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MELDUNG/278: Hoffnung für misshandelte Menschenrechtlerin aus Mazedonien (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht - Berlin, 17. Oktober 2013

Hoffnung für misshandelte Menschenrechtlerin

Junge Frau Opfer der Polizei in Mazedonien - Verwaltungsgericht verbietet angedrohte Abschiebung



Berlin (DAV). Der Brief war ein Schock: Anträge abgelehnt und Aufforderung zur Ausreise innerhalb von einer Woche, sonst Abschiebung nach Mazedonien. Die junge Aktivistin wurde von der Polizei drangsaliert, bei einem Vorfall verlor sie ihr ungeborenes Kind. Als genug Geld da war, floh sie nach Deutschland. Doch hier sollte sie keinen Schutz erhalten - aus formalen Gründen, so die Meinung des für Asylverfahren zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Der Antrag sei zu spät gestellt, die Antragstellerin müsse ausreisen. Dem schob das Verwaltungsgericht Oldenburg einen Riegel vor und untersagte vorläufig die Abschiebung.

Nachdem sie in Deutschland aufgewachsen war, hatte sich die Roma nach der Rückkehr nach Mazedonien mit einer kleinen Organisation für Minderheitenrechte eingesetzt, Gewalt staatlicher Stellen dokumentiert und als Wahlbeobachterin gearbeitet. Dies gefiel offenbar der örtlichen Polizei nicht. Nicht nur wurde der Ehemann mehrfach geschlagen, es kam auch zu dem folgenschweren Übergriff auf die junge Mutter selbst.

Erst nach einigen Monaten konnte die Familie mit finanzieller Hilfe einer Verwandten alles zurücklassen und nach Deutschland reisen. Hier stellten sie Asylanträge. Doch die Behörde lehnte den Antrag der Frau ab, ohne an der Wahrheit der Angaben zu zweifeln. Diese seien aber zu spät vorgetragen worden und könnten allein deswegen schon aus formalen Gründen nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen sei die Lage der Roma in Mazedonien trotz bekannter gelegentlicher Gewalttaten nicht ausreichend gefährlich für eine Asylanerkennung.

Rechtsanwalt Henning J. Bahr aus Osnabrück traute bei dieser Begründung kaum seinen Augen und brachte das Verfahren vor das Verwaltungsgericht Oldenburg. Der zuständige Richter war offenbar auch skeptisch: Man könne nicht einerseits sagen, dass einzelne Fälle von "polizeilichem Fehlverhalten bis hin zur Gewaltanwendung" für einen erfolgreichen Asylantrag nicht ausreichend sind, andererseits vom Flüchtling aber verlangen, dass er sofort danach nach Deutschland reist, um einen wenig erfolgversprechenden Antrag zu stellen. Ein Abwarten, ob die Situation unerträglich bleibt oder wird, könne daher nicht vorgeworfen werden, wenn außerdem das Geld für die Reise fehlt. Es spräche inhaltlich einiges dafür, dass die Antragstellerin bei sachgerechter Prüfung als Flüchtling anerkannt werden könne.

"Das Verhalten der Behörde ist ein erschreckendes Beispiel bürokratischer Gleichgültigkeit. Auch die Anträge des Ehemannes und der Kinder sind abgelehnt worden. Aber das Gericht hat in dem Beschluss durchblicken lassen, dass die Chancen nicht schlecht sind", sagt Rechtsanwalt Bahr. Er blicke daher zuversichtlich auf das weitere Verfahren. Eine getrennte Abschiebung der Familie sei praktisch ausgeschlossen, so der Fachanwalt für Verwaltungsrecht.

Sein Kollege Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein, begrüßte die Entscheidung als Ermutigung, sich gegen staatliche Unterdrückung und Diskriminierung zu engagieren, selbst auf die Gefahr hin, verfolgt zu werden. Zu dem Vorgehen der Bundesbehörde BAMF meint der Experte für Asylrecht: "Menschenrechtspreise zu verteilen, Menschenrechtsaktivistinnen aber nicht vor ihren Häschern zu schützen, erscheint paradox."

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Quelle:
Pressemitteilung Ausl 3/13 vom 17. Oktober 2013
Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht
Deutscher Anwaltverein (DAV)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2013