Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

REDE/021: Zypries - Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht, 20.06.08 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum Gesetzentwurf zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vor dem Deutschen Bundestag am 20. Juni 2008 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!

Die Entscheidung über den Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, ist nicht einfach.

Es geht um die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Straftäter, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden sind. Das sind junge Menschen, die in sehr jungen Jahren eine Straftat begangen haben und dann, wenn sie entlassen werden sollen, natürlich längst aus dem Jugendlichenalter heraus sind.

Die Sicherungsverwahrung bedeutet für die Betroffenen einen schwerwiegenden Freiheitseingriff. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass wir die Allgemeinheit wirksam vor Schwerststraftätern schützen müssen. Deswegen haben wir lange und auch kontrovers über diesen Gesetzentwurf diskutiert. Wir waren uns aber einig, dass wir bei ganz wenigen jugendlichen Straftätern - quasi als Ultima Ratio - auch diese Möglichkeit der Sicherungsverwahrung brauchen. Es war uns immer klar: Eine Sicherungsverwahrung für junge Menschen ist ein sehr viel schärferer Eingriff, als dies bei Erwachsenen der Fall ist, weil man bei der Prognose hinsichtlich der Entwicklung junger Menschen sagt, dass sie sich auch ändern können.

Deswegen haben wir Zweierlei getan: Zum einen haben wir die Hürden ausgesprochen hoch gesetzt, zum anderen haben wir geregelt, dass die Zeitabstände zwischen den Überprüfungen geringer als bei der normalen Sicherungsverwahrung sind. Hier wird künftig immer schon nach einem Jahr überprüft, ob die Angebote, die in den Haftanstalten gemacht werden, wahrgenommen wurden und auch gefruchtet haben; denn natürlich werden all diese Täter, für die eine Sicherungsverwahrung festgelegt wurde, weiter therapiert beziehungsweise werden ihnen Therapieangebote gemacht. Ihnen wird also die Möglichkeit gegeben, Einfluss auf die Prognoseentscheidung zu nehmen.

Wir haben besonders hohe Hürden definiert:

Erstens muss der Täter zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verurteilt worden sein,

zweitens muss es sich bei der Tat um ein Gewaltverbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit gehandelt haben - das heißt mit anderen Worten: Vermögensdelikte und Ähnliches scheiden aus -,

drittens ist die Sicherungsverwahrung nur möglich, wenn diese Taten zu einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung bei dem Opfer geführt haben,

und viertens muss die Wahrscheinlichkeit beziehungsweise Prognose bestehen - diese muss durch Gutachten belegt sein -, dass der Täter nach seiner Entlassung wieder solche Straftaten begehen wird.

Nun gibt es Kritik an diesem Gesetzentwurf. Es gibt sie von der einen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen viel zu hoch angesetzt sind, und es gibt sie von der anderen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen viel zu niedrig angesetzt sind. Die einen sagen, die Sicherungsverwahrung sei generell nichts für Jugendliche und dürfe es für sie gar nicht geben, die anderen sagen, wir müssten sie schon bei sehr viel weniger schweren Delikten und geringeren Strafen zulassen.

Auch hier ist es so, wie das bei den Gesetzentwürfen im Bereich der Justiz, die wir hier beraten, in der Regel der Fall ist: Es gibt Kritik von beiden Seiten, und der Gesetzentwurf geht in der Regel in der Mitte durch.

Damit zeigt sich, dass wir das gefunden haben, was der Abgeordnete Benneter mit Recht die "goldene Mitte" nennt. Vielen Dank für die Hilfe. Deswegen glaube ich, dass das richtig ist.

Es ist wichtig, dass wir reagieren können, wenn es erforderlich ist. Wir wissen aus den Bundesländern, dass es Einzelfälle gibt, in denen es zum Schutze der Opfer und zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist, sicherzustellen, dass die entsprechenden Täter nicht wieder die Möglichkeit haben, andere zu vergewaltigen oder andere schwerste Straftaten an Personen zu begehen.

Wie gesagt: Ich weiß um die Schwierigkeit dieses Projektes. Die Tatsache, dass wir lange darüber diskutiert haben, zeigt Ihnen, dass wir die Debatte durchaus ernst genommen haben. Ich danke für die konstruktive Diskussion innerhalb der Koalition und hoffe, dass wir dieses schwierige Projekt mit der Abstimmung heute zu einem guten Abschluss bringen werden.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 69-2 vom 20.06.2008
Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum
Gesetzentwurf zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung
bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vor dem Deutschen Bundestag
am 20. Juni 2008 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2008