Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

REDE/025: Zypries - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, 28.05.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,
zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
vor dem Deutschen Bundestag am 28. Mai 2009 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen!

Mit den fünf Gesetzen, die wir heute hier, im Deutschen Bundestag, beschließen, vollenden wir das strafrechtliche Arbeitsprogramm der Großen Koalition. In den vergangenen vier Jahren haben wir knapp 30 Projekte realisiert. Damit haben wir nicht nur den Koalitionsvertrag erfüllt, sondern wir haben auch eine Menge erreicht: Wir haben mehr Sicherheit geschaffen, wir haben Opfer besser geschützt, und wir haben den Rechtsstaat gestärkt.

Zunächst zur Sicherheit. Immer wieder müssen wir bestehende, neu identifizierte Schutzlücken im materiellen Strafrecht schließen. Das tun wir auch jetzt mit dem GVVG. Künftig kann bestraft werden, wer sich zur Begehung von Terroranschlägen einer Ausbildung unterzieht. Wir stellen auch das Verbreiten von Anschlagsplänen im Internet unter Strafe. Mit diesem Gesetz reagieren wir auf neue Organisationsformen des Terrorismus. Auch Einzeltäter, die wir zunehmend beobachten, können künftig angemessen bestraft werden. Polizei und Justiz brauchen außerdem die nötigen Ermittlungsinstrumente. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, um Straftaten aufklären zu können.

Schließlich brauchen wir auch ein Prozessrecht, das hilft, Anschläge und andere schwere Verbrechen zu verhindern. Deshalb ist die Kronzeugenregelung, die wir heute beschließen, so wichtig. Das Verhalten eines Täters nach der Tat, Herr Kollege Ströbele, konnte schon immer strafmildernd berücksichtigt werden. Das schreiben wir jetzt ausdrücklich ins Gesetz. Zudem schaffen wir klare Vorgaben, in welchem Umfang Strafen gemildert werden können. Das schafft sehr viel mehr Transparenz und erhöht den Anreiz für eine Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz.

Trotzdem haben wir dafür gesorgt, dass auch in Zukunft niemand seiner gerechten Strafe entgeht, indem wir im Gesetz zum Beispiel festgeschrieben haben, dass bei Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht unter ein Strafmaß von zehn Jahren erkannt werden darf. Übermäßige Milderungen wird es also nicht geben. Das verhindert das Gesetz.

Der Kampf gegen latente Gefahren des Terrorismus ist wichtig. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Menschen vor den konkreten Alltagsgefahren sicher sind und sich sicher fühlen. Auch diesbezüglich hat die Große Koalition gehandelt und zum Beispiel den Schutz vor Stalking verbessert. Inzwischen sind mehrere Tausend Verfahren zu diesem Straftatbestand anhängig. Das zeigt, dass das eine notwendige Maßnahme war. Diese Maßnahme kommt vor allem Frauen zugute; denn mehr als 80 Prozent der Opfer sind Frauen.

Wir haben außerdem den Kampf gegen Kindesmissbrauch gestärkt und das erweiterte Führungszeugnis eingeführt. Das erhöht den Schutz der Kinder; denn jeder, der künftig beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten will, muss durch Vorlage eines solchen Führungszeugnisses nachweisen, dass er nicht einschlägig vorbestraft ist.

Jugendliche können aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter werden. Deswegen haben wir zum Schutz vor jugendlichen Gewalttätern zwischen 14 und 17 Jahren den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherheitsverwahrung ausgedehnt. Wir haben außerdem das Jugendgerichtsgesetz ergänzt. Dort ist nun ausdrücklich festgeschrieben: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe. Das ist ein deutliches Bekenntnis zu einer modernen Kriminalpolitik, und es ist eine klare Absage an jene, die ständig nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts rufen.

