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FRAGEN/015: Prof. Bernd Holznagel über das neue Gesetz zur Bekämpfung von Hasskommentaren im Netz (wissen|leben - WWU Münster)


wissen|leben - Nr. 5, Juli/August 2017
Die Zeitung der WWU Münster

"Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen"

Medienrechtler Prof. Bernd Holznagel über das neue Gesetz zur Bekämpfung von Hasskommentaren im Netz

Interview von Juliane Albrecht


Vor einigen Tagen hat der Bundestag das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) beschlossen. Es verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke dazu, "offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden" nach Eingang einer Beschwerde zu löschen oder zu sperren. Prof. Bernd Holznagel ist einer der beiden Direktoren des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster - er fungierte während des Gesetzgebungsverfahrens auch als Gutachter. Im Interview mit Juliane Albrecht schätzt er die Risiken und Chancen des neuen Gesetzes ein.


J. Albrecht: Das geplante Gesetz richtet sich gegen Hetze und Verunglimpfungen im Internet. Ist ein solcher schier unübersehbarer "Raum" denn überhaupt reglementierbar?

Prof. Holznagel: Der Umstand, dass man Gesetze nicht zu 100 Prozent durchsetzen kann, entbindet einen doch nicht von der Pflicht, es dort zu versuchen, wo man Zugriff hat. Das NetzDG schafft keine neuen Pflichten für Betreiber sozialer Netzwerke. Die Pflicht, strafbare Inhalte Dritter nicht weiter zu verbreiten, ergibt sich seit jeher unmittelbar aus den Strafgesetzen und aus dem Paragrafen über den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch im Bürgerlichen Gesetzbuch. Eine Ausnahme ist durch die europäische Richtlinie zum E-Commerce eingeführt worden. Seitdem haften soziale Netzwerke als sogenannte Host Provider für die von ihnen geleistete Unterstützung fremder Straftaten erst, wenn ihnen der Vorgang 'notifiziert' worden ist. Dann müssen sie löschen, und zwar unverzüglich. Dieses Providerprivileg ist kein Naturgesetz, sondern eine Entscheidung des Gesetzgebers, der bestimmte Geschäftsmodelle im Netz fördern möchte. Das NetzGD will hierfür den Rechtsrahmen ausgestalten und die Durchsetzung verbessern.


J. Albrecht: Ist das NetzDG insgesamt der große Wurf zum Thema Hasskommentare im Netz oder doch eher ein Schnellschuss, der (noch) nicht zu Ende gedacht ist?

Prof. Holznagel: Der Steuerungsansatz des NetzDG ist an sich innovativ und richtig. Man verlangt von den Unternehmen, dass sie Verfahren vorhalten, um die Risiken zu minimieren, die sie durch ihre unternehmerische Tätigkeit schaffen. Im Wirtschaftsrecht machen wir das schon lange so. Vorgesehen sind im NetzDG unter anderem ein effektives Beschwerdemanagement und eine gesetzliche Berichtspflicht. Was leider fehlt - und insoweit ist das Gesetz tatsächlich nicht zu Ende gedacht - sind Regeln dafür, wie das Beschwerdemanagement genau aussehen soll. Dies lässt befürchten, dass die Unternehmen den Weg des geringsten Widerstands gehen und im Zweifel löschen.


J. Albrecht: Es gibt noch weit mehr Kritik daran. Teilen Sie die Einschätzung, dass der Gesetzgeber damit die Meinungsfreiheit gefährdet?

Prof. Holznagel: Meinungsfreiheit im Netz hat zwei Seiten. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass Hass und Drohungen viele Menschen an der demokratischen Teilhabe im Netz hindern. Minderheiten verstummen, Journalisten zensieren sich selbst, Frauen werden marginalisiert. Der Gesetzgeber hat also Freiheitsrechte und Schutzpflichten in einen fairen Ausgleich zu bringen. Er darf deshalb nicht nur Anreize setzen, Inhalte zu löschen, aber keine Anreize, Inhalte zu prüfen oder fälschlich blockierte Inhalte wieder hochzuladen. Das ist das Problem mit dem NetzDG.


J. Albrecht: Die Betreiber von Facebook, Youtube und Twitter sollen also künftig zwischen Gut und Böse entscheiden. Woher sollen sie wissen, dass es sich beispielsweise um Ironie handelt - oder eben doch um Verleumdung?

Prof. Holznagel: Die Schwierigkeit besteht darin, dass man Äußerungen immer in ihrem Kontext auslegen muss. Manchmal muss man die ganze Vorgeschichte kennen, um sie richtig bewerten zu können. Juristisch betrachtet gibt es ein 'Recht zum Gegenschlag'. Das kann man nicht anhand eines einzelnen Postings entscheiden. Diese Aufklärung ist oft mühsam und auch mit Kosten verbunden.


J. Albrecht: Wie kann man entscheiden zwischen Meinung und Hetze - gibt es etwa Signalworte?

Prof. Holznagel: Auch rassistische Hetze und Volksverhetzung erkennt man nur im Kontext. 'Signalworte' können deshalb allenfalls dazu dienen, mit Unterstützung von Algorithmen eine Vorauswahl zu treffen. Die abschließende Bewertung muss in jedem Fall ein Mensch vornehmen, der entsprechend ausgebildet ist.


J. Albrecht: Sind es Ihrer Meinung nach allein die Anbieter, die entsprechende Regeln für Löschungen brauchen und befolgen müssen? Oder sind nicht auch der Staat und die Justiz in der Pflicht, mit einer Art Internet-Polizei die Strafverfolgung zu garantieren?

Prof. Holznagel: Natürlich, beide sind zuständig. Jedermann ist verpflichtet, darauf zu achten, dass er andere nicht bei der Begehung von Straftaten unterstützt. Das ist die Verantwortung der sozialen Netzwerke. Wenn es trotzdem zu Straftaten kommt, ist der Staat gefragt.


J. Albrecht: Bedeutet die nun möglicherweise verstärkt einsetzende, berechtigte Strafverfolgung nicht auch gleichzeitig, dass die ohnehin beklagte Überlastung der Justiz an Schärfe zunimmt?

Prof. Holznagel: Dies ist immer so, wenn ein neues Kriminalitätsphänomen auftaucht. Der Staat darf sich jedenfalls nicht aus falsch verstandener Sparsamkeit aus der Verantwortung stehlen. Sonst gibt man den Rechtsstaat auf. Mittelfristig führt konsequente Strafverfolgung dazu, dass der Sittenverfall nicht weiter um sich greift und man das neue Phänomen eindämmen kann. Eine Laissez-Faire-Einstellung macht die Sache nur schlimmer.

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Quelle:
wissen|leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 5, Juli/August 2017, Seite 5
Herausgeberin:
Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Norbert Robers (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2017

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