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STRAFRECHT/452: Reform der Tötungsdelikte - Chance auf einheitlichen Tötungstatbestand verpasst (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 4. April 2016

Reform der Tötungsdelikte: Gerechtere Urteile möglich

DAV: Chance auf einheitlichen Tötungstatbestand verpasst


Berlin (DAV). Der Deutsche Anwaltverein (DAV) stellt sich hinter die Pläne des Bundesjustizministeriums, die Strafvorschriften im Bereich der Tötungsdelikte zu reformieren. Um gerechtere Urteile zu finden, muss es auch Alternativen zur lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord geben. Nach Ansicht des DAV wird aber die Chance auf eine grundlegende Reform verpasst. Der DAV hatte bei seiner Initiative zu der Reform bereits 2014 einen einheitlichen Tötungsparagrafen vorgeschlagen.

"In Ausnahmefällen muss es Alternativen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe geben", so Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, DAV-Präsident. Schon jetzt bemühten sich die Gerichte, in besonderen Einzelfällen eine lebenslange Freiheitsstrafe zu vermeiden, um ein gerechtes Urteil zu erzielen. Eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe würden die Pläne nicht vorsehen. Die in diese Richtung gehende Kritik an dem Reformvorschlag von Rechtspolitikern der CDU/CSU sei daher unbegründet. "Allerdings muss man sich von dem Dogma der zwingenden lebenslangen Freiheitsstrafe lösen", so der DAV-Präsident weiter.

Um unerwünschte Resultate zu vermeiden, würden sich Gerichte in manchen Fällen kaum begründbar in die Annahme einer "verminderten Schuldfähigkeit" (§ 21 StGB) flüchten, die eine Reduzierung des Strafmaßes ermöglicht. Eine verminderte Schuldfähigkeit kann zum Beispiel angenommen werden, wenn beim Täter aufgrund einer seelischen Störung die sogenannte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist. "Diese unwürdigen Prozeduren macht der jetzt vorliegende Vorschlag entbehrlich, indem er klare Rechtsgrundlagen dafür schafft, wie eine im Einzelfall ungerechte Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe bei Mordtaten verhindert werden kann", sagt Rechtsanwalt Prof. Dr. König, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des DAV.

Bislang sieht der Mordparagraf (§ 211 StGB) zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Nach den Plänen des Justizministers soll die lebenslange Freiheitsstrafe grundsätzlich bestehen bleiben. Nur in Ausnahmefällen soll künftig auch bei Mord eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder mehr möglich sein. So zum Beispiel dann, wenn der Täter aus Verzweiflung handelt oder durch Misshandlungen durch die getötete Person zur Tat veranlasst wurde.

Hintergrund dieses Reformvorhabens sind Fälle, in welchen eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht angemessen erscheint. Ein bekanntes Beispiel ist der "Haustyrannen-Mord": Eine über Jahre von ihrem Ehegatten misshandelte Frau tötet ihren gewalttätigen Mann im Schlaf, da sie keine andere Möglichkeit sieht, sich der Übergriffe ihres Mannes zu entziehen. Das Gesetz sieht hierin das Mordmerkmal der "Heimtücke" verwirklicht, so dass grundsätzlich die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe erfolgen müsste. Ein weiterer typischer Fall ist der des schwer kranken Rentners, der seine Ehefrau nach mehr als 60 Jahren Ehe aus Liebe tötet, indem er sie vergiftet. Der Mann kann es nicht ertragen, dass seine 85 Jahre alte Ehefrau, die unter Demenz leidet, nach seinem nahenden Tod alleine in einer Pflegestelle untergebracht werden soll. Auch hier liegt eine "heimtückische" Begehungsweise vor, die nach geltendem Recht zu lebenslanger Freiheitsstrafe führen muss, wenn keine Auswege gefunden werden, für die es derzeit an einer klaren gesetzlichen Grundlage fehlt.

DAV vermisst große Lösung bei dem Verhältnis von Mord und Totschlag

Neben der Strafzumessung will das Bundesjustizministerium auch die Mordmerkmale reformieren. Der DAV hält einen Verzicht auf Mordmerkmale für richtig und plädiert für einen einheitlichen Tötungstatbestand. Nach Ansicht des DAV lässt der Entwurf den politischen Willen vermissen, sich vom bestehenden Gesetz zu lösen und eine konsequente Reform durchzuführen. "Richtig wäre eine große Lösung in diesem Sinne. Die Beibehaltung von Mordmerkmalen desavouiert das Rechtsgut Leben, da zwischen verschiedenen, unterschiedlich strafwürdigen Arten des vorsätzlichen Tötens unterschieden wird", erläutert König die Bedenken.

Die geltende Rechtslage beruht auf einer Gesetzesfassung aus dem Jahre 1941. Wesentlicher Unterschied ist, dass Mord nicht mehr mit der Todesstrafe, sondern - zwingend - mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist. Das nationalsozialistische Gesetz von 1941 orientierte sich, nationalsozialistischer Ideologie folgend, an einem "Tätertyp". Das ist dem heutigen Strafrecht fremd. Es stellt auf die Strafbarkeit bestimmter Handlungen ab. Bundesjustizminister Maas hatte bereits zu Beginn seiner Amtszeit erklärt, diese Reste aus der Nazizeit aus dem Strafgesetzbuch entfernen zu wollen.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 09/16 vom 4. April 2016
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2016

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