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REDE/017: Zypries zur Reform der Telekommunikationsüberwachung (BNA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zur Reform der Telekommunikationsüberwachung vor dem Deutschen Bundestag am 30. März 2007 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich den Gesetzentwurf der Grünen ansieht und wenn man die heutige Debatte verfolgt, dann muss man sagen: Im Grundsatz sind wir uns einig. Es geht nur noch darum, wie wir die Bürgerinnen und Bürger besser vor übermäßigen staatlichen Eingriffen schützen.

Wir wollen heimliche Ermittlungsmaßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung rechtsstaatlicher regeln. Wir wollen das Zeugnisverweigerungsrecht besser sichern, und wir werden den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung auch in der Strafprozessordnung verankern.

Die Bundesregierung das ist bereits erwähnt worden wird in Kürze einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen; genauer gesagt, legen wir ihn am 18. April dieses Jahres dem Kabinett vor. Das ist notwendig. Denn der Gesetzentwurf der Grünen enthält zwar sehr viele richtige Ansätze, aber nicht die Regelungen, die wir uns vorstellen. Deswegen, Herr Montag, vielen Dank für Ihre Nachsicht, dass Sie akzeptieren, dass wir einen eigenen Vorschlag machen.

Das, was Sie vorgelegt haben, ist nicht genau das, was wir wollen. Sie nehmen nur punktuelle Veränderungen bei den Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation vor. Nur dafür und für die Abfrage von Verbindungsdaten wollen Sie das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger neu regeln. Das ist eine Fortsetzung genau des Dilemmas, das uns bereits sehr viele Probleme eingebrockt hat. Wir meinen, wir sollten jetzt nicht wieder an einzelnen Punkten Veränderungen vornehmen, sondern das Ganze in den Blick nehmen und eine neue, harmonische Gesamtregelung treffen, die alle heimlichen Ermittlungsmethoden umfasst. Daneben brauchen wir ein Konzept zum Schutz der Berufsgeheimnisträger gegenüber allen Ermittlungsmaßnahmen, ganz gleich, ob verdeckt oder offen.

Ein Beispiel dafür, dass Ihr Gesetzentwurf auf der anderen Seite weit über das Ziel hinausschießt, sind die Regelungen zu den Berufsgeheimnisträgern. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Anknüpfung an den Kernbereichsgedanken eine absolute Schutzbedürftigkeit von Strafverteidigern und Seelsorgern anerkannt. Das ist völlig richtig, und das wird selbstverständlich auch beachtet werden. Für die Abgeordneten dieses Hauses und für die Abgeordneten der Landtage lässt sich ein solcher absoluter Schutz aus dem Gedanken des Artikels 47 Grundgesetz beziehungsweise aus den entsprechenden Regeln der Landesverfassungen ableiten.

Für die übrigen Berufsgeheimnisträger hat Karlsruhe dagegen mehrfach ausdrücklich festgestellt, dass ein absoluter Schutz verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Hier dürfte, das meinen wir wenigstens, das allgemeine Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung nicht zurückstehen. Genau das wäre aber die Konsequenz Ihres Gesetzentwurfs, die, wie gesagt, verfassungsrechtlich nicht geboten ist.

Dieser Verzicht auf einen vernünftigen Interessenausgleich geht noch weiter: Nicht nur in der Frage, wer absoluten Schutz genießt, schießen Sie über das Ziel hinaus, sondern auch in der Frage, wie weit dieser Schutz reicht, fehlen Differenzierungen. Sie knüpfen nicht an die Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts an, sondern stellen allein auf die Person des Berufsgeheimnisträgers ab. Was das für Folgen hätte, will ich Ihnen verdeutlichen: Angenommen, ein Rechtsanwalt führt ein Telefongespräch, das mit seiner Rolle als Verteidiger nichts zu tun hat. Dann wird es von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nicht erfasst. Abhören dürfte man dieses Gespräch nach Ihren Vorstellungen nicht; denn Sie sagen: Einen Rechtsanwalt darf man nicht abhören. Sie knüpfen ja nur an der Person des Anwalts an. Falsch? Wenn es falsch ist, dann werden wir das im Verfahren diskutieren; das ist kein Problem.

