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GRUNDGESETZ/099: Der frühe Tod des Grundgesetzes - Teil 1 (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 5./6. Dezember 2009

Der frühe Tod des Grundgesetzes

Analyse. Das KPD-Verbot - der Präzedenzfall für
die Aushöhlung der Demokratie in der BRD (Teil 1)

Von Hans Heinz Holz


Vorabdruck aus der Halbjahresschrift Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie (Nr. 32). Das Heft mit dem Schwerpunkt »Grundgesetz« enthält Beiträge u.a. von Hermann Klenner, Peter Römer, Hans Heinz Holz, Andreas Fisahn, Peter Alfons Steiniger. Es erscheint in etwa zwei Wochen und kann über die Redaktion bezogen werden: Redaktion-Topos@gmx.de (Einzelheft 12,80 EUR zzgl. Porto und Versand).
Weitere Informationen: www.toposzeitschrift.de


Vor sechzig Jahren wurde die Bundesrepublik Deutschland aus den damals bestehenden elf westdeutschen Ländern unter Ausschluß der östlichen Länder der nachmaligen DDR gebildet; die drei Länder Baden, Baden-Württemberg und Württemberg-Hohenzollern schlossen sich später zu einem zusammen. Das Grundgesetz (GG), mit dessen Inkrafttreten die BRD als Staat gegründet wurde, gilt in gewisser Hinsicht als eine der besten, das heißt bürgerliche Freiheiten garantierenden bürgerlich-demokratischen Verfassungen. Daß der sogenannte Sozialisierungsartikel 15 mögliche gesellschaftliche Entwicklungen als verfassungskonform einschloß, war bemerkenswert, weil er die Statik der Rechtsordnung geschichtlich dynamisierte. Aus den Erfahrungen mit dem Nazifaschismus und dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen, war das GG - wie auch die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates zeigen - antifaschistisch, antimilitaristisch und antiimperialistisch intentioniert.

Das ist, sofern die Absicht des Gesetzgebers in die Gesetzesauslegung eingeht, zu berücksichtigen.

Gemeinhin wird als erste essentielle Veränderung der Verfassungslage der BRD die Notstandsgesetzgebung angesehen. Die Notstandsgesetzgebung war bereits die 17. GG-Änderung in den 20 Jahren zwischen 1949 und 1968. Wenn es auch nicht in allen Fällen um wesentliche Eingriffe ging, so erwies sich doch die Stabilität der Verfassung als ziemlich brüchig. Ich möchte behaupten, daß bereits mit dem KPD-Verbot die verfassungsmäßige und überhaupt rechtsstaatliche Grundlage der BRD erschüttert wurde und diese danach nicht mehr das war, als was sie ihre Gründungsurkunde im Sinn gehabt hatte.

Die innere Geschichte der BRD ist von einer schrittweisen Aushöhlung der demokratischen Kontrolle der Regierungstätigkeit bei fortbestehender parlamentarischer Form gekennzeichnet, wie überhaupt die formalen Versatzstücke der sogenannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber ihrer inhaltlichen Ausfüllung allein zum Kriterium der Verfassungskonformität gemacht werden. Die von keinem Soziologen oder Verfassungsjuristen bestrittene Tatsache, daß der Umgang mit den formalen Regeln in vielen und gerade entscheidenden Fällen eine Machtfrage ist und Macht in engem Zusammenhang mit Eigentum steht, bleibt in dem Anspruch der jeweils Handelnden, die legitimen Verteidiger der Freiheit zu sein, ausgeblendet. In diesem Sinne sind der Wortlaut des Antrags auf Verbot der KPD und der Urteilsbegründung signifikante Belege für den Abbau von Demokratie unter dem Schein der Erhaltung der Demokratie.


