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POLIZEI/001: Verfassungsgericht begründet Mittel gegen renitente Polizeibehörden (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Pressemitteilung vom Donnerstag, 10. Dezember 2009

Verfassungsgericht begründet Mittel gegen renitente Polizeibehörden

Von Elke Steven


Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im November 2009 zwei Demonstrationsbeobachtern das Recht auf Schmerzensgeld zugesprochen (1 BvR 2853/08). Im Jahr 2001 waren Helga Dieter und Ulrich Billerbeck als Demonstrationsbeobachter des Komitee für Grundrechte und Demokratie im Wendland unterwegs. Außerhalb der Demonstrationsverbotszone wurden sie aus ihrem Auto heraus festgenommen und mehrere Stunden unter unzumutbaren Bedingungen in Gewahrsam gehalten. Im März 2007 stellte das Amtsgericht Uelzen die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung fest. Die bereits im Juli 2004 erhobene Amtshaftungsklage führte jedoch weder beim Landgericht Lüneburg noch beim Oberlandesgericht Celle zum Erfolg. Die Gerichte argumentierten, die "maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion" sei "bereits durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme" erfüllt.

Die Geschichte der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts ist voll von solchen Geschichten. Der "Hamburger Kessel" vom 8. Juni 1986 war rechtswidrig. Die Zivilgerichte sprachen den Teilnehmern immerhin ein Schmerzensgeld von 200 DM zu. Die Anzahl der polizeilichen Kessel seit dieser Rechtsprechung ist ungezählt. Im Wendland wurden ganze Dörfer - rechtswidrig - eingekesselt. Solange dies allenfalls juristisch festgestellt wird, daraus aber keine Konsequenzen für die Polizei entstehen, bleiben diese Urteile folgenlos. Geringe Schmerzensgeldzahlungen, die sowieso nur selten durchgesetzt werden können, kann sie sozusagen aus der Portokasse bezahlen.

Illegale Haft erfordert spürbare Konsequenzen

Das BVerfG belehrt die Gerichte nun jedoch, dass nicht nur der "Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet". Wenn, wie hier, zusätzlich das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, gilt dies erst recht. Gerade der illegale Freiheitsentzug gebietet einen angemessenen Ausgleich, um dem Verkümmern des Rechtsschutzes entgegenzuwirken. Des weiteren bemängelt das höchste Gericht, dass auch die Bedingungen des Gewahrsams allzu oberflächlich als unvermeidbar bei Großeinsätzen gerechtfertigt wurden. Es hätte geprüft werden müssen, ob die dadurch entstandenen Rechtseinbußen bei sorgfältiger Planung nicht hätten vermieden werden können.

Aber nicht nur die Grundrechte aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 GG haben die unteren Gerichte nicht ausreichend gewürdigt. Zu beanstanden sei, dass das OLG die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme auf die Ausübung von Grundrechten nicht erkannt hätte. Nicht nur derjenige, der eine derartige Behandlung erfahre, sondern auch alle potentiellen Demonstrationsteilnehmer könnten vom künftigen Gebrauch ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) abgeschreckt werden. Die Demonstrationsbeobachtung sei zudem durch dieses Grundrecht in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Das Gericht formuliert: "Zu beanstanden ist weiter, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten - namentlich die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Teilnahme an Demonstrationen oder deren von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Beobachtung - zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann."

Rechtsschutz darf nicht verkümmern

Die beiden Demonstrationsbeobachter hatten auf verhältnismäßig geringe Entschädigungen geklagt. Sie wollten für die je unterschiedlichen Grundrechtsverletzungen im Gewahrsam 500,- und 2000,- Euro Schmerzensgeld. Über die Höhe dieses Betrags wird das Landgericht Lüneburg nun zu entscheiden haben. Bei einem unverfänglichen, aber heimlich aufgenommenen Foto des Fürstenehepaares von Monaco hat der Bundesgerichtshof immerhin eine Entschädigung von 150.000 DM (dem Kleinkind) und 125.000 DM (der Mutter) zugesprochen. Erst wenn solche Beträge nicht mehr aus der Portokasse zu zahlen sind, wird die Polizei vielleicht ihre illegalen Vorgehensweisen etwas seltener einsetzen. Dafür bedarf es allerdings noch häufig des langen Klage-Atems.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 10. Dezember 2009
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2009