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INTERNATIONAL/027: Simbabwe - Land ohne Henker, 60 Verurteilte auf unbestimmte Zeit im Todestrakt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2011

Simbabwe: Land ohne Henker - 60 Verurteilte auf unbestimmte Zeit im Todestrakt

Von Tariro Madzongwe


Harare, 6. Juli (IPS) - Seit vier Jahren fürchtet Tendai Dzingirai, dass jeder Tag sein letzter sein könnte. Wann der zum Tode verurteilte Simbabwer hingerichtet wird, ist noch nicht absehbar. Denn das afrikanische Land findet keinen Henker.

Seit 2005 der letzte Scharfrichter in Simbabwe in den Ruhestand trat, sind alle Hinrichtungen bis aufs Weitere verschoben. Wie Dzingirai, der eigentlich anders heißt, warten noch etwa 60 Todeskandidaten in verschiedenen Gefängnissen auf den Tag X.

"Wir warten auf eine entsprechende Anweisung des Kabinetts", sagte der stellvertretende simbabwische Justizminister Obert Gutu. Bis dahin gelte ein Moratorium auf Exekutionen.

Bis ein neuer Henker gefunden ist, könnte noch viel Zeit ins Land gehen. Denn die Simbabwer scheuen vor einer solchen Arbeit zurück. Nach Ansicht von Gutu setzen die meisten Menschen die Tätigkeit des Scharfrichters mit Mord gleich. In der Bevölkerung sei zudem der Glaube verwurzelt, dass ein Henker und seine Familie von 'bösen Geistern' heimgesucht würden.

"In der afrikanischen Kultur gilt eine Tätigkeit, die das Töten anderer Menschen einschließt, nicht als Arbeit", erklärte Gutu. Auf einen Henker blicke man in der Gesellschaft mit Verachtung herab. Wie er selbst sei die Mehrheit der Simbabwer gegen die Todesstrafe, erklärte der Vize-Minister. Wann ein neuer Scharfrichter bestellt werde, sei nicht absehbar.


Todesstrafe "primitiv" und "inhuman"

Gutu, der die Todesstrafe als "primitiv" und "inhuman" bezeichnete, plädierte dafür, die Urteile unverzüglich in lebenslange Haft umzuwandeln. "Wenn die Leute dauerhaft im Todestrakt bleiben, hat dies traumatische Folgen", warnte er.

Seitdem die Stelle des Vollstreckers vor sechs Jahren ausgeschrieben wurde, haben sich erst wenige Interessenten gemeldet. Wie andere Staatsbedienstete kann der Scharfrichter, dessen Arbeitsort vor allem das Chikurubi-Gefängnis in der Hauptstadt Harare wäre, ein mageres Salär von umgerechnet rund 300 US-Dollar im Monat erwarten.

Die Identität eines Henkers wird von der Regierung streng geheim gehalten. Vorausgesetzt werden Nervenstärke und die Fähigkeit, einen Knoten zu knüpfen. Frauen dürfen sich auf die Stelle nicht bewerben.

Wie oft der Henker zum Einsatz kommt, ist nicht von vornherein absehbar. An manchen Tagen könnte es bis zu vier Hinrichtungen geben. Danach würden aber möglicherweise Monate oder gar ein ganzes Jahr bis zum nächsten Termin vergehen. "Es ist keine Arbeit, über die man öffentlich sprechen kann", meinte Gutu.

Auch Pedzisai Ruhanya von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation 'Crisis Coalition' forderte eine Abschaffung der Todesstrafe. Wenn der Staat seinen Bürgern nicht gestatte, einander zu töten, habe er auch kein Recht, Todesurteile zu vollstrecken, erklärte er. "Die Todesstrafe ist überholt."

Ruhanya lobte die Simbabwer dafür, dass sie sich von einer solchen Arbeit fernhielten. "Nur der Teufel kann diesen Job erledigen - nicht ein normaler Mensch", betonte er. "Und ein Henker verdient nur einen Hungerlohn, wie die übrigen Beamten. Reichen 300 Dollar aus, damit man andere Leute tötet?"


Letzter Henker soll Arbeit bereut haben

Reverend Julius Zimbudzana von der Anglikanischen Kirche des Landes ist sich sicher, dass die Position noch vakant sei, weil viele Simbabwer gläubige Christen seien. Von dem letzten Henker ist immerhin bekannt, dass auch er mit argen Gewissensbissen zu kämpfen hatte.

Der Schuhmacher Petros Kamujarira sagte, er würde lieber arm sterben, als einen Job als Henker anzunehmen. "In meiner Familie hat es nicht einen einzigen Mörder gegeben. Warum sollte ich also als erster die bösen Geister in meine Familie bringen?" fragte er sich. Andere Befragte gaben an, sie könnten ihren Frauen und Kindern nicht mehr in die Augen schauen, wenn sie nach einer solchen Arbeit nach Hause kämen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2011