Grundgesetzliche Vorgaben

Am 23. Mai 1949 trat das GG für die BRD in Kraft. In ihm heißt es: Artikel 5.1: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.«

Artikel 21.1: »Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.«

Artikel 21. 2: »Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der BRD zu gefährden, sind verfassungswidrig.«

In dem allerdings nach dem KPD-Verbot beschlossenen Parteiengesetz vom 24.7.1967 wird Artikel 21.1 GG noch ausdrücklich präzisiert:

Paragraph 1 Abs. 2: »Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen, (...) auf die politische Entwicklung im Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen (...)«

Paragraph 1. Abs. 3: »Die Parteien legen ihre Ziele in politischen Programmen nieder.«

Diese hier formulierte Präzisierung ist durchaus identisch mit der Intention des GG. Diese verbindlichen Rechtsgrundlagen sind festzuhalten, wenn Antrag und Urteil samt ihren Begründungen im KPD-Verbotsprozeß im Rückblick zu betrachten sind.


Der Verbotsantrag der Regierung

Wohlweislich heißt es gleich in Abschnitt A des Verbotsantrags: »Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, sich mit der vom deutschen Volk eindeutig abgelehnten (marxistisch-leninistisch-stalinistischen) >revolutionären Theorie< auseinanderzusetzen«. Denn in Artikel 5.3 GG heißt es: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei«. Theorie aber gehört zu Wissenschaft und Forschung, so blieb auch später die Publikation marxistischer Theorien - sofern sich Zeitschriften und Verlage dafür fanden - unbehelligt und verschafften dem Autor allenfalls berufliche Nachteile. Dann aber fährt die Bundesregierung fort: »Die Ausübung dieser Theorie durch die KPD bedeutet die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Bundesgebiet.« Wie soll über die Ausübung einer Theorie befunden werden, wenn nicht über die Theorie auf dem Niveau der Theorie Klarheit geschaffen wird? In der Tat bezieht sich der Verbotsantrag dann auch keineswegs auf feststellbare Tatbestände in den Parteiaktivitäten der KPD, sondern auf deren Ideologie, also den theoretischen Gehalt ihrer Tätigkeit, und deren Begründung in wissenschaftlichen Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse. Mögen diese Analysen nach Auffassung der Bundesregierung auch falsch sein, so ist das kein Gegenstand der Verfassungsgerichtsbarkeit und schon gar kein Verbotsgrund. Wer sagt, daß die neoliberalen Analysen, die juristisch unangefochten bleiben, richtig sind?

Die »Ausübung der Theorie« wird nicht einmal der KPD zur Last gelegt; dafür muß die SED herhalten. Wenn die KPD Propaganda machte, die Politik der DDR für besser als die der BRD zu halten, so waren solche Äußerungen durch Artikel 5.1 GG geschützt (s.o.) und entsprachen, wenn auch nicht im Sinne der Mehrheitsparteien dem Auftrag, der im Parteiengesetz Paragraph 1 Abs. 2 formuliert ist. Daß das GG selbst nicht unabänderlich ist (außer den Grundrechten ihrem Wesen nach), haben die zahlreichen GG-Änderungen erwiesen. Wenn eine Partei dafür wirkt, eine andere verfassungsmäßige Gesellschaftsordnung zu schaffen als die bestehende bürgerlich-kapitalistische, so ist das im Rahmen der Funktion der Parteien legal. Sie muß eben die Mehrheit der Staatsbürger gewinnen. Das stand nach Auffassung des Regierungsantrags gar nicht zu erwarten: »Die Bemühungen der KPD, auf demokratischem Wege zu entscheidendem Einfluß auf die deutsche Politik zu gelangen, sind heute als gescheitert zu betrachten, da die KPD im Gebiet der BRD auf den Stand einer Splitterpartei herabgesunken ist«. Daraus folgert die Regierung aber: »Ihre Gefährlichkeit hat sich jedoch nicht vermindert«. Als verfassungswidrige Aktivität wird ausschließlich die »Volksbefragung gegen die Remilitarisierung« angeführt, denn die Erwähnung eines wilden Hafenarbeiterstreiks in Hamburg kann man juristisch kaum ernst nehmen. Sonst wird bloß pauschal von Einzelaktionen gesprochen und gesagt, diese »lassen sich innerhalb dieses Antrages ebensowenig einfügen wie die Gewalt- und Willkürakte der Staatsorgane der Sowjetischen Besatzungszone, die an anderer Stelle zum Gegenstand des Antrags gemacht worden sind«. (Letztere fallen ja gar nicht in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts.)

