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STRAFRECHT/357: Gefährliche Entgrenzung - zum neuen Antiterror-Strafrecht (Rolf Gössner)


Gefährliche Entgrenzung

Kommentar zum neuen Antiterror-Strafrecht

Von Rolf Gössner, 14.01.2009


Schon wieder wird im Antiterrorkampf an der Aufrüstungsspirale gedreht. Geht es nach dem Bundeskabinett, dann soll künftig jemand schon dafür bestraft werden, dass er Kontakt zu einer mutmaßlichen Terrorgruppe aufnimmt - ein einmaliges Treffen soll ausreichen. Oder dass er sich in einem Ausbildungslager, einer Flugschule oder in einem Steinbruch im Umgang mit bestimmten Waffen oder Stoffen unterweisen lässt. Diese neuen Regelungen bedeuten - so ist sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bewusst - eine Vorverlagerung der Strafbarkeit sehr weit ins Vorfeld des Verdachts und strafbarer Handlungen - verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Doch um solchen Bedenken zu begegnen, hat Frau Zypries nach langem Ringen mit ihrem Ministerkollegen Wolfgang Schäuble durchsetzen können, dass die verdächtige Person zusätzlich die Absicht haben muss, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten.

Sind damit, wie die Justizministerin versichert, rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt? Mitnichten. Denn mit dem neuen Staatschutzrecht wird ein neues uferloses Antiterrorsystem aufgebaut - parallel zu dem berühmt-berüchtigten Paragrafen 129a Strafgesetzbuch, der die Bildung einer terroristischen Vereinigung, die Mitgliedschaft und das Unterstützen unter Strafe stellt. Zweck oder Tätigkeit einer solchen terroristischen Vereinigung müssen darauf gerichtet sein, bestimmte Delikte - von Mord bis zu schweren Sachbeschädigungen - zu begehen. Entsprechende Zielsetzungen reichen jedoch schon aus, den Tatbestand zu erfüllen - Straftaten müssen noch keine begangen worden sein. Schon mit diesem Antiterrorsystem der ersten Generation aus den 1970er Jahren ist also eine Vorfeldkriminalisierung verbunden. Galten in Zeiten der RAF solche Organisationen mit einer Mindestgröße von drei Mitgliedern noch im Vergleich zu Einzeltätern als weit gefährlicher, so hat sich diese Sicht in Zeiten des islamistischen Terrorismus geändert. Das neue Terrorstrafrecht sei angesichts der zwei Kofferbomber und der mutmaßlichen Anschlagsplanungen der sogenannten Sauerland-Gruppe notwendig, weil es sich hier um Täter handele, die - anders als bei der RAF - ohne feste Einbindung in hierarchisch aufgebaute Gruppen agieren, so dass die Paragrafen 129a und b auf sie nicht anwendbar seien. Deshalb sollen nun auch Einzeltäter, Zweiergruppen und lose Netzwerke ohne jeglichen Bezug zu einer terroristischen Vereinigung wie festgefügte Terrorgruppen behandelt werden und auch das ganze Ausforschungsarsenal des bestehenden Antiterrorsystems zu spüren bekommen. Die Strafandrohung: bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug.

So plausibel eine Strafandrohung etwa im Fall einer Ausbildung in einem ausländischen "Terrorcamp" auf den ersten Blick erscheinen mag, so problematisch ist sie bei genauerem Hinsehen. Wie will man beweisen, dass jemand in einem Trainingslager zum Terroristen umgeschult und tatsächlich ein solcher geworden ist? Dass er unmittelbar und konkret Gewalttaten plant, soll offenbar keine Voraussetzung sein - ein subjektiver Anschlagswille reicht; wie aber soll der bewiesen werden? Wir haben es also mit einem Gefährdungsdelikt ohne konkreten Tatbezug weit im Vorfeld des Verdachts zu tun - eine unverhältnismäßige und gefährliche Entgrenzung des herkömmlichen Tatstrafrechts. Und aufgrund welcher Erkenntnisse soll etwa die Art des Kontakts, des Camps und der Fortbildung beurteilt werden?

Will man sich dann etwa auf dubiose Erkenntnisse von Geheimdiensten verlassen oder auf Aussagen, die im Ausland unter Folter zustande gekommen sind? Auch das wäre mit rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards nicht zu vereinbaren.


Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt/Publizist, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin)

Veröffentlichung zum Thema:
Rolf Gössner
Menschenrechte in Zeiten des Terrors
Kollateralschäden an der "Heimatfront"
Hamburg 2007; 280 Seiten, 17 Euro

© 2009 Rolf Gössner


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Quelle:
Rolf Gössner, 14. Januar 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors
www.rolf-goessner.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009