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INTERNATIONAL/050: Haiti - Kein Prozess für "Baby Doc" Duvalier - Menschenrechtler protestieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2012

Haiti: Kein Prozess für 'Baby Doc' Duvalier - Menschenrechtler protestieren

von Jim Lobe


Washington, 1. Februar (IPS) - Haitianische und internationale Menschenrechtsgruppen haben das jüngste Gerichtsurteil kritisiert, das den früheren Diktator Jean-Claude 'Baby Doc' Duvalier vor einer Anklage wegen Menschenrechtsverbrechen zwischen 1971 und 1986 bewahren soll.

Das Menschenrechtshochkommissariat der Vereinten Nationen reagierte "äußerst enttäuscht" auf die Entscheidung. Das US-Außenministerium wies darauf hin, dass der Fall noch immer vor höheren haitianischen Gerichten verhandelt werden könne. Es forderte die Regierung des karibischen Inselstaates auf, "alle glaubwürdigen Korruptions- und Menschenrechtsvorwürfe zu untersuchen (...) und die Schuldigen strafrechtlich zu verfolgen".

Die USA hätten all die Jahre keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie das Duvalier-Regime für repressiv gehalten hätten, sagte die Ministeriumssprecherin Molly Lynn Westrate. Haiti habe bisher allerdings sämtliche Hilfsangebote Washingtons ausgeschlagen, bei den Ermittlungen zu helfen.


Gericht sieht Menschenrechtsvorwürfe verjährt

Dem Urteil von Richter Carves Jean zufolge sind die Menschenrechtsvorwürfe gegen Duvalier verjährt. Wohl aber könne er wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es. Darauf stehen maximal fünf Jahre Haft. Die Veröffentlichung seines Urteils lehnte Jean ab. Berichten zufolge hielt sich der Richter an die Empfehlungen des Staatsanwalts. Für Experten steht fest, dass die seit einem Jahr amtierende Regierung von Präsident Michel Martelly kein Interesse daran hat, den Fall weiter voranzutreiben.

"Sollte diese fehlgeleitete Entscheidung in der nächsten Instanz bestätigt werden, würde sich die Kultur der Straffreiheit in Haiti noch stärker verwurzeln. Tausenden Opfern von Duvaliers Regime würde Gerechtigkeit vorenthalten", kritisierte Reed Brody von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch'.

"Die wenigen Opfer, die befragt wurden, mussten Einschüchterungen seitens der Anhänger und Anwälte von Duvalier über sich ergehen lassen", berichtete Javier Zuniga, ein Berater von 'Amnesty International'. Er sprach von einem "schwarzen Tag für Haiti und für die Justiz". Der zuständige Richter habe offensichtlich wichtige Beweise außer Acht gelassen und nicht alle diejenigen befragt, die Klage eingereicht hätten. Auch haitianische Aktivisten reagierten empört. Anthonal Mortimé, der die unabhängige Plattform der Haitianischen Menschenrechtsorganisationen (POHDH) leitet, nannte das Urteil einen "Skandal".

Duvalier, der die Macht von seinem noch berüchtigteren Vater François 'Papa Doc' Duvalier übernommen hatte, wurde durch einen Volksaufstand 1986 gestürzt. Er floh nach Frankreich, wo er unbehelligt bis zu seiner überraschenden Rückkehr nach Haiti vor einem Jahr lebte. Er fand ein Land vor, das die Folgen des verheerenden Erdbebens vom Januar 2010 noch längst nicht überwunden hatte. Schätzungen zufolge sind etwa 300.000 Menschen bei der Naturkatastrophe ums Leben gekommen.


Zehntausende Todesopfer während Duvalier-Diktatur

Während der 29-jährigen Duvalier-Ära sind vermutlich Zehntausende Haitianer ermordet worden, die meisten von der persönlichen Miliz der Familie, den 'Tonton Macoutes'. Unter 'Baby Doc' setzten sich die Morde fort. Außerdem wurden Hunderte politische Gegner in einem Netzwerk aus Gefängnissen inhaftiert. In der berüchtigten Haftanstalt 'Fort Dimanche' in der Hauptstadt Port-au-Prince starben zahlreiche Insassen an Misshandlungen, Folter und mangelnder Versorgung.

Der inzwischen 60-jährige 'Baby Doc' stand nach der Rückkehr in seine Heimat zunächst auf Befehl der Regierung unter Hausarrest. Die Ermittler gingen indes Anschuldigungen nach, er habe während seiner Herrschaft mehr als 800 Millionen US-Dollar veruntreut. Überlebende Opfer und Hinterbliebene bezichtigten ihn massiver Menschenrechtsverletzungen.

Nach der Amtseinführung von Martelly im vergangenen Mai begann Duvalier jedoch durch das Land zu reisen, um alte Freunde und Anhänger zu treffen. Im Dezember hielt er eine Rede vor Absolventen der juristischen Fakultät in Gonaives, bevor er im Januar bei einer Gedenkfeier zum zweiten Jahrestag des Erdbebens sogar die Hand des früheren US-Präsidenten Bill Clinton schüttelte.


Neuer Präsident mit Clan des Ex-Herrschers verwandt

Martelly, der auch verwandtschaftliche Beziehungen zum Duvalier-Clan hat, stellte seit seinem Amtsantritt klar heraus, dass er eine nationale Aussöhnung herbeiführen will und wenig Interesse an einem Gerichtsverfahren hat, das erneut für Instabilität sorgen könnte. Während einer kürzlichen Europa-Reise deutete er sogar an, dass er Duvalier begnadigen werde, sollte der Prozess gegen ihn weitergehen.

"Die Tatsache, dass Jean-Claude Duvalier zu öffentlichen staatlichen Zeremonien eingeladen wird, zeigt, dass die Regierung ihn rehabilitieren will", meinte Zuniga. Angesichts des Einflusses der Regierung auf die Justiz sei das Urteil zu erwarten gewesen, kommentierte der Haiti-Experte Robert Fatton von der Universität im US-Bundesstaat Virginia. Nicht zufällig seien Söhne und Töchter von Duvalier-Anhängern für die Martelly-Regierung tätig.

Nach Ansicht von Fatton will die Regierung jede weitere Destabilisierung des Landes verhindern. "Wenn Jean-Claude Duvalier vor Gericht kommt, fordern auch die Gegner des früheren Präsidenten Jean-Bertrand Aristide ein Verfahren." Andererseits sieht der Haiti-Experte ohne Prozesse und ohne eine Wahrheitskommission keine Chance auf eine nationale Versöhnung. Wenn die Bevölkerung erkenne, dass Täter straffrei ausgingen, würde dies die Spannungen verstärken, prognostizierte er.


Harte Urteile gegen Polizeioffiziere

Mitte Januar waren allerdings acht teils hochrangige Polizeioffiziere wegen eines Massakers an mindestens 20 Häftlingen 2010 zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt worden. Politische Beobachter feierten das Urteil als ersten Erfolg im Kampf gegen die Straffreiheit.

Nach dem Urteil im Fall Duvalier wiesen Menschenrechtsgruppen darauf hin, dass das Völkerrecht an die Stelle der Verjährungsvorschriften in Haiti trete. So seien Urteile des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes für Haiti rechtlich bindend. Dieses Gericht hat mehrfach entschieden, dass bei schweren Menschenrechtsverstößen weder Verjährung noch Amnestie zulässig sind. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.ohchr.org/EN/Pages/WelcomePage.aspx
http://www.hrw.org/americas/haiti
http://www.amnesty.org/en/region/haiti
http://pohdh.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106605

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2012