Kurzum: Der Antrag ist ein logisches und juristisches Unding. Eigentlich hätte er von einem obersten Gericht wegen formaler Unzulänglichkeit gar nicht angenommen werden dürfen. In der Begründung ihres Antrags auf Zurückweisung des Regierungsantrags stützt sich die KPD im wesentlichen auf das für die Nachkriegsordnung völkerverbindliche Potsdamer Abkommen. Sie trägt drei rechtsrelevante Argumente vor:

1. Die gerichtliche Diskriminierung von Weltanschauungen würde uns in die Zeit der mittelalterlichen Inquisitionsprozesse zurückführen.

2. Nur die konkreten politischen Ziele einer Partei erlauben dem BVerfG ein Urteil darüber, ob durch sie die demokratische Ordnung gefährdet wird oder nicht.

3. Die Frage ob die KPD eine demokratische Partei ist, wurde in Kenntnis ihres Endziels durch das Potsdamer Abkommen bejaht, und diese übereinstimmende Stellungnahme der Besetzungsmächte ist für das BVerfG bindend.

Es ist zuzugeben, daß die Begründung der KPD mehr politisch-propagandistisch als juristisch ist; die Gültigkeit der Argumente wird dadurch nicht beeinträchtigt. Das wird insbesondere im Abschnitt V (I, 27 ff.)[1] der Ausführungen der KPD deutlich, der sich auf maßgebliche Kommentare zum GG bezieht (Giese, Mangoldt).

Das BVerfG eröffnet, formal wohl korrekt, das Verfahren, weil inhaltliche Einwände in der Vorentscheidung nicht zu prüfen sind, selbst wenn durch sie Unsinnigkeit oder Rechtswidrigkeit der Antragsbegründung dargetan wird. Man wird sehen, daß durch Formalismen dieser Art während des Prozeßverlaufs immer wieder Argumente der KPD-Vertreter unterlaufen werden.


Der Prozeßverlauf

Aus den nahezu 3000 Seiten des Dokumentarwerks über den Prozeß auch nur die wesentlichsten Aspekte hervorzuheben, ist in einem Aufsatz natürlich nicht möglich. Erschreckend ist, wie sich in den 51 Verhandlungstagen das Gewicht mehr und mehr weg von der Ermittlung und Einschätzung justitiabler Fakten auf ideologische Unterstellungen und Bewertungen verschiebt und damit das Verfassungsrecht durch eine Gesinnungsjustiz substituiert wird. Statt Handlungen oder auch Schriften der KPD im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, werden lange Zitate aus Werken von Lenin und Stalin als Beweismittel eingebracht, ohne daß ihr Bezug zu aktuellen Parteiaktivitäten hergestellt werden könnte. Gerade der Inhalt dieser theoretischen Schriften, die überall im internationalen Buchhandel in vielen Sprachen aufliegen und auch unter Lizenz der Besatzermächte in Westdeutschland erschienen, sind jedoch nach Artikel 5 GG von der Verbotsdrohung ausgenommen und hätten von Rechts wegen im Prozeß keine Rolle spielen dürfen. So durchzieht den ganzen Prozeß eine innere Unstimmigkeit und Unaufrichtigkeit.