Als Zeuge aussagen über dieses Telefonat müsste der Anwalt hingegen er hat ja in dieser Hinsicht kein Zeugnisverweigerungsrecht. Das, glauben wir, wäre unsystematisch. Wenn ich Sie da falsch verstanden habe, Herr Montag, nehmen wir das gerne auf und werden das im Verfahren erörtern. Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, jemand wickelt seine kriminellen Drogengeschäfte über das Telefon ab, macht das aber nicht von seinem eigenen Anschluss aus, sondern von dem Anschluss der unter ihm wohnenden Hebamme, die natürlich mit diesen Drogengeschäften gar nichts zu tun hat. Für die Hebamme bestünde kein Zeugnisverweigerungsrecht. Aber weil es ihr Telefon ist, wäre dieses Telefon pauschal von Überwachungsmaßnahmen ausgenommen. Das kann nicht das sein, was wir wollen.

Aber noch einmal, Herr Montag: Wenn es nicht so gemeint war, dann wird es umso eher möglich sein, dass wir uns im Verfahren in der Sache einigen.

Wir brauchen im Gesetz eine klare Regelung dafür, bei der Verfolgung welcher Straftaten eine Telefonüberwachung überhaupt zulässig ist; Herr Gehb hat darauf schon angespielt. Das leistet der vorliegende Entwurf nach unseren Vorstellungen nur eingeschränkt. Er will nämlich die Zahl der Abhörmaßnahmen reduzieren. Tatsächlich führt er aber doch zu einer erheblichen Erweiterung der Überwachungsmaßnahmen. Das mag von Ihnen nicht gewollt sein, es ist aber Fakt. Die vorgeschlagene Regelung würde zur Folge haben, dass in Zukunft über den bisherigen Straftatenkatalog hinaus bei weiteren 320 Delikten Abhörmaßnahmen zulässig wären.

Sogar bei einfachen Delikten, bei denen die Folgen nur fahrlässig herbeigeführt werden, wollen Sie diese Maßnahmen zulassen. Wir meinen, das ginge zu weit. Ich vermute, dass das auch nicht die Intention der Grünen gewesen sein kann. Es kann sich da nur um einen Irrtum handeln.

Die Telefonüberwachung nicht mehr an konkrete Straftaten, sondern an allgemeine Kriterien zu koppeln, ist schwierig; darüber haben wir schon in der vergangenen Legislaturperiode öfter diskutiert. Wir wissen seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Polizeigesetz, dass die Überlegung, solche allgemeinen Kriterien zu finden, um von der Hydra der Listung wie Sie es genannt haben, Herr Montag wegzukommen, nicht mehr möglich ist. Wir meinen, dass diese Karlsruher Entscheidung so auszulegen ist, dass wir darlegen müssen, inwieweit die Telefonüberwachung ein erforderliches und ein angemessenes Mittel ist, um eine bestimmte Straftat zu verfolgen.

Wie wollen Sie denn begründen, dass beim Tatbestand der Verleumdung oder der Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel eine Telefonüberwachung nötig ist? Wegen der Höhe der Strafandrohung wäre sie nach Ihrem Entwurf in beiden Fällen zulässig. Ich glaube aber, dass das nicht die richtige Idee ist.

Der von Ihnen vorgeschlagene Kriterienkatalog besitzt noch ein weiteres Manko das hat Herr van Essen angesprochen , nämlich die Verurteilungsprognose. Herr van Essen, ich teile Ihre Ansicht. Als ehemaliger Staatsanwalt wissen Sie noch besser als ich, dass die Frage, wie man am Beginn eines Ermittlungsverfahrens sagen will, was hinterher bei der Verurteilung herauskommt, im Grunde nicht zu beantworten ist. Wir alle wissen, dass in der Strafprozessordnung zwischen dem Ermittlungs- und dem Hauptverfahren unterschieden wird. Erst am Ende der Hauptverhandlung kennt man alle Gesichtspunkte, die für die Strafzumessung entscheidend sind und die man gegeneinander abwägen muss. Das Motiv der Tat, die Art der Ausführung, der Schaden, ein mögliches Geständnis und nicht zuletzt die Person des Täters alles muss berücksichtigt werden. Das können Sie natürlich nicht am Anfang eines Ermittlungsverfahrens, sondern erst am Ende.

