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MELDUNG/062: Frankfurt - kein Schmerzensgeld für Polizistin (Cécile Lecomte)


Cécile Lecomte - Pressemitteilung, 9.7.2010

Kein Schmerzensgeld für Polizistin - Sitzenbleiben grundrechtlich geschützt

Frankfurter Amtsgericht weist Klage einer Polizistin auf 1200 Euro Schmerzensgeld gegen Flughafenausbaugegnerin zurück
Festgenommene Personen müssen Anweisungen von PolizistInnen nicht folgen
Fragwürdige Ausbildungspraxis bei der Polizei: Schmerzen zufügen statt wegtragen

Am 23.1.2009 wurde die Kletteraktivistin und Flughafenausbaugegnerin Cécile Lecomte von der Polizei im Kelsterbacher Wald bei Frankfurt in Polizeigewahrsam genommen. Die Aktivistin war zuvor mit acht weiteren DemonstrantInnen auf dem Dach einer Baumerntemaschine geklettert und hielt diese für gut zwei Stunden besetzt - aus Protest gegen den klimaschädlichen Ausbau des Frankfurter Flughafens.

Gut zwei Stunden mussten die AktivistInnen mit im Rücken gefesselten Händen in einem Polizeigefangenentransporter im Anschluss an ihre Festnahme ausharren - bis sie von anderen Polizisten auf der Polizeiwache in Frankfurt übernommen wurden. Dort zeigten die Betroffenen ihren Unmut gegen die polizeilichen Maßnahmen und den Kahlschlag im Kelsterbacher Wald, indem sie sitzen blieben und jegliche Anweisung der Polizei ignorierten.

In diesem Zusammenhang kam es seitens einer der eingesetzten Polizeibeamtinnen zu einer Schmerzensgeldforderung in Höhe von 1200 Euro gegen Kletteraktivistin Cécile Lecomte.

Die Polizeibeamtin Jessica G. trug über ihren Marburger Rechtsanwalt vor, sie habe sich am Handgelenk verletzt, als sie mit einer Kollegin Cécile Lecomte in die Zelle wegtrug. Sie erklärte weiter, Frau Lecomte sei für die Verletzung verantwortlich, weil sie sich widerrechtlich geweigert habe, freiwillig in die Zelle zu gehen. Zudem habe sich die Aktivistin "schwer" gemacht.

Cécile Lecomte konnte die Forderung kaum ernst nehmen und bezeichnete das Verfahren von Beginn an als absurd und skurril. Die Polizistin habe sie nicht fachgerecht weggetragen, erwiderte sie. Zum Beweis der Tatsache, dass sie sich nicht "schwerer" machen kann, als andere Menschen, beantragte Lecomtes Anwalt einen Gutachter für "Erdanziehungskräfte".

Dem absurden Streit schob das Gericht letztendlich einen Riegel vor, zu einer Beweisaufnahme kam es nicht mehr. In einem Urteil, das Cécile Lecomte am heutigen Tag veröffentlichte, wird klargestellt, dass der Polizistin kein Anspruch auf Schmerzensgeld zusteht und dass das Verhalten der Aktivistin nach Art. 2 und 5 des Grundgesetzes geschützt war. Entgegen der weit verbreiteten Meinung bei PolizeibeamtInnen sind Betroffene in keinerlei Hinsicht zur aktiven Mithilfe bei ihrer Ingewahrsamnahme verpflichtet. Sitzenbleiben ist ihr Grundrecht!

Das Gericht führt zudem aus, es gehe nicht darum, "das allgemeine Lebensrisiko abzuwenden. Genau dieses allgemeine Lebensrisiko [habe] sich aber vorliegend im Rahmen der Ausübung des überdurchschnittlich risikobehafteten Berufes der Klägerin als Polizistin manifestiert."

Im Hinblick auf die aktuelle Debatte um Polizeigewalt ist dieses Verfahren interessant.

Das Verfahren hat gezeigt, dass die Polizeiausbildung von vornherein auf Gewaltanwendung zielt. Obwohl Sitzblockaden höchstrichterlich als Protestmittel anerkannt sind und grundrechtlich geschütztes Verhalten darstellen, lernen die BeamtInnen nicht, wie Menschen fachgerecht weggetragen werden können - was Sanitäter zum Beispiel selbstverständlich lernen. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Polizeibeamtin in diesem Verfahren.

Stattdessen werden Schmerzgriffe beigebracht, was die Polizei als Anwendung von "körperlichem" Zwang bezeichnet. Den Menschen werden durch Beugegriffe Gelenkschmerzen zugefügt, so dass sie gezwungen sind aufzustehen.

"Wenn schon die Polizeiausbildung einseitig auf der Gewaltanwendung jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit basiert, wundert es mich nicht, dass es häufig zu Gewaltexzessen seitens von PolizeibeamtInnen kommt, wie im gestern von Amnesty International vorgestellten Bericht dargelegt."



Weitere Informationen

Das Urteil:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/ag-frankfurt-urteil-31-C-1253_09-23.pdf

Einzelheiten in diesem Verfahren:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/zivlistreit-frankfurt2009-zusammenfassung.pdf


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Quelle:
Pressemitteilung, 09.07.2010
Cécile Lecomte
Internet: www.eichhoernchen.ouvaton.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010