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STRAFRECHT/351: DAV fordert angemessene Entschädigung von Justizopfern (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 18. November 2008

DAV fordert Justizministerkonferenz auf, Justizopfer angemessen zu entschädigen


Berlin (DAV). Am 20. November 2008 wird die Justizministerkonferenz in Berlin über eine Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht Inhaftierte diskutieren. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert eine Reform einer solchen immateriellen Haftentschädigung, die auf eine deutliche Erhöhung hinauslaufen muss. Es könne nicht sein, dass seit rund 21 Jahren der Betrag der Entschädigung unverändert bei 11 Euro pro Tag unschuldiger Haft liegt.

Einige Bundesländer lehnen eine Erhöhung generell ab, andere sprechen sich für eine Erhöhung von 15 Euro bis 17 Euro aus. Lediglich Berlin und mittlerweile Brandenburg streben eine deutliche Erhöhung auf bis zu 100 Euro an. Der DAV hält auch eine Regelung für möglich, die auf eine betragsmäßige Fixierung gänzlich verzichtet und eine "angemessene Entschädigung" vorschreibt.

"Es geht letztlich um den Wert der Freiheit und darum, wie der Rechtsstaat mit den durch sein Verhalten geschädigten Menschen umgeht und wie er diese Opfer für das erlittene Unrecht angemessen entschädigt", betont Rechtsanwalt Hartmut Kilger, DAV-Präsident. Der nunmehr fast 21 Jahre geltende Betrag sei mehr als kleinlich. Diskussionen über eine Erhöhung, die sich um einen Betrag von 20 Euro bewegt, seien dies ebenfalls. Man müsse sich fragen, ob der Begriff "Entschädigung" nicht in diesem Zusammenhang verhöhnt werde. "Ist dem Staat ein Tag in Freiheit nur 11 Euro wert?", fragt Kilger.

Nach Vorstellung des DAV könnte auf eine generelle betragsmäßige Fixierung gänzlich verzichtet werden. Die Festschreibung eines Pauschalbetrags hat zwar den Vorteil, dass dessen Höhe außer Streit steht und eine schnelle und unbürokratische Entschädigungsleistung ermöglicht wird. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber, dass eine kontinuierliche und sorgfältige Anhebung des Betrages nicht gewährleistet ist.

Kilger hierzu: "Aus diesem Grund wurde in Österreich auf eine betragsmäßige Festlegung des ideellen Schadensersatzes gänzlich verzichtet." Demnach müsse der Betrag eine "angemessene Entschädigung" enthalten. Bei der Beurteilung der Angemessenheit sind die Dauer des Freiheitsentzugs sowie die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Personen bzw. deren Änderungen durch die Festnahme zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Regelungen habe sich in Österreich die Praxis herausgebildet, pro Tag zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung mit 100 Euro auszugleichen.

"Der DAV fordert daher auch eine Regelung mit einer ähnlichen Formulierung in Deutschland", so Kilger. Nach Ansicht des DAV sei dies auch durchaus finanzierbar. Das Land Berlin wendet beispielsweise pro Jahr 95.000 Euro an Haftentschädigung auf, das Saarland zwischen 80.000 Euro und 90.000 Euro, Hamburg 45.000 Euro. Selbst wenn es hier zu vergleichbaren Verhältnissen wie in Österreich mit einer Verzehnfachung käme, wäre dies also finanzierbar.

Beim Blick auf vergleichbare Fälle ist dies nach Ansicht des DAV auch angemessen:

So hat das Amtsgericht Osnabrück 1988 bei einer ungerechtfertigten Festnahme durch einen Kaufhausdetektiv von etwa einer Stunde dem Opfer einen Schadensersatz von 250 DM (127,82 Euro) zugesprochen. Das Landgericht Karlsruhe hat am 31. Oktober 2001 500 DM (255,65 Euro) für einen Tankstellenpächter für angemessen erachtet, der ohne ausreichende Ermächtigungsgrundlage durch einen Polizeibeamten auf das Revier verbracht wurde (35 min Freiheitsentziehung).

Heranziehen lassen sich auch die Regelungen im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5 V EMRK), die in den Fällen, in denen das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) keine Anwendung bei zu gewährender Haftentschädigung findet, z. B. zu Unrecht erlittene Auslieferungshaft aufgrund europäischen Haftbefehls oder Abschiebehaft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 1987 in einem Fall für eine rechtswidrige Abschiebehaft von 12 Stunden 100.000 FRF (15.244,90 Euro) zugesprochen. In einem Fall in den Niederlanden ging es um die rechtswidrige Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, der EGMR hat 1990 einen Tagessatz von 45 Euro zugesprochen. Einen Tagessatz von knapp 60 Euro sprach er einem Opfer in Frankreich im Jahre 1992 zu.

"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht also Entschädigungen von mehr als 50 Euro pro Tag zu, wenn lediglich eine Verletzung von Art. 5 EMRK vorliegt. Bei der Verletzung weiterer Rechte steigen die Beträge", betont Kilger. Die im Übrigen in diesem Zusammenhang nur im geringen Umfang veröffentlichte deutsche Rechtsprechung biete hier ein uneinheitliches Bild. Das zuständige Landgericht Hamburg habe jedenfalls einen Betrag von 100 Euro für eineinhalb Tage unrechtmäßiger Abschiebehaft für angemessen gehalten (Beschluss vom 17. April 2003; AZ: 303 O 50/03).

Die Forderung des DAV, der sich hier einer Initiative des Berliner Anwaltsvereins anschließt, findet auch Unterstützung in verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages. Der DAV appelliert an die Bundesländer, eine Entschädigung angemessen und nicht kleinlich zu regeln.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 35/08 vom 18. November 2008
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2008