die an ihn gerichteten Fälle zur Entscheidung gar nicht an. Sollte dies bei Mumia Abu-Jamal dennoch der Fall sein, wäre mit einer Entscheidung zu seinen Gunsten nicht zu rechnen, da die höchste gerichtliche Instanz in den USA aus vom US-Präsidenten ernannten Richtern besteht und somit allemal der Position der Staatsräson verpflichtet ist, und das beinhaltet eine generelle Befürwortung der Todesstrafe ebenso wie eine spezifische Übereinkunft, im Falle des streitbaren Journalisten, Bürgerrechtlers und ehemaligen Black-Panther-Mitglieds Abu-Jamal ein Fanal, sprich, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Von einer weltweiten Mobilisierung kann derzeit, obwohl Abu-Jamals Unterstützer auch im europäischen Ausland, vorwiegend in Frankreich und Deutschland, aktiv sind, nicht die Rede sein. In Philadelphia selbst protestierten am Donnerstag 500 Menschen außerhalb des Gerichtsgebäudes, um Mumia Abu-Jamal, der selbst an der Anhörung nicht teilnehmen durfte, zu unterstützen. Die mangelnde Mobilisierung scheint mit der angesichts der derzeitigen juristischen Lage ambivalent anmutenden Situation zu korrespondieren. So steht außer Frage, daß Abu-Jamals Leben derzeit so gefährdet ist wie seit der wenn auch nicht rechtskräftigen Umwandlung der Todesstrafe in ein Lebenslänglich im Jahre 2001 nicht mehr. Einer entsprechenden Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts könnte sehr schnell die Hinrichtung folgen.

Wollte man den zuständigen Justizbehörden unterstellen, auf die Vollstreckung der Todesstrafe zuzuarbeiten, muß angenommen werden, daß die Aussicht auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens, der wiederum die Hoffnung auf einen Freispruch innewohnt, das süße Gift ist, mit dem eine Mobilisierung gegen die gleichwohl drohende Hinrichtung verhindert wird. Für die Annahme, daß maßgebliche Kräfte in der Justiz gerade auch diesen zum Tode verurteilten Menschen schnellstmöglich auch tot sehen wollen, spricht schon die Tatsache, daß sich die zuständigen Gerichte in den zurückliegenden Jahren mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, entlastende Beweise auch nur zur Kenntnis zu nehmen oder den Mann, der den Mord, für den Mumia Abu-Jamal verurteilt wurde, gestanden hat, polizeilich vernehmen zu lassen.

Abu-Jamals Hauptanwalt Robert R. Bryan verbreitete nach der Anhörung vorsichtigen Optimismus. Er berichtete in einem am 21. Mai veröffentlichten Gespräch mit der jungen Welt, daß die drei Bundesrichter den Vertreter der Anklage, Staatsanwalt Burns, mehrfach unterbrachen. Es sei, so Bryan, den Richtern anzumerken gewesen, daß sie es für unbegreiflich hielten, daß Mumia Abu-Jamals Richter von 1982, Richter Sabo, tatsächlich der Auffassung gewesen sein könnte, das damalige Verfahren sei mit der amerikanischen Verfassung vereinbar gewesen. Des weiteren deutete er die an ihn gerichtete Aufforderung des Berufungsgerichts, ein schriftliches Protokoll der Anhörung zu beantragen, als positives Zeichen im Sinne der Verteidigung. Auch die Tatsache, daß die Bundesrichter erstmals eine Vertreterin der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP, die sich in Fällen einer rassistischen Geschworenenauswahl besonders stark engagiert, bei einer solchen Anhörung sprechen ließen, wertet Bryan als positives Signal.

Zeichen und Signale sind jedoch nicht mehr als Zeichen und Signale, und so kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß die verhalten positive Grundstimmung, die während der Anhörung bei der Verteidigung wie den Unterstützern Mumia Abu-Jamals erzeugt werden konnte, Bestandteil einer extrem perfiden Strategie ist, um dessen Hinrichtung entgegen der eigentlich zu erwartenden politischen Widerstände durchsetzen zu können. Abu-Jamal selbst hat in einer seiner jüngsten Kolumnen, die er allwöchentlich aus der Todeszelle heraus schreibt, klargestellt, daß die Durchsetzung des Rechts und der Menschenrechte den Druck von unten braucht - so der Untertitel seiner am 5. Mai in der Jungen Welt veröffentlichten Kolumne über "Das höchste Gericht der USA". Und dies gilt selbstverständlich für seinen "Fall" nicht minder.

21. Mai 2007



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