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STRAFRECHT/375: Kriminalisierung von politischem Engagement (guernica)


guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Kriminalisierung von politischem Engagement

"Es kann jeden und jede treffen"


Anlässlich der skandalösen Inhaftierung von zehn Tierrechts-AktivistInnen hat sich die Plattform gegen die Kriminalisierung von politischem Engagement durch Paragraf 278 ff gebildet, um die demokratieverträgliche Reformierung der Paragrafen 278 ff durchzusetzen. guernica sprach mit den AktivistInnen Marion Fuchs (VGT Linz) und Wolfram Kurzwernhart über diese sog. "Anti-Mafia" und "Anti-Terror" Paragrafen.


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GUERNICA: Ihr engagiert Euch gegen die Paragrafen 278 ff. Was ist Eure Motivation?

WOLF: Ich war erstaunt über die Wucht, mit der die Behörden den "Mafia-Paragraphen" gegen Tierrechtsaktivist_innen angewendet haben: Die Aktivist_innen wurden kriminalisiert und diffamiert, sie haben Angst vor weiterer Verfolgung, manche ziehen sich zurück oder geben auf - klingt nach "Shock and Awe".

MARION: Es sieht fast so aus, als hätte sich jemand gedacht "wir haben da ein tolles Werkzeug - mal sehen, was man mit dem so alles machen kann". Meiner Meinung nach widerspricht diese Anwendung der Paragrafen 278 ff den Intentionen des Gesetzgebers. Das kann eine funktionierende Zivilgesellschaft nicht zulassen.

GUERNICA: Welche Gefahren seht Ihr durch diese Paragrafen? Was müsste geändert werden?

MARION: Bei genauerer Betrachtung lassen sich mit diesem rechtlichen Konstrukt so gut wie jeder Verein, jede NGO, jede Bürger_inneninitiative etwas zugespitzt vermutlich auch Gewerkschafter oder gar Parteien - als kriminelle Organisation verfolgen, einschüchtern, handlungsunfähig machen und ausschalten. Wer ist die nächste Gruppe bzw. wer wird jetzt schon unter dem Vorwand der Paragrafen 278 ff observiert? Heute exemplarisch getestet an den Tierrechtsaktivist_innen kann es morgen jede/n treffen.

WOLF: Das mindeste, was ich mir als Novellierung des Paragraf 278 a vorstelle, ist, klar auf die Bereicherungsabsicht abzustellen. Und dann wären da noch die Paragrafen 278 b und c, die ja ebenfalls sehr weit gefasst und damit auch entsprechend breit angewendet werden können. Auch hier müsste eine Änderung passieren.

GUERNICA: In vielen europäischen Staaten sind in den Letzten Jahren ähnliche Paragrafen eingeführt worden. Seht ihr einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung und wachsender gesellschaftlicher Repression?

MARION: Neoliberale übernationale Zusammenschlüsse wie die EU, eine globalisierte Herrschaft der Konzerne, der Abbau des sozialstaatlichen Prinzips und die Rücknahme sozialer Errungenschaften, das kritiklose Herunterbeten der Propagandamedien von Prekarität und der Aufbau des Überwachungsstaates sollen eine allgemeine Entdemokratisierung bewirken, die folgsame Bürger_innen produziert. Eingesetzt werden dabei Schocktherapien wie Terrorwahn und Wirtschaftskrisen.

WOLF: Manchmal kommt mir der 278er wie ein Puzzlestück vor, das sich - auch auf internationaler Ebene - mit anderen Teilchen zu einem eher beunruhigenden Ganzen zusammenfügt: Vorratsdatenspeicherung, biometrische Daten im Pass, Krankengeschichte auf der eCard, e-Voting, Sicherheitspolizeigesetz, Lauschangriff und, und, und ... der ideale "Werkzeugkoffer" für Überwachung und Repression.

GUERNICA: Welche Schritte sind als nächstes geplant, wie kann man mittun?

MARION: Die größte Gefahr sehe ich, darin, dass viele denken "das betrifft ja nur die radikalen Tierschützer_innen" und die notwendige Solidarisierung ausbleibt. Deshalb müssen wir, jetzt alle handeln: Wichtigster Punkt ist eine bundesweite Informations- und Solidarisierungskampagne, aber auch die regionale Vernetzung erscheint mir ganz wichtig, um eine Solidarisierung auch noch so kleiner Initiativen zu erreichen. Wie vorher schon gesagt: es kann jede/n treffen! Aktuell: Am 11. 03.2009 wurden Mitglieder des Vereins RespekTiere von der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt zu Verhören vorgeladen. Der Grund: Sie werden verdächtigt, gegen den Paragrafen 278 a verstoßen zu haben - das heißt, die bisherigen Proteste sind vorerst ohne Wirkung geblieben, die Repression geht weiter Solidarität ist jetzt wichtiger als je zuvor!


Weitere Informationen zu den Paragrafen 278 ff

Bundesweite Bürger_inneninitiative zu den Paragrafen 278 ff:
www.278.at

Unterschriftenliste zur Novellierung der Paragrafen 278 ff:
www.werkstatt.or.at

Gesetzestexte, Hintergründe, Kommentare:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=blogcategoy&id=56&Itemid=77


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Quelle:
guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009, Seite 9
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2009