Einige Gesichtspunkte zu dem Verfahren seien hinzugefügt. Die Verhandlungstage vom 24. bis 26. November 1954 (I, 107 ff.) haben zutage gebracht, daß dem BVerfG Geheimakten des Verfassungsschutzes vorlagen, die der Verteidigung nicht zugänglich gemacht wurden. Formal ist das bedeutungslos, weil das Gericht erklärt hat, daß Akten, die nicht in die mündliche Verhandlung eingebracht wurden, bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt bleiben. Nun ist es, zumal in einem so prominenten und politisch aufgeladenen Verfahren, psychologisch unmöglich, daß die Kenntnis von Informationen, wie unzuverlässig sie auch sein mögen, im Kopf der Richter sozusagen gelöscht wird. Aus guten Gründen werden in US-amerikanischen Geschworenengerichten die Geschworenen während der Prozeßzeit von der Öffentlichkeit isoliert, um keinen unbewußt bleibenden Einflüssen zu unterliegen. Die Geheimhaltung von gegenstandsrelevanten, dem Gericht zugänglichen Informationen bedeutet eine Verzerrung der Urteilsfindung, weil der Betroffene keine Möglichkeit der Widerlegung und Aufklärung hat. Im vorliegenden Fall gab es auch keinen Grund zum Geheimnisschutz, weil keine akute Bedrohung der Sicherheit der BRD vorlag; die Offenlegung der Daten hätte ja gerade zu größerer Sicherheit beigetragen.

In seinem Eingangsplädoyer legte der Vertreter der Bundesregierung, Ritter von Lex, keinen einzigen Tatbestand vor, faktual oder verbal, durch den die KPD die freiheitliche demokratische Grundordnung angreift oder bedroht. Zur Last gelegt wird: die legale Beteiligung an überparteilichen Massenorganisationen, z.B. Gewerkschaften, die als »Unterwanderung« bezeichnet wird; die Propaganda gegen die Bundesregierung, gegen die herrschenden Kreise in Industrie und Finanz, unabgeschlossene, vom Oberbundesanwalt eingeleitete Verfahren gegen 60 Parteimitglieder.

Bei dieser schwachen Antragsbegründung lag es für die Bundesregierung nahe, entgegen ihrer verkündeten Absicht, die Prozeßstrategie auf die theoretischen Grundlagen des Marxismus-Leninismus (und Stalinismus) abzustellen. In seinem Zwischenplädoyer zugunsten der KPd hat Prof. Herbert Kröger die Unvereinbarkeit dieser Strategie mit dem Wortlaut des GG als verfassungsrechtlichen Verfahrensfehler aufgezeigt und unter anderem ausgeführt: »Die rechtliche Problematik ergibt sich daraus, daß die Bundesregierung Teilstücke der Theorie des Marxismus-Leninismus in das Verfahren eingeführt hat mit dem Ziel, gerade mit Hilfe dieser Beweismittel die Verfassungswidrigkeit der KPD zu beweisen, die aus der konkreten Politik der KPD in der BRD, aus ihren Erklärungen und Dokumenten sowie aus ihrem praktischen Handeln unter keinen Umständen abgeleitet werden kann (...) Der Senat ist durch die bisherige Art der Beweiserhebung in entscheidenden Punkten diesem Vorgehen, diesen Absichten der Bundesregierung gefolgt. (...) Hier kommt es mir nur darauf an festzustellen, daß dieses Verfahren faktisch darauf hinausläuft, daß der Senat es bisher nicht für beweiserheblich gehalten hat, die von der KPD wirklich verfolgte und offen proklamierte Politik darzulegen und ihre Verfassungsmäßigkeit zu erörtern, sondern daß er, ausgehend von den aufgestellten Behauptungen der Bundesregierung über sogenannte hintergründige Ziele der KPD Beweisantritte zugelassen hat, die in Wirklichkeit überhaupt nicht schlüssig sind für das Verfahren nach Artikel 2 GG« (I, 873 f.).