Zu einem fairen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit gehört aber auch die Stärkung der Bürgerrechte und des Rechtsstaates. Auch das hat die Große Koalition mit Veränderungen in dieser Legislaturperiode angepackt. Wir haben vor allem mit der Neuregelung der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Maßstäbe gesetzt. Wir haben dort die Eingriffsvoraussetzungen verschärft, dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt, den Schutz der Berufsgeheimnisträger gestärkt und den Schutz gegen Überwachungsmaßnahmen ausgebaut.

Heute stärken wir den Rechtsstaat erneut: Wir stellen die Beschränkungen für Untersuchungsgefangene, die über die Freiheitsentziehung hinausgehen, zum Beispiel die Postkontrolle, auf eine klare gesetzliche Grundlage. Wir sorgen auch dafür, dass Gefangene Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen haben. Wichtig ist zudem: Künftig müssen die Betroffenen schon bei der Festnahme belehrt werden, und von Beginn der Haft an wird ihnen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt.

Außerdem wird heute durch einen Gesetzesbeschluss die Entschädigung für all jene erhöht, die zu Unrecht hinter Gittern saßen. Die Kosten dafür tragen die Länder; das ist so in diesem föderalen System. Ich bin den Ländern dafür dankbar, dass diese Initiative von ihnen ausgegangen ist.

Die vorgeschlagene Erhöhung der Entschädigung für den immateriellen Schaden von elf Euro auf 25 Euro pro Tag ist notwendig und richtig. Richtig ist auch, dass wir pauschal entschädigen, weil Ansehen, Vorleben, Prominenz oder Einkommen an dieser Stelle keine Rolle spielen dürfen. Die Freiheit der Betroffenen muss dem Staat in jedem Falle gleich viel wert sein.

Um Gleichheit geht es auch bei dem letzten Projekt, das wir heute verabschieden: der Verständigung im Strafverfahren. An dieser Stelle gibt es immer ein großes Missverständnis: Verständigungen sind - entgegen weitverbreiteter Ansicht, vor allen Dingen in der Presse - keine Privilegien für Weiße Kragen-Täter; vielmehr sind sie in unserer Justiz gerade bei "kleinen Fischen" Alltag. Der Unmut ist auch deshalb entstanden, weil Verfahren zu spektakulären Einzelfällen in der Vergangenheit zu wenig transparent waren. Genau das wollen wir mit unserem Gesetz ändern: Wir wollen die Verständigung aus den Gerichtsfluren und den Hinterzimmern holen und in das Licht der Hauptverhandlung rücken. Das sorgt für mehr Transparenz und stärkt auch das Vertrauen in die Justiz.

Eines muss klar sein: Egal wie prominent, wie bekannt, wie reich ein Angeklagter ist und egal wie gut seine Anwälte sind: Vor dem Gesetz müssen auch weiterhin alle gleich sein. Richtig ist deswegen, dass wir kürzlich die Tagessätze bei Geldstrafen erhöht haben, und zwar von 5.000 Euro auf bis zu 30.000 Euro, je nach Tagesverdienst einer Person. Das heißt: Wir können künftig auch Topverdiener angemessen bestrafen.

Entscheidend bleibt allerdings, dass komplexe Wirtschafts- und Steuerstraftaten von der Justiz vollständig aufgeklärt werden. Deswegen müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte personell ausreichend ausgestattet sein. Sie wissen, dass meine Schlussfolgerung zu diesem Thema unter dem Schlagwort steht: Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz.

Dafür hat der Deutsche Bundestag in dieser Wahlperiode eine Menge getan. Ich denke, die Arbeit wird in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden. Ich möchte mich bei all denen hier im Hohen Hause, die in den letzten vier Jahren mit ihrem Engagement dazu beigetragen haben, dass wir weitere Erfolge für den sozialen Rechtsstaat erlangen konnten, recht herzlich bedanken.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 64-1 vom 28.05.2009
Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,
zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vor dem
Deutschen Bundestag am 28. Mai 2009 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2009