Was passiert eigentlich, wenn am Ende statt der erwarteten zwölf Monate nur elf Monate herauskommen? War die Abhöraktion dann von vornherein rechtswidrig, oder wie wollen wir mit solchen Fällen verfahren? Kann man dann gegen diese Maßnahme beziehungsweise das Urteil mit Rechtsbehelfen vorgehen?

Das alles zeigt, dass wir diese Erwägungen entweder noch sehr viel gründlicher diskutieren müssen oder noch besser doch den Entwurf der Bundesregierung zugrunde legen sollten, der, wie gesagt, nächsten Monat vorgelegt werden wird.

Ich meine, wir müssen mit dem Gesetz einen gerechten Ausgleich zwischen zwei widerstreitenden Interessen schaffen, nämlich zwischen dem Interesse des Einzelnen am Schutz vor übermäßigen Eingriffen des Staates in seine Freiheit und dem allgemeinen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung. Ich glaube nicht, dass man das dadurch erreicht, dass man einfach postuliert, die Zahl der Überwachungsmaßnahmen solle reduziert werden. Das ist schon deshalb verfehlt, weil es gar kein Übermaß an Telefonüberwachung gibt. Über dieses Thema haben wir uns hier ja schon häufiger auseinandergesetzt.

Sie alle kennen die Studie des Max-Planck-Instituts, in der es zu dem Schluss gekommen ist, dass die Telekommunikationsüberwachung ich zitiere wörtlich ein wichtiges und unabdingbares Ermittlungsinstrument ist, das in der Praxis zielgerichtet und umsichtig Verwendung findet. In dieser Studie wird auch aufgezeigt, dass es einen Rückgang der Überwachungsdichte gibt; denn dass die Zahlen ansteigen, liegt nicht daran das ist die übliche Erklärung , dass mehr Personen überwacht werden, sondern schlicht daran, dass die einzelnen Personen mehrere Anschlüsse haben, die überwacht werden.

Herr Ströbele, in der Studie wird das so dargelegt, und durch die Zahlen, die wir bei verschiedenen Kleinen und Großen Anfragen dazu vorgelegt haben, wird das auch belegt. Sie können jetzt sagen, dass das nicht stimmt. Wir müssten dann diesbezüglich vielleicht einmal eine genauere Exegese durchführen. Zumindest ist das der Kenntnisstand, den das Justizministerium diesem Hause seit mehreren Jahren unterbreitet.

Richtig ist allerdings das ist schon mehrfach gesagt worden , dass es bei der Benachrichtigungspraxis und bei der Kontrolle noch Defizite gibt. Wir wollen deshalb die Benachrichtigungspflichten in dem Gesetzentwurf ausdrücklich regeln, um das Defizit, das in dem Gutachten des Max-Planck-Instituts dargelegt wurde, zu beheben, und wir wollen den Richtervorbehalt stärken. Das brauchen wir aber bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.

Deshalb noch einmal der Gedanke vom Anfang: Wir sollten zusehen, dass wir ein harmonisches Gesamtkonzept schaffen. Dazu werden wir, wie angekündigt, einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem ein fairer Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger an einem Nichteingriff in ihr Grundrecht und den berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger an der Garantie ihrer Sicherheit vorgesehen sein wird. Dass die Telefonüberwachung eine der wirksamsten Ermittlungsmaßnahmen schlechthin ist, wissen wir. Deswegen können wir gar nicht auf sie verzichten. Wir müssen einfach nur zusehen, dass wir ihren Einsatz sachgerecht und verhältnismäßig regeln. In diesem Sinne das verspreche ich Ihnen bekommen Sie von uns einen Gesetzentwurf.


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Quelle:
Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zur Reform der
Telekommunikationsüberwachung vor dem Deutschen Bundestag am 30. März
2007 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2007