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INTERNATIONAL/020: Ägypten - Militärgerichte machen kurzen Prozess, 50.000 Zivilisten verurteilt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2011

Ägypten: Militärgerichte machen kurzen Prozess - In drei Monaten 50.000 Zivilisten verurteilt

Von Cam McGrath


Kairo, 10. Mai (IPS) - Nach dem Sturz des Autokraten Hosni Mubarak bekommen die Ägypter jetzt die eiserne Faust des als Übergangsregierung etablierten Militärrates (FCAF) zu spüren. In mehr als 7.000 Prozessen vor Militärgerichten wurden in den vergangenen drei Monaten Zivilisten häufig im Minutentakt verurteilt. Die Anklagen lauteten auf Brandstiftung, Plünderung oder Verstöße gegen die nächtliche Ausgangssperre. Auch politisch motivierte Proteste und Kritik an der Militärregierung wurden geahndet.

Der Anwalt und Rechtsaktivist Adel Ramadan von der Ägyptischen Initiative für Bürgerrechte (EIRP) spricht von einer Militärjustiz in nie da gewesenem Ausmaß. "Da sich in einem einzigen Schnellverfahren bis zu 35 Beschuldigte zu verantworten hatten, schätzen wir die Zahl der verurteilten Zivilisten auf über 50.000", sagte er IPS. "So etwas haben wir bisher nicht erlebt. Selbst unter Mubaraks Regierung gab es im Jahr kaum mehr als drei Militärprozesse."

Internationale Menschenrechtsorganisationen verurteilen die Praxis, Zivilpersonen vor ein Militärgericht zu stellen, als juristisch inakzeptabel, weil die Beschuldigten ohne juristischen Beistand bleiben und schnell zu hohen Strafen verurteilt werden. Selbst gegen Todesurteile gibt es keine Revision. Dies sei besonders bedenklich, meinte Ramadan, da Offiziere dafür bekannt seien, Geständnisse auch durch Folter zu erpressen.


"Juristische Show"

"Als Verteidiger sind nur dem SCAF genehme Anwälte zugelassen, die lediglich eine juristische Show abliefern", berichtete Ramadan. "Sie können höchsten fünf Minuten mit ihrem Klienten sprechen und die Anklageschrift einsehen, bevor sie den Fall einem Militärrichter vorlegen."

Ein Anfang März bei einer regierungskritischen Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo Verhafteter berichtete später, man habe ihn gefoltert und mit anderen in ein Militärlager eingesperrt. "Dort wurden wir als Gangster beschimpft und von einem Kamerateam vor einem mit Stöcken, Messern und Molotow-Cocktails beladenen Tisch gefilmt."

Viele Ägypter hatten die Soldaten bejubelt, die während der Massendemonstrationen gegen Mubaraks Regime ausgerückt waren. "Das Volk und die Armee, wir sind eins", sangen sie damals. Inzwischen scheint sich der SCAF unter Führung von Mubaraks ehemaligem Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi auf manche Regieanweisungen aus der Mubarak-Ära zu besinnen.

Internationale Menschenrechtsgruppen haben die Militärregierung aufgefordert, alle politischen Gefangenen frei zu lassen und die gegen die Armee erhobene Folter- und Missbrauchsvorwürfe zu untersuchen.

In einer Erklärung monierte der stellvertretende Direktor von 'Human-Rights Watch Middle East' (HRW), Joe Stark: "Ägyptens Militärregierung hat bislang nicht begründet, warum unfaire Militärgerichte jungen Demonstranten den Prozess machen, während sich Mubaraks ehemalige Beamte wegen Korruption und der Tötung von Protestierenden vor einem regulären Strafgericht verantworten müssen."


"Kritik stört die Beziehungen des Volkes zum Militär"

Als ehemaliger Militärgefangener hatte der Journalist Rasta Azab gegen den Beschluss des SCAF geklagt, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen. Die Verteidiger der Übergangsregierung schmetterten die Anklage ab als "Versuch, die Beziehungen zwischen Volk und Militär zu zerstören". Sie wiesen die Foltervorwürfe zurück und betonten, nach ägyptischen Militärrecht dürften Zivilpersonen vor ein Militärgericht gestellt werden.

Dagegen macht jetzt die Aktivistengruppe 'No to Military Tribunals' mobil. Eine der Initiatorinnen ist Mona Seif. Sie und ihre Mutter hatten Ende Februar erlebt, wie brutal das Militär Ende Februar auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegen friedliche Demonstranten vorging. Sie mischten sich ein und erreichten, dass die Soldaten den verhafteten 33-jährigen Demonstranten Amr El-Behery frei ließen. Seif berichtete IPS, der Mann sei später wieder festgenommen, gefoltert und von einem Militärgericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Erst auf Druck der Medien nehme die Öffentlichkeit von solchen Fällen Notiz, betonte die Aktivistin. Allerdings seien Menschenrechtsgruppen und Medien mehr am Schicksal weithin bekannter politisch-profilierter Aktivisten interessiert als an den kriminellen Übergriffen, die viele Menschen seit dem Sturz Mubaraks erleiden mussten.

"Wir wollen mit unserer Kampagne auch erreichen, dass sich das öffentliche Interesse nicht nur auf die wenigen hundert Demonstranten richtet, die das Militär festgenommen hat, sondern auch auf die übrigen Zehntausende, die aus anderen Gründen verhaftet wurden", erklärte Seif. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2011