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MELDUNG/086: Protest gegen Durchsuchungen linker Buchhandlungen in Berlin (Verlag Assoziation A)


Verlag Assoziation A - 27. Oktober 2010

Protest gegen Durchsuchungen linker Buchhandlungen in Berlin


Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe KollegInnen und Kollegen,

von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt ist es in den letzten Monaten zu einer Welle von Durchsuchungen linker Buchhandlungen in Berlin gekommen, die in der jüngeren Geschichte beispiellos ist. Allein in diesem Jahr fanden sechs Mal Razzien gegen engagierte Läden in Berlin statt. Es drängt sich geradezu auf, diese präventiven Repressionsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Neuaufschwung sozialer Protestbewegungen zu sehen - so z.B. gegen Gentrifizierungsprozesse, die Mietraum unerschwinglich machen, gegen Castortransporte und den regierungsamtlichen Kotau vor der Energiemafia, gegen unsinnige Großprojekte wie Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie, gegen Sozialabbau und zunehmende Verarmung.

Linke Gegenöffentlichkeit war immer Voraussetzung und unentbehrlicher Bestandteil sozialer Protestbewegungen. Die Geschichte der Versuche, sie durch Durchsuchungen, Razzien und Strafverfahren einzuschüchtern, zu drangsalieren und letztlich zu kriminalisieren, ist ebenso lang wie unrühmlich. Vorverlagerung des Staatsschutzes nannte man dies früher.

Dass die jüngste Verschärfung staatlicher Zensurmaßnahmen ausgerechnet in einem Bundesland stattfindet, das sich mit dem Label einer rot-roten Regierung schmückt, halten wir für einen beispiellosen Skandal. Dies ist entweder ein Ausweis dafür, wie sich Rot-Rot das Verhältnis zu den sozialen Protestbewegungen vorstellt, oder ein - nicht minder erschreckender - Beleg, dass der Berliner Regeirungskoalition die Kontrolle der politischen Polizei völlig entglitten ist.

Wir protestieren aufs schärfste gegen die jüngsten Repressionsmaßnahmen gegen linke Buchhandlungen in Berlin und solidarisieren uns ausdrücklich mit den Betroffenen. Wir fordern die kritische Öffentlichkeit auf, sich diesem Protest anzuschließen. Den Parteigliederungen der Berliner Regierungskoalition legen wir nahe, das polizeiliche Vorgehen umgehend zum Gegenstand der innerparteilichen Auseinandersetzung zu machen.

Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärung der betroffenen Berliner Buchhandlungen.

Mit besten Grüßen
Theo Bruns & Rainer Wendling


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Erneute Durchsuchungen bei linken Buchläden in Berlin

Heute haben Beamte der Berliner Staatschutzbehörde um 11:15 die Schwarze-Risse-Buchläden im Mehringhof und in der Kastanienalle, den Buchladen oh21 und den Infoladen M99 durchsucht - zum sechsten Mal in diesem Jahr! Die Beamte präsentierten wechselnde Begründungen: Mal geht es um die Beschlagnahmung der linken Szenezeitschrift "Interim", mal um ein antimilitaristisches Flugblatt, mal um die Unschädlichmachung eines Aufrufs für Demonstrationen gegen die Einheitsfeiern in Bremen.

Dieses Mal ging es wieder um die Zeitschrift "Interim". Im Buchladen im Mehringhof strebte die Polizei zudem an, ein weiteres Verfahren wg. Plakaten zu eröffnen, die zur Beteiligung am Protest gegen den kommenden Castortransport im Rahmen der Kampagne "Castor Schottern" aufrufen. Über diesen Antrag auf Erteilung eines weiteren Durchsuchungsbeschlusses wurde jedoch von der Berliner Staatsanwaltschaft offenbar erst einmal negativ beschieden. Die Polizei wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft angewiesen, die Plakate zu fotografieren.


Staatsanwaltschaft will Buchhändler zur Zensur verpflichten!

Begründet werden die Durchsuchungen der Buchläden mit § 130a StGB ("Anleiten zu Straftaten") in Verbindung mit § 40 WaffenG ("Verbotene Waffen inklusive des Verbots, solche herzustellen oder zur ihrer Herstellung aufzufordern"). Bisher ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Händler nicht den Inhalt der Bücher und Zeitschriften in ihrem Sortiment kontrollieren müssen. Laut Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Buchladen Schwarze Risse vertritt, versucht die Staatsanwaltschaft nun, die gängige Rechtsprechung zu revidieren.

Buchhändler sollen also zukünftig für die Inhalte der Schriften haftbar gemacht werden, die sie vertreiben! Damit würden die Möglichkeiten legaler und radikaler Opposition massiv eingeschränkt: Was ist eine "Aufforderung" und was eine "Anleitung zu Straftaten"? Macht sich jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren? Gegen einen Castor-Transport zu demonstrieren? Einen Bauplatz zu besetzen, um eine Projekt wie Stuttgart 21 zu verhindern? Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärt damit nicht nur Widerstandsformen der außerparlamentarischen Opposition zum Verbrechen, sondern auch das Zugänglichmachen von Flugblätter und Zeitschriften, die dazu auffordern.


Die Buchhandlungen protestieren gegen das Vorhaben der Polizei

"Das Tagesgeschäft des Buchladens wird durch die Durchsuchungen massiv behindert, in der Vergangenheit wurden auch immer wieder die Computer beschlagnahmt." Frieder Rörtgen, Geschäftsführer von Schwarze Risse weiter: "Es handelt sich um eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren."

www.schwarzerisse.de
www.unzensiert-lesen.de

Berlin, 26. Oktober 2010


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010