Verfälschungen und Verdrehungen

Auch die zweite Prozeßphase vom 28. bis 45. Verhandlungstag dreht sich ausschließlich um agitatorisches Auftreten und allgemein gesellschaftspolitische Alternativen, die die KPD dem bestehenden Regime der Adenauer-Regierung entgegensetzt. Agitation und Propaganda sind aber legale Parteiaktivitäten, selbst dann, wenn sie für eine Änderung geltenden Verfassungsrechts die Mehrheit der Staatsbürgerstimmen gewinnen wollen. Die zahlreichen GG-Änderungen, die mit Mehrheiten der bürgerlichen Parteien und der SPD beschlossen wurden, liefern dafür den De-facto-Beweis. Insofern der marxistisch-leninistische Revolutionsbegriff die Unterstützung des revolutionären Umsturzes durch die Mehrheit der Bevölkerung per definitionem einschließt - Revolution sich also gegen die gewaltsam aufrecht erhaltene Herrschaft einer Minderheit richtet -, befindet er sich in Übereinstimmung mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Vorbereitung eines Minderheitenputsches gegen die staatliche Ordnung des GG oder Handlungen, die darauf hinzielen, sind der KPD nicht nachgewiesen worden, ja explizit wurde dieser Vorwurf nicht einmal erhoben. In der Auslegung des Begriffs »außerparlamentarisch« könnte ein solcher Verdacht anklingen, obwohl unbezweifelbar ist, daß außerparlamentarische Aktivitäten nur dann ein Mittel des Herrschaftswandels sind, wenn sie von der Mehrheit der Bevölkerung ausgehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung das Parlament der einzige Ort politischer Entscheidungen sein kann. Im Parteiengesetz Paragraph 1 Abs. 2 wird ausdrücklich in der Aufgabenstellung der Parteien unterschieden:

auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß zu nehmen;
die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einzuführen. Das sind offenbar zwei logisch verschiedene Handlungsfelder.

Der Prozeß der staatlichen Willensbildung ist weiter gefaßt als die politische Entwicklung in Parlament und Regierung. Tatsächlich sind Massendemonstrationen, Streiks, publizistische Kampagnen außerparlamentarische Mittel im Prozeß der staatlichen Willensbildung, die dem Begriff der freiheitlichen Demokratie zugerechnet werden.

Es gehörte von Anfang an zur Strategie der Bundesregierung, die Verfassungswidrigkeit der KPD mit Hilfe von Verfälschung und Verdrehung des Vokabulars der theoretischen Grundlagen des Marxismus zu erweisen. Partei der Arbeiterklasse sei gleich Diffamierung anderer Bevölkerungsschichten, Diktatur des Proletariats sei die oligarchische Herrschaft einer Führungsclique der Partei, revolutionäre Praxis meine den gewaltsamen Umsturz durch eine Splitterpartei, Parteidisziplin bedeute die Unterdrückung innerparteilicher Meinungsstreitigkeiten, nationale Einheit sei Unterwerfung der BRD unter die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR. Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Das BVerfG hat sich diese Sprachregelung zu eigen gemacht. Das ist verständlich, denn auch Richter sind nicht frei von den Vorurteilen der Klasse, der sie angehören, selbst wenn sie sich Mühe geben. Die Gewohnheiten des Sprachgebrauchs sind von jeher bewußtseinsprägend gewesen. An solchen Selbstverständlichkeiten zeigen sich die Mechanismen der Klassendominanz (Hegemonie) und entlarvt sich die scheinbar unparteiliche Rechtsordnung als Klassenjustiz.


Anmerkungen:

[1] Alle Zitate im Text stammen aus dem wörtlichen Protokoll des KPD-Verbots-Prozesses. Gerd Pfeiffer/Hans-Georg Strickert (Hg.), KPD-Prozeß, Dokumentarwerk, 3 Bände, Karlsruhe 1956

Das Verbotsurteil im vollen Umfang findet sich im Internet unter:
www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv005085.html - d. jw-Red.


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Quelle:
junge Welt vom 5./6.